Hamburg. Die Direktorin des MARKK, Barbara Plankensteiner, hatte sich für die Rückgabe eingesetzt. Es ist ein historisches Ereignis.
Die 1897 im Königreich Benin geraubten Bronzen sind weltweit in Museen verstreut, ein großer Teil befindet sich im Hamburger MARKK. Am 30. November hat die Bürgerschaft die Rückgabe dieser Kunstwerke beschlossen. MARKK-Direktorin Barbara Plankensteiner, die Leiterin der Benin Dialogue Group ist, hatte sich seit ihrem Amtsantritt 2017 stark dafür eingesetzt. Und es ist auch eine Herzensangelegenheit von Kultursenator Carsten Brosda (SPD), der ein wichtiger Beschleuniger dieses Prozesses war.
Wir stehen vor einem historisch bedeutenden Datum. Ende des Jahres wird ein erster Teil der insgesamt 179 Benin-Bronzen zurück ins Herkunftsland Nigeria, genauer gesagt nach Benin-City, reisen. Wie wird das genau ablaufen?
Barbara Plankensteiner: Es wird eine Pressekonferenz in Hamburg geben, bei der ein Rückgabevertrag unterzeichnet werden wird. Dieser wurde schon vor längerer Zeit in einer Delegation mit der National Commission for Museums and Monuments ausgehandelt und von jedem Bundesland noch einmal angepasst. Parallel dazu werden schon erste Objekte überreicht und vor Ende des Jahres noch zurückgebracht werden. Dann gibt es zwei Listen mit Objekten: Ein Drittel der Bronzen, die über einen längeren Zeitraum als Leihgaben in Hamburg bleiben werden, und zwei Drittel, die zu einem noch zu vereinbarenden Zeitpunkt in nächster Zukunft zurückgehen werden. Unsere nigerianischen Partner haben darum gebeten, dass wir weiterhin Objekte hierbehalten, damit sie sich darauf vorbereiten, eventuell eine Ausstellung organisieren können.
Carsten Brosda: Wir haben in Hamburg schon länger über die Rückgabe diskutiert, 2019 hat die Kulturministerkonferenz unter Vorsitz Hamburgs die ersten Eckpunkte mit dem Bund beschlossen, wie wir mit kolonial belastetem Sammlungsgut umgehen. Um Geschwindigkeit und Verbindlichkeit in den Prozess der Rückgabe zu bringen, haben wir die Übertragung der Eigentumsrechte an Nigeria beschlossen, unabhängig von der physischen Rückgabe. Das war der Moment, in dem der Knoten geplatzt ist. Dasselbe passiert nun in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in Köln, Dresden, Leipzig und Stuttgart.
Wenn Sie sagen, Frau Plankensteiner, man bereitet sich in Benin-City erst noch darauf vor, die Objekte auch zeigen zu können – wie ist denn die Situation vor Ort?
Barbara Plankensteiner: Ich war gerade in Benin-City. Am 13. November wurde dort das Projekt Digital Benin gelauncht, eine Website, die alle auf der Welt befindlichen geraubten Kunstschätze aus Benin auflistet. In dem Zuge habe ich auch das Gelände besichtigt, das für einen riesigen Museumsbau mitten in der Stadt reserviert ist. Dort finden derzeit archäologische Grabungen statt, weil dort als erster Schritt eine Art Schaudepot mit kleiner Ausstellungsfläche errichtet werden soll. Und gleichzeitig finden Verhandlungen zwischen dem Gouverneur von Edo State und dem König statt, wie man ein königliches Museum ermöglichen kann, das im Zusammenhang mit dem großen EMOWAA-Museumsprojekt steht.
Aber das ist dann ein längerfristiges Projekt, das noch einige Jahre dauern wird.
Barbara Plankensteiner: Ja, aber ich bin immer wieder überrascht, wie schnell etwas in Nigeria geht. So schnell können Sie gar nicht schauen, und dann steht da was. Deswegen möchte ich keine Prognosen abgeben. Es kann länger dauern, aber es kann auch sehr schnell gehen.
Wie ist denn die Stimmung in Benin-City, wie wird die Rückgabe der Kunstschätze dort wahrgenommen?
