Hamburg. Ermittler aus „Tatort“, „Polizeiruf 110“ und „Sörensen“ lesen Texte über die humanitäre Katastrophe. Diese Promis sind dabei.

Wenn es doch im wahren Leben immer so einfach wäre wie immer wieder in den beliebten ARD-Krimis: Knapp unter 90 Minuten dranbleiben, und jeder Fall ist garantiert gelöst, schon weil es die gottgleiche Programmplanung so vorschreibt. Die Schuldigen sind amtlich erkannt und müssen sich für ihre Taten – in aller Regel keine Untätigkeit – verantworten; wenn schon nicht juristisch, dann auf jeden Fall moralisch. Die Welt kann danach wieder eindeutig beruhigter und in Ordnung sein.

Bjarne Mädel ist einer der insgesamt zehn TV-Stars, die sich im Thalia Theater für Flüchtende einsetzen.
Bjarne Mädel ist einer der insgesamt zehn TV-Stars, die sich im Thalia Theater für Flüchtende einsetzen. © Jürgen Bauer | Jürgen Bauer

Keine Chance ist in Sicht, seit viel zu vielen Jahren schon, dass diese einfache Auflösung auch die real tödlichen humanitären Katastrophen im zentralen Mittelmeer derart grundsätzlich und endgültig beendet. Wieder und wieder ertrinken dort Flüchtende, von Schleusern in oft seeuntüchtige Boote gepfercht, auf der Flucht vor Krieg und Gewalt in ihrer Heimat, auf der Suche nach einem anderen, besseren Leben auf der anderen Seite des Wassers. Keine andere Fluchtroute ist derart todbringend, Tausende sterben dort jährlich.

Thalia Theater: „Tatort Mittelmeer“: Szenische Lesung mit TV-Ermittlern in Hamburg

Eine prominent besetzte Sonderkommission mit insgesamt zehn Ermittlerinnen und Ermittlern aus dem „Tatort“, „Polizeiruf 110“ und „Sörensen“ kommen deswegen am 3. Dezember für die Benefiz-Matinee „Tatort Mittelmeer“ auf die Bühne des Thalia Theaters: Meret Becker, Lucas Gregorowicz, Wolfram Koch, Peter Kurth, Nina Kunzendorf, Bjarne Mädel, Heike Makatsch, Oliver Mommsen, Daniel Sträßer und Hand-Jochen Wagner lesen dort aus Augenzeugenberichten von Geretteten und Rettenden. Dazu kommen Aufzeichnungen von Rechtsbrüchen und Menschenrechtsverletzungen auf See, wie sie von der Crew des Rettungsschiffs „Humanity 1“ dokumentiert und bezeugt wurden.

Die Schauspielerin Nina Kunzendorf liest ebenfalls bei der Benefiz-Matinee im Thalia Theater.
Die Schauspielerin Nina Kunzendorf liest ebenfalls bei der Benefiz-Matinee im Thalia Theater. © Mathias Bothor | Mathias Bothor

Organisiert wurde diese Veranstaltung von der zivilen Seenotrettungsorganisation „SOS Humanity“, die 2015 gegründet wurde, und dem Thalia, im letzten Jahr fand bereits eine ähnlich besetzte Runde im Deutschen Theater Berlin statt. In Hamburg werden nun Spenden für weitere Einsätze von „Humanity 1“ gesammelt; die Hälfte aller Ticketeinnahmen komme der Berliner Rettungsorganisation zugute, teilte das Theater mit.

Gianna Main, Gründungsmitglied von „SOS Humanity“ und Kuratorin von „Tatort Mittelmeer“, erklärt: „Bei der szenischen Lesung geht es darum, den Ungehörten Gehör zu verschaffen – Menschen auf der Flucht haben keine Lobby. Deswegen geben bekannte Schauspieler und Schauspielerinnen Flüchtenden und Mitgliedern der Rettungscrew ihre Stimme. Geflüchtete werden oftmals als homogene Gruppe dargestellt und somit ihrer individuellen Geschichten und Identitäten beraubt.

Mit „Tatort Mittelmeer“ möchten wir dazu beitragen, dass Flüchtende als Menschen und nicht als anonyme Zahlen gesehen und ihre Geschichten gehört werden. Die Rettung von Menschen aus Seenot ist Pflicht, doch die Europäische Union nimmt diese nicht wahr und setzt stattdessen auf eine menschenverachtende Abschottungspolitik. All das wird von der Crew an Bord unseres Rettungsschiffes dokumentiert und für die Öffentlichkeit festgehalten. Auch diesen Stimmen gilt es Gehör zu verschaffen. Denn das Mittelmeer ist nicht nur Massengrab, sondern auch Tatort.“

Mehr zum Thema

Thalia Theater: „Die Aussage ,Wir lassen niemanden sterben‘ steht über allem“

Die musikalische Begleitung dieser szenischen Lesung übernimmt der palästinensisch-syrische Pianist Aeham Ahmad, Preisträger des „Internationalen Beethovenpreises für Menschenrechte“. Ahmad wurde 2014/15 durch seine Auftritte im Flüchtlingslager Jamuk in der Nähe von Damaskus international bekannt, in dem er aufwuchs. Im April 2015 war Jamuk durch IS-Terroristen eingenommen worden, sie zerstörten das Klavier Ahmads, der durch einen Granatsplitter in der linken Hand verwundet worden war. Ahmad floh nach Deutschland, seine Familie konnte ein Jahr später nachkommen.

Peter Kurth, langjähriges Ensemblemitglied am Thalia,  ist für diesen wichtigen Anlass dort wieder auf der Bühne zu erleben.
Peter Kurth, langjähriges Ensemblemitglied am Thalia, ist für diesen wichtigen Anlass dort wieder auf der Bühne zu erleben. © Fabian Schellhorn | Fabian Schellhorn

„SOS Humanity“-Botschafterin Heike Makatsch liest nicht zum ersten Mal Texte von Geretteten. „Es sind erschütternde Dokumente, voller Leiden und Gewalterfahrungen“, sagte sie. „Aber gleichzeitig findet man in ihnen auch Lebenswillen und Kraft. Ich bewundere den Mut der Menschen, die sich auf die lebensgefährlichen Fluchtrouten begeben, um ihrem Leben und dem ihrer Kinder eine Chance zu geben.“

Meret Becker ergänzt: „Ich trage Berichte vor, von Menschen, die Menschen auf dem Mittelmeer retten, von Menschen, die gerettet wurden, oder auch Berichte über Menschen, die nicht gerettet wurden. Diese Berichte ergreifen mich sehr. Meine Mutter ist auch geflüchtet. Also, ich würde hier gar nicht sitzen, wenn nicht Länder Menschen aufnehmen würden.“

„Die Aussage: ‚Wir lassen niemanden sterben‘ ist so klar und durchdringend, dass sie über allem steht“, findet ihr Kollege Oliver Mommsen. „Sie wirkt wie ein Kompass für alle Entscheidungen und fordert zum sofortigen Handeln auf. Deswegen unterstütze ich SOS Humanity aus tiefer Überzeugung.“ Und auch Bjarne Mädel ist sehr eindeutig: „Ich finde es wahnsinnig zynisch und menschenverachtend, andere Menschen ertrinken zu lassen. Wenn man sie retten kann.“

„Tatort Mittelmeer“: 3.12., 11 Uhr, Thalia Theater. Karten: 25 Euro. Weitere Informationen: www.sos-humanity.org