Hamburg. „Das ist Weltliteratur“: David Bösch inszeniert an der Hamburgischen Staatsoper „Das Tagebuch der Anne Frank“ als „Graphic Opera“

Schon wieder so ein schweres, düsteres, schreckliches Thema. Über mörderische Nazis und ihre Opfer. Über unmenschliche Abgründe einerseits und menschliche Größe über den Tod hinaus andererseits. Über das Gestern, das ins Heute ausstrahlt und unvergessen bleiben soll, unverdrängt.

Und das gerade jetzt, während blutiger, schrecklicher Krieg ist, in der Ukraine und nun auch in Israel, und das sind nur die zwei prominentesten von viel zu vielen Regionen. Nicht zu ändern, diese Themenwahl. Und auch richtig und wichtig so.

Vor gut zwei Jahren brachte der Regisseur David Bösch mit seinem Team Udo Zimmermanns Kammeroper „Die weiße Rose“ als multimediale „Graphic Opera“ auf die Bühne der Opera stabile, als Mischung aus Real-Bühne und Animations-Szenen auf einer Leinwand. Damals war es auch eine Mischung aus Experiment und Notwehr gegen die Einschränkungen durch die Pandemie.

Oper für Bühne und Bildschirm: Anne Frank feiert an Hamburgischen Staatsoper Premiere

Nun ist es „Das Tagebuch der Anne Frank“, vertont vom 2012 gestorbenen russischen Komponisten Grigori Frid – gleiche Zeit, anderes Schicksal, weitgehend das gleiche Team dazu, ebenfalls eine historische Tragödie, die einem Publikum ab 14 Jahren mit den Mitteln des Musiktheaters das Bewusstsein auch für politische Themen und Wahrheiten der Gegenwart öffnen soll.

Regisseur David Bösch während der Probenarbeit zur Kammeroper „Die weiße Rose“, die 2021, ebenfalls als „Graphic Opera“, gezeigt wurde.
Regisseur David Bösch während der Probenarbeit zur Kammeroper „Die weiße Rose“, die 2021, ebenfalls als „Graphic Opera“, gezeigt wurde. © Roland Magunia/Funke Foto Services | Roland Magunia
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So weit jedenfalls der gute Vorsatz zu diesem Lehr-Stoff. Doch auf der kleinen Probebühne 3, im Untergeschoss des Staatsopern-Gebäudes, geht es noch nicht ums große Ganze. Sondern gerade nur um den Dreh einer einzigen Szene, eine Schlüsselszene dieser Ein-Sängerinnen-Oper allerdings, in der das junge Mädchen in ihrem Amsterdamer Versteck von einem Nazi entdeckt wird.

Weiter hinten steht ein Flügel, daneben wartet ein leicht antikes Fahrrad auf seinen Auftritt. Etliche Kostüme, alte Zeitschriften, dies, das und jenes. Ganz wichtig für diese Szene ist die Nebelmaschine, die großzügig ihren Dampf verpustet.

Mehr zum Thema

Staatsoper Hamburg: „Anne Franks Vermächtnis ragt über alle Zeiten hinaus“

Wir treffen hier uns am Nachmittag des 9. November, ausgerechnet. In jenen Tagen lief durch die Nachrichten, dass eine Kita in Sachsen-Anhalt doch bitte nicht mehr nach Anne Frank benannt sein soll, weil deren Geschichte kleinen Kindern zu schwer vermittelbar sei, und überhaupt sei „Weltentdecker“ doch ein viel schönerer Name. Die Abendnachrichten werden voll sein mit Demonstrationen, Gedenkveranstaltungen und mahnenden Worten.

Die „Weiße Rose“ damals sei von Anfang an – Corona und so – ausschließlich für den Streaming-Bildschirm gedacht gewesen, erläutert Bösch, zwischen Requisiten, Nervennahrungs-Weingummi und Regie-Tisch vergraben, den Unterschied im aktuellen Konzept-Ansatz. Dieser Abschnitt der deutschen Geschichte hat ihn schon immer interessiert, das sagt Bösch auch.

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Einmal Geschichts-Leistungskurs, immer Geschichts-Leistungskurs. Nach dem Abitur war er länger in Israel. Und nicht ohne Stolz berichtet Bösch, dass seine Version der „Weißen Rose“ in der ARTE-Mediathek auf 60.000 Aufrufe kam, das muss man mit einer Oper aus dem Jahr 1976 über die Studentin Sophie und ihren Bruder Hans Scholl im NS-Widerstand in München erst mal schaffen.

Jetzt ist er wieder hier, mit dem „kleinsten – und dem besten – Filmteam der Welt“. Das könnte durchaus hinkommen: ein Kameramann, ein Taschenlampen-Halter für das Restlicht, eine Assistentin an der Kunstnebelmaschine. Eine weitere Kollegin ist für den Ton zuständig, der hier noch als Leitplanken-Playback und Orchester-Ersatz aus dem Rechner kommt.

Projektionselemente sorgen für eine „Inszenierung mit Benefits“

Diese „Anne Frank“ aber sei sowohl für die Bühne als auch für den Bildschirm entworfen. „Man kann das Stück mit seiner Tagebuch-Struktur in kleine Teile unterteilen und dadurch eine Form auf der Bild-Ebene erreichen, die wirklich ein junges Publikum anspricht.“ Live wird es neben der szenischen Darstellung auch Projektionselemente geben, als eine „Inszenierung mit Benefits“.

Bei den Scholl-Geschwistern spielte sich das Drama vor allem in einer Gefängniszelle ab; hier ist Annes Versteck nachgebaut, verborgen hinter einem Aktenregal, nur eine kleine Funzel spendet Licht. Sie schält gerade Kartoffeln, als es rumpelt und der Scherge im knarzenden Ledermantel sich in ihr Blickfeld schiebt, seine Pistole im Anschlag. Sie hat nur das Schälmesserchen.

Zwischendurch wird es auch mal ganz profan handwerklich

Die junge Britin Olivia Walburton, mit ihrer dunklen Perücke der echten Anne erstaunlich ähnlich, spielt diese Szene wieder und wieder, mit angstgeweiteten Augen, zu Tode erschrocken, während aus immer anderen Perspektiven ausprobiert wird, wie diese Furcht am besten ins Bild passt. Und dann wird es zwischendurch auch mal ganz profan handwerklich: Wie viele Kartoffeln liegen wo richtig? Und wann ist jemand aus der Lichtabteilung der Staatsoper hier unten, um den leeren Akku in einer der Lampen auszutauschen, damit zügig weitergedreht werden kann? Es geht dann weiter, neue Nebelschwaden von links ins Szenenbild gewedelt, der nächste Take.

„Wie kann man im Angesicht das Grauens der Wahrheit ins Gesicht sehen, voller Verzweiflung und Traurigkeit – und gleichzeitig trotzdem sagen: Ich habe Hoffnung?“, dieser Frage stellt Bösch nicht nur sich mit dieser ungewöhnlichen Arbeit. Sind tagespolitische Bezüge dafür beim Inszenieren richtig oder gar notwendig? „Nein, gar nicht“, widerspricht Bösch. „Das ist Weltliteratur, eines der zehn wichtigsten Bücher, die jemand geschrieben wurden. Anne Franks Vermächtnis ragt über alle Zeiten hinaus.“

„Das Tagebuch der Anne Frank“: Premiere am 25.11. 20 Uhr, Opera stabile. Weitere Termine in diesem Jahr: 27./28./29.11. www.staatsoper-hamburg.de