Barbara Plankensteiner: Unser Digitalprojekt wurde in einer riesigen Halle präsentiert und enorm gefeiert. Wenn man sich vorstellt, was es bedeutet, wenn die Werke dann tatsächlich zurückkommen, das ist schon beeindruckend. Ich freue mich darauf und bin gespannt, was daraus vor Ort entstehen wird. Ich finde es großartig, diese große Chance miterleben und auch mitgestalten zu dürfen. Es ist noch so Vieles unerforscht in Benin, was die Interpretation der historischen Kunst betrifft. Ich würde gern dazu beitragen, selbst dazulernen und auch mein Wissen weitergeben, denn ich hatte die Möglichkeit, mich in diesem Bereich zu bilden, und ich hatte den Zugang zu Sammlungen weltweit. Diese Möglichkeiten hatten viele meiner nigerianischen Kolleginnen und Kollegen nicht.
Carsten Brosda: Es wird auch hier noch viel stärker ins Bewusstsein kommen, welche Bedeutung diese Restitution hat. Natürlich geht es um die Objekte und ihren Wert für die jeweiligen Kulturen, aus denen sie geraubt wurden. Aber die Debatte greift viel tiefer: Am Ende geht es um die Frage, wie wir uns global zueinander verhalten in einer Beziehung, die ganz lange von europäischer Seite aus wie selbstverständlich als eine Dominanzbeziehung gesehen wurde. Diese wollen wir mit dem Prozess auf Partnerschaftlichkeit und Kooperation umstellen. Die Restitution öffnet Möglichkeiten, künftig anders und besser miteinander umzugehen.
Das Digital Benin-Projekt hat eine lange Vorgeschichte. Schon seit den 1970er-Jahren war der Wunsch und der Bedarf, die geraubten Kunstschätze öffentlich zu machen, in akademischen Kreisen und bei Aktivistinnen und Aktivisten groß. Dennoch ist das Thema erst in den vergangenen Jahren von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen worden. Warum?
Barbara Plankensteiner: Immer wenn ein größeres Projekt zu Benin stattgefunden hat, war es ein Thema, zum Beispiel 2007 bei der Ausstellung „Benin – Könige und Rituale“ im Wiener Weltmuseum, und auch unsere laufende Ausstellung am MARKK „Benin. Geraubte Geschichte“ erfährt großes Publikumsinteresse. Herkunft und Rückgabe waren 2007 auch so präsent, weil wir den Vertretern des Königshauses ein Forum gegeben und es offen angesprochen haben. Auch in Frankreich und den USA war es ein wichtiges Thema, interessanterweise in Deutschland nicht so sehr. Vielleicht hatte man früher Angst vor der Diskussion. Außerdem war das Unrechtsverständnis nicht genügend vorhanden. Unsere Gesellschaft hat sich radikal verändert, es gibt eine neue Generation von Menschen in Positionen, die relevant dafür sind in der Kulturpolitik, aber auch in den Museen, die anders mit dieser Vergangenheit umgehen wollen.
Carsten Brosda: Was wir bei der Erinnerungskultur nicht vergessen dürfen: Ralph Giordano hat sein Buch „Die zweite Schuld“ in den 1980er-Jahren publiziert. Er reagierte damit darauf, dass die Bundesrepublik ihre Verantwortung für die Verbrechen der Nationalsozialisten noch nicht umfänglich aufgearbeitet hatte. Das musste geschehen. Da kam man noch gar nicht drüber, um zu gucken: Was war eigentlich davor? Das Thema koloniale Aufarbeitung verblieb lange im wissenschaftlichen Diskurs und ist erst in den 1990er-Jahren über Eine-Welt-Gruppen, Entwicklungshilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit gesellschaftlich relevanter geworden. Wirklich politisch aufgegriffen wurden diese Debatten aber erst vor rund zehn Jahren. Hamburg war 2014 das erste Land, das sich per Senatsbeschluss auf den Weg gemacht hat, eine postkoloniale Aufarbeitungsstrategie zu entwickeln. Und es war der Koalitionsvertrag der großen Koalition im Bund 2018, der zum ersten Mal neben den NS-Verbrechen und neben der SED-Vergangenheit die Aufarbeitung des Kolonialismus als eine dritte erinnerungskulturelle Aufgabe politisch benannte.
