Hamburg. Programm ist geprägt von Provenienzforschung und kolonialen Entdeckungsreisen, die oftmals von Hamburg ausgingen.
Purpurrot glänzende Fäden, die zu einem kunstvollen Knoten an der Decke zusammenlaufen und unten, am Boden, an mehreren, ordentlich im Kreis nebeneinander drapierten schwarz glänzenden Galoschen zusammengebunden sind. In der Mitte ein bunter Filzteppich mit einem Spiegel darin. Die in Kirgisien lebende und international tätige Multimediakünstlerin Altynai Osmoeva bezieht sich in ihrer zeitgenössischen Arbeit auf die in Zentralasien traditionelle Wohnform der Jurte. „Unity“ spielt auf ein Sprichwort ihrer Heimat an, das besagt: Je mehr Menschen in dein Haus kommen, umso mehr Gutes kann sich daraus entwickeln. Die Fäden, die die Schuhe miteinander verbinden, stehen aber auch für gesellschaftlichen Zusammenhalt, für ein menschliches Miteinander.
Neben der Installation ist eine echte Jurte aufgebaut, der Zeltstoff ist mit lauter bedeutungsvollen Ornamenten bestickt, das gemütliche Innere ist schwach beleuchtet und lädt Besucherinnen und Besucher dazu ein, einzutreten – natürlich ohne Schuhe. Sie stammt von der kirgisischen Künstlerin Turdu Kydybaeva, die an der Jurte jahrelang gearbeitet hat und sie 2017 in der Studienstadt ihrer Enkel dem damaligen Museum für Völkerkunde schenkte. Die Ausstellung „Jurte jetzt!“ (Laufzeit bis 3. November) transportiert nomadisches Design ins Heute und lässt uns über alternatives Wohnen und Leben nachdenken. Die Jurte ist immaterielles UNESCO-Kulturerbe, wird mittlerweile in Kriegs- und Katastrophengebieten wie auch bei Glamping-Urlauben eingesetzt. Sie ist im besten Sinne völker- und kulturenverbindend. Genau das, wofür das MARKK mit seinem Programm steht.
Museum in Hamburg: Pippis Papa, weißes Gold und modernes nomadisches Leben im MARKK
Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag stellten Direktorin Barbara Plankensteiner und Geschäftsführer Marc von Itter die wichtigsten Projekte vor und bilanzierten für das zurückliegende Jahr 64.000 Besucherinnen und Besucher, „mehr als 2022, es geht in die richtige Richtung“, so von Itter. Auch die anderen Sonderausstellungen für 2024 wollen unseren Blick für die Welt weiten. Da wäre zunächst „Weißes Wüstengold. Chile-Salpeter und Hamburg“ (ab 24. Mai) in Kooperation mit dem Deutschen Hafenmuseum. Anlässlich des 100. Jubiläums des Chilehauses begab sich Christine Chávez auf eine spannende Spurensuche. „Vermutlich wissen die wenigsten Hamburger, woher der Name des Gebäudes kommt. Er geht zurück auf den Kaufmann Henry Brarens Sloman (1848–1931), der durch den Salpeter-Handel mit Chile zum reichsten Mann Hamburgs wurde und das signifikante Kontorhaus bauen ließ.“
Die Kuratorin sichtete historische Fotografien des MARKK, durfte ins private Familienarchiv der Slomans. Und kam zum Ergebnis: „Die Geschichte der europäischen Salpeter-Könige wie Sloman ist eng verknüpft mit den Schicksalen vieler ausgebeuteter Wanderarbeiter, die in eigens dafür gebauten Salpeter-Dörfern in der heißesten Wüste der Welt, der Atacama-Wüste, nach dem Rohstoff Caliche gruben – eine Schwerstarbeit fernab von ihren Familien.“ Salpeter wurde damals für die Herstellung von Farben, Dünger und Sprengstoff verwendet. Die Ausstellung spürt Chiles Umgang mit diesem Teil der Geschichte nach und schlägt den Bogen zum heutigen „weißen Gold“: In dem südamerikanischen Land wird massiv Kupfer abgebaut und nach Lithium gegraben, Bestandteil von Smartphones und Tablets.
Museum Hamburg: Gab es den schwedischen „Südsee-König“ wirklich?
Wer kennt es nicht, das berühmte Kinderbuch von Astrid Lindgren mit dem Titel „Pippi im Taka-Tuka-Land“. Allein der Titel ist heute ein Aufreger. Nicht weniger schräg ist der Inhalt: Die Geschichte handelt von Pippi Langstrumpfs Vater Efraim, der als König über „Taka-Tuka-Land“ herrscht und seine allein in Schweden lebende Tochter mit einem schier endlosen Vorrat an Goldmünzen versorgt. Woher kam dieser immense Schatz eigentlich, und gab es diesen schwedischen „Südsee-König“ wirklich? Fragen, die sich die Kuratorinnen Johanna Wild und Jeanette Kokott stellten. Bei ihren Recherchen stießen sie auf die Biografie des Plantagenbesitzers Carl Pettersson, die auffällig viele Parallelen zur Lindgren-Erzählung aufweist. Pettersson war lange Zeit für die deutsche Neuguinea-Kompagnie tätig und heiratete Singdo, eine Frau aus einer einflussreichen Familie in Neuirland.
Die speziell für junges Publikum ab neun Jahren konzipierte Ausstellung „Pippis Papa und eine wirklich wahre Geschichte aus dem Pazifik“ (ab 6. September) lädt dazu ein, die Hintergründe der deutsch-hamburgischen Kolonialgeschichte im Pazifik kennenzulernen. Sie will anregen, über rassistisch oder abwertend dargestellte Figuren in der Kinderliteratur nachzudenken. Und die allseits beliebte Pippi Langstrumpf mit ihren Talenten, ihrem starken Willen und ihrem Gemeinschaftssinn: Wie steht es um ihre Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche heute?
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Neben den Ausstellungen arbeitet das Museum weiter im Bereich der Provenienzforschung, untersucht seine Sammlungen auf Plünderungsgut aus dem Boxerkrieg 1900/1901 sowie zu Beständen der Hamburger Südsee-Expedition von 1908 bis 1910. Auch werden alle Sammlungseingänge zwischen 1933 und 1945 im Hinblick auf NS-Raubgut überprüft. Durch eine Förderung der Hermann Reemtsma Stiftung kann das MARKK eine neue Objektdatenbank aufbauen, die eine wichtige Grundlage für die Übersiedlung der Sammlung in ein geplantes neues Depot sein wird. Denn in diesem Jahr beginnt das Haus mit der ersten umfassenden Modernisierung in seiner 111-jährigen Geschichte. Für Barbara Plankensteiner ein „Jahrhundertprojekt“. Bis 2026 hinein will sie am Ausstellungsprogramm festhalten, bevor das Museum dann für längere Zeit schließen wird.