Hamburg. Diese klar pointierte Fassung räumt auf mit viel zu breiten Lesarten des Opernklassikers. Das hörte man gleich zu Beginn.
Die Oper ist ja nicht unbedingt das Kerngeschäft des Ensemble Resonanz, aber weshalb das Residenzensemble der Elbphilharmonie am Freitag einmal wieder als Opernorchester mit Vincenzo Bellinis „Norma“ im Großen Saal auftrat, hatte auch viel mit Riccardo Minasi zu tun.
Als Principal Guest Conductor ist der Italiener dem Ensemble Resonanz aufs Engste vertraut und war auch sein Leiter, als es 2016 mit Glucks „Iphégenie en Tauride“ im Orchestergraben der Hamburgischen Staatsoper auftrat. Der Violinist und Mitbegründer des „Ensemble „Pomo d’Oro“ ist außerdem zusammen mit Maurizio Bondi Kurator und Autor der quellenkritischen Neuausgabe von Bellinis „Norma“, die schon an vielen Orten sogar mit Cecilia Bartoli in der Titelrolle gespielt wurde und auch in der Elbphilharmonie die Grundlage bildete.
Elbphilharmonie: Ensemble Resonanz versucht sich an "Norma"
Diese klar pointierte und facettenreiche Fassung räumt auf mit alten, zuweilen viel zu breiten und instransparenten Lesarten dieses Opernklassikers. Das hörte man gleich an den harten, durch Becken im Schlagzeug verstärkten Tuttischlägen, den nervös flirrenden Streicherfiguren und dem elegischen, von Jessica Dalsant so wunderbar geblasenen Flötensolo in der Ouvertüre, das die Zerrissenheit und Verbitterung der Titelheldin schon mal andeuten sollte.
Der WDR Rundfunkchor, mit dem es natürlich gleich am Montag noch eine Folgeaufführung dieser konzertanten Opernproduktion in Köln geben wird, durfte zeigen, welche hohen Ansprüche Bellini in dieser Oper an die für den Handlungsablauf so immens wichtigen Chorpartien stellt.
Und es war ein Erlebnis, die Mezzosopranistin Anna-Maria Torkel, die ja als Mitglied des NDR Vokalensembles ebenfalls einem Chor angehört, als Solistin in der Rolle der Clotilde zu erleben. In den wenigen Szenen, an denen sie beteiligt ist, drückte sie subtil und mitfühlend aus, wie schwer es ihr fällt, ihrer Freundin Norma vom Handeln des Ehebrechers Pollione zu berichten.
Ensemble Resonanz musizierte fantastisch
Die georgische Sopranistin Salome Jicia brauchte etwas Zeit, um sich freizusingen. Ausgerechnet in ihrer großen Auftrittsarie „Casta Diva“, die von einem herrlich, fast vibratolos geblasenen langen Flötensolo eingeleitet wird, hatte sie Probleme, die enorme innere Erregung der Verzweifelten in den stimmlichen Ausdruck zu übertragen. Und es ist ja nun mal ein Klassiker, für den von der Callas bis zur Bartoli hohe Hürden gesetzt sind. Ein lauer Applaus und sparsame Bravi waren deshalb auch die Belohnung für Jicia.
In der italienischen Sopranistin Carmela Remigio als Rivalin Adalgisa hatte Jicia zudem eine Kollegin an der Seite, die sie im Ausdruck zuweilen übertraf. Während Jicias Koloraturen gerade im ersten Akt vor allem in der Höhe noch etwas gequälter und spitz klangen, überzeugte Remigio in ihren Koloraturen sowohl durch Eleganz als auch durch großes schauspielerisches Talent. Im ganzen Solistenensemble war sie die Einzige, die sich nicht unentwegt vor dem Notenpult aufhielt und in den Klavierauszug blickte.
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Sie spielte Theater, trat mal von rechts, mal von links auf und suchte den Blickkontakt zu ihren Partnern wie auf der Bühne. Stimmlich konnte Michael Spyres mit seinem großen Stimmenumfang und einer beeindruckenden Zeichnung der in sich gebrochenen Figur des Pollione überzeugen.
Und der schon allein durch seine Körpergröße beeindruckende Krzysztof Bacyk sang einen ebenso sorgenerfüllten wie entschlossenen Druiden Oroveso. Fantastisch musizierte das Ensemble Resonanz und spielte, weil eine Neuausgabe wie Minasis „Norma“-Fassung natürlich auch digital verfügbar ist, sogar von Tablets anstelle von Noten auf seinen Pulten.