Barbara Plankensteiner: Was ich beeindruckend finde: Als ich mich 2016 auf die Stelle der Museumsdirektion am MARKK bewarb, stand in der Anforderung, dass man sich mit der kolonialen Vergangenheit auseinandersetzen solle. Das war bislang die einzige Stellenausschreibung in diesem Bereich in Deutschland, in der das so konkret gefordert wurde.
Wie wird sich dieser große Schritt darauf auswirken, wie künftig Ausstellungen oder überhaupt Museum gemacht werden?
Barbara Plankensteiner: Das kann man schon jetzt am MARKK beobachten: Wir arbeiten sehr viel zusammen, sei es mit Vertreterinnen und Vertretern von Urhebergesellschaften oder auch mit Fachleuten aus dem Globalen Süden und bilden dies auch in unseren Teams ab. Wir befinden uns gerade in einer großen Diskussion, die sich insgesamt mit der Frage beschäftigt, welche Rolle Museen in der Gesellschaft einnehmen und wie das Museum der Zukunft aussehen wird. Das ist jetzt besonders für unser Haus ein spannender Prozess, da wir unser Museum der Zukunft mit so großen finanziellen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, entwickeln können.
Postkarten von 1910 als kleine Kunstwerke
Sammlung Falckenberg: Humor, Ekel und Lust auf Regelbruch
Ein Bild voller Experimentierfreude von Adolph von Menzel
Carsten Brosda: Spannend finde ich die Rolle der ethnologischen Museen deshalb so sehr, weil sie viele Gegenstände haben, die in der Vergangenheit aus unserem externen Blick heraus einen anderen kulturellen Alltag beschreiben. Heute akzentuiert man zu Recht viel stärker, dass viele dieser Gegenstände tatsächlich ja Kunstwerke sind, die auch als solche entstanden sind. Das heißt, dass es nicht darum geht, wie andere Gruppen leben, sondern darum, wie sie sich, die Welt und ihre kulturellen Kontexte betrachten und begreifen und in Kunstwerken zu fassen versuchen. Daraus lässt sich viel lernen, zum Beispiel auch: Wie schließe ich eigentlich Sinndimensionen meiner eigenen Gesellschaft auf?
Barbara Plankensteiner: Wir wollen bei Besucherinnen und Besuchern auch ein Verständnis dafür wecken, dass unsere bisherige eurozentrische Vorstellung von Kunst, wie sie in manchen konservativen Museen vermittelt wird, auf zeitgenössische Entwicklungen und vor allem auf historische Kunstproduktion außerhalb Europas kaum mehr zutrifft. Dass es global ein anderes Verständnis von Kunst gibt und auch andere Kunstgeschichten existieren – das ist eine Geschichte, die wir erzählen wollen und die meiner Meinung nach auch in der universitären Lehre und Ausbildung noch viel stärker abgebildet werden müsste.
Carsten Brosda: Die Frage ist: Wie sichere ich die globale Verfügbarkeit aller Werke – natürlich in der Verfügung der jeweiligen Kultur über ihre zentralen Werke? Und auch wir müssen uns irgendwann fragen, was das eigentlich für unsere Kulturtradition bedeutet. Müssen die großen Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts nur in europäischen Kunstmuseen zu sehen sein, oder haben die nicht durchaus auch einen Bezug zu anderen Traditionen? Letztlich wird es darum gehen, über kulturelle Kontexte hinweg Verbindungslinien herzustellen, um eine Conditio Humana dahinter zu zeigen. Das fangen wir, glaube ich, gerade erst an zu begreifen. Wenn wir den ersten Liebermann nach Tansania schicken, dann sind wir mit den Prozessen vielleicht ein Stück weitergekommen. Das Verteidigungsargument vieler europäischer Museen, nur bei ihnen wären die Objekte gut aufgehoben und nur hier könne man den universalistischen Blick auf die Kulturen der Welt gewährleisten, taugt nicht mehr.