Hamburg. Der Britin wurde ein Porträtkonzert-Schwerpunkt gewidmet. Jetzt spricht sie über Wolfgang Rihm und musikalische Vorlieben.
„Man begegnet etwas Unbekanntem, das ist aufregend und wunderschön.“ Für die Komponistin Rebecca Saunders ist die Erstbegegnung mit neuer Musik etwas Alltägliches – vieles von dem, was sie dabei hört, schreibt sie sich selbst. Die Ergebnisse dieser Arbeit haben die Britin zu einer der gefragtesten Tonsetzerinnen der Gegenwart gemacht. Kein allzu großes Wunder also, dass Saunders in dieser Saison ein Porträtkonzert-Schwerpunkