Hamburg. Eigen und faszinierend: Mit Rebecca Saunders‘ Joyce-Vertonung „Yes“ begann ihre fünfteilige Konzertreihe in der Elbphilharmonie.

Musik wird, was man daraus macht. Dass man mit dieser Philosophie in radikal verwegene Klangmöglichkeiten vorstoßen und gleichzeitig (mit längst nicht allen Worten des Originals – und die auch noch fast nie klar verständlich) eine episch konzentrierte Weltgeschichte erzählen kann? Ja, das geht, aber nur, wenn man eine Avantgarde-Abenteurerin wie Rebecca Saunders ist und unter dem Titel „Yes“ – eine dezente Anspielung auf die Vorlage – den berühmten Schlussmonolog der Molly Bloom aus James Joyces Jahrhundertroman „Ulysses“ vertont. Mit diesem signature piece der britischen Komponistin begann eine fünfteilige Porträtkonzertreihe sehr ambitioniert, mit einem eindeutig nicht ausverkauften Abend im Großen Saal der Elbphilharmonie.

Ja, diese Musik ist komplex, anstrengend, eigen, ungewohnt, absolut nichts für harmloses Nebenbei. Aber genau deswegen auch faszinierend, in der Tiefe ihrer Timing-Organisation und ihrer instrumentalen Gesprächsleidenschaft, mit einer abstrakten Schönheit, die sich erst in einem Spezialraum wie diesem voll ausbreiten kann. Saunders wollte nicht frontal Silbe für Silbe in Noten übersetzen, sie wollte diesen wild strudelnden Gedankenfluss als „räumliche Performance für Sopran, 19 Solisten und Dirigent“ zum Surround-Erlebnis machen, der den gefühlten Tonfall des Textes vermitteln soll, die Verwirrung, die Wut, das gedankenflatternde Taumeln vom Hundertsten ins Tausendste, vorwärts, seitwärts, rückwärts, aufwärts, abwärts. Nur nie festgelegt und starr. Eine Collage aus Tönen und der Stille, die sie umgibt.

Elbphilharmonie: Rebecca Saunders‘ Collage aus Tönen und der Stille drum herum

Die Notenpulte auf der Bühne selbst waren deswegen auch lediglich Etappenstopps für das Ensemble Musikfabrik: Von Anfang an beschallten sie, manövriert vom Dirigenten Enno Poppe, den Saal aus mehreren in den Rängen verteilten Positionen, mit minuziös vorgeschriebenen Lautmalereien. Sie begaben sich kreuz und quer durch den Klangraum, immer wieder anders verklumpten oder trennten sich Instrumentengrüppchen hier, da oder dort vor, neben oder über dem Publikum, sie kommentierten mit Geräuschmomenten, die mitunter einen lebenden Organismus zu bilden schienen, die enorme Vokalakrobatik von Juliet Fraser.

In der Hauptrolle der Vertonung des Schlussmonologs aus „Ulysses“ war die Sopranistin Juliet Fraser Mittelpunkt des Stücks.
In der Hauptrolle der Vertonung des Schlussmonologs aus „Ulysses“ war die Sopranistin Juliet Fraser Mittelpunkt des Stücks. © DanielDittus.com | Daniel Dittus

Die hatte so ziemlich alles zu tun – außer etwas im „klassischen“ Sinn melodisch zu „singen“. Hin und wieder raunten Musiker sanft Textbruchstücke in ihre Mikros oder fluchten wahrscheinlich Joyciges in ihre vorgehaltenen Hände. Gerade der Performance-Anteil sorgte dafür, dass man immer wieder interessant verwirrt wurde, welche Klangfarbe gerade wo kurz aufflackerte und mit wem sonst sie Verbindung suchte – oder auch nicht.

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So wurde es 80 pausenlose Minuten lang nie langweilig oder vorhersehbar (was einige nicht davon abhielt, noch bis kurz vor Ende, freundlich formuliert, das eindringliche Überraschungsangebot dieser Musik nicht noch länger zu überdenken). Molly Blooms lange Selbstgespräch-Tiraden endeten mit einem letzten leisen Flüstern der Sopranistin, während von weit oben die große Trommel dieses Wegdämmern leise mit einem arhythmischen Herzschlagmuster begleitete. Ein einmaliges Erlebnis.

Die Mitwirkenden wurden auch auf mehrere Stationen im Zuschauerraum des Großen Saals der Elbphilharmonie verteilt.
Die Mitwirkenden wurden auch auf mehrere Stationen im Zuschauerraum des Großen Saals der Elbphilharmonie verteilt. © DanielDittus.com | Daniel Dittus

Weitere Saunders-Konzerte: 5.12. mit dem Trio Accanto, 28.2.24 mit dem Ensemble Modern und der Cocoondance Company, 11.5.24 mit dem Arditti Quartet, 28.5.24 mit dem Ensemble Resonanz.