Hamburg. Am Schauspielhaus wird Thomas Bernhards Stück als ekstatisches Körpertheater gegeben und wird zur Spitze getriebenen, bösen Farce.
Fast bedrohlich ragt der rot glimmende Ofen mit seinem gigantischen Rohr in das Bühnenbild hinein. Die Hütte, die ihn umgibt, ist eng, schiefwinklig gebaut. Immerhin gibt sie eine schöne Aussicht auf fallende Schneeflocken durch ein Panoramafenster preis. Gleich daneben rottet ein illustrierter Wald, vom Borkenkäfer geplagt, vor sich hin.
Herbert Fritsch verantwortet nicht nur die Regie, sondern auch die einnehmende Bühne in seiner Version von Thomas Bernhards „Die Jagdgesellschaft“; 1974 in Wien uraufgeführt, jetzt am Schauspielhaus auf die Bühne gebracht.
Theaterkritik: Körpertheater im Schauspielhaus
Ein Drama erzählt das Stück eigentlich, aber unter den Händen des hemmungslosen Fritsch wird es zu einer auf die Spitze getriebenen, bitterbösen Farce. Ein entfesseltes, ekstatisches, körperliches Theater. Manches Mal schreckt er dabei weder vor Hysterie noch vor Kalauern zurück. Und droht über der furios beherrschten Form, den Blick auf das Wesentliche, den Text, zu verstellen.
In der Kammer der Jagdhütte mäandert der Schriftsteller, Freund des Hauses, durch die Untiefen seiner Gedanken. Bei dem begnadeten Schauspieler Bastian Reiber wird er zu einem nimmermüden sprudelnden Wortquell, sein Gesicht eine Fläche des Staunens, Begreifens, Verzweifelns. Gerade quält ihn ein Aphorismus, der sich nicht aussprechen lässt.
"Die Ruhe macht gar nichts wieder gut"
„Die Ruhe macht es wieder gut“, brüllt er. „Nein, die Ruhe macht gar nichts wieder gut, sondern die günstigere Bewegung.“ Die philosophischen Gedanken des österreichischen Grantlers Thomas Bernhard kreisen und kreisen. Verrennen sich. Wiederholen sich.
Einzige Zuhörerin des Dichters ist im Moment die Generalin. Angelika Richter liegt ermattet über dem von Ingo Günther unermüdlich bearbeiteten Flügel, kaum dass der Vorhang sich öffnet. Doch bald folgt sie dem Hausfreund ins Rededuell, das von den Piano-Akkorden fast wie ein Stummfilm begleitet wird. Richter überzieht dabei, mal schielend, mal kreischend, häufig die Grenze zum Exaltierten. Aber die Situation ist keine einfache.
General ist dem Untergang geweiht
Das Generals-Paar hat sich nach dem Weltkriegsende in den Wald geflüchtet. Der General, ein Nazi, der einen Arm in Stalingrad verlor, kann aber noch immer auf eine solide Machtbasis und eine Ministerrunde zählen. Dass er politisch wie persönlich dem Untergang geweiht ist, weiß nur die Generalin. Der vom Borkenkäfer zerfressene Wald harrt seiner unausweichlichen Abholzung. Und auch der General ist unheilbar an Krebs erkrankt. Zusätzlich droht die Erblindung.
Nun soll es ein letztes Mal auf die Jagd gehen. Der Auftritt der Jagdgesellschaft wird unter den Händen der Kostümbildnerin Cosima Wanda Winter zu einem toll gestalteten Bild wie aus der Geisterbahn. Michael Wittenborn wirkt mit weißem Langhaar und Pelzmantel wie die Karikatur eines autoritären Generals. Seine Minister sind in hübsche Felle und folkloristische Gewänder gehüllt. Die Augen weit aufgerissen. Bald wird scharf geschossen.
„Wir sind zur Besinnungslosigkeit verurteilt"
So scharf, dass auf einmal feiner Sand von der Decke auf die Bühne rieselt. Der General macht sich lustig über den Schriftsteller – und nebenbei die Operettenhaftigkeit der „Komödie“. Der Dichter wiederum monologisiert unverdrossen weiter. Hektisch auf- und abspringend, sich verrenkend und dehnend, immer in Bewegung. „Wir sind zur Besinnungslosigkeit verurteilt. Alles ist tot“, brüllt er.
Ein Schriftsteller am Rande des Nervenzusammenbruchs. Mal spielt er mit der Generalin gestenreich Karten. Mal rutschen sie gemeinsam von den irritierend schwarzen und sehr unbequemen Riesensesseln. Die herumfliegende Munition setzt aber noch etwas anderes frei. Und so baut sich Bastian Reibers Dichter irgendwann am Flügel auf, wo Ingo Günther von seinen zeitgenössischen, häufig atonalen Miniaturen auf einmal von einem zarten Waldhorn begleitet in federnde Jazz-Rhythmen wechselt, und steigert sich in eine Suada hinein.
Inszenierungsstil passt nicht zu Bernhard-Texten
„Wir wachen tagtäglich in unsere eigene Todeskrankheit hinein auf. (…) Und sind immer in Interesselosigkeit. Alles andere ist Lüge!“ Währenddessen wirken die übrigen Ensemble-Mitglieder unterbeschäftigt. Doch sie gewinnen daraus zum Teil große Theatermomente. Bettina Stucky etwa als Köchin Anna, die allein mit ihren Augen, ihrer Mimik und einem entwaffnenden Lächeln enorme Präsenz erlangt. Oder Jonas Hien als Holzknecht Asamer, der ein wenig tumb mit der Axt, die er immer wieder mal bedrohlich anhebt, durch das Jagdhaus stolpert.
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Leider muss er sich auch durch Sätze kalauern wie „Das war der erste Axt.“ Bei aller von Regie und Ensemble meisterlichen Beherrschung der grotesken Form will der exaltierte Inszenierungsstil nicht so recht zum Zynismus der Bernhard-Texte passen. Fast scheint es, als schwäche er sie eher, als dass er sie überhöht und verstärkt. Und so bleibt es bei einem zwar lustvollen und unterhaltsamen Abend, der sein Ziel am Ende doch verfehlt.
„Die Jagdgesellschaft“ wieder 9.4., 15.4., 23.4., jew. 19.30 Uhr, 5.5., 20 Uhr, 21.5., 19.30 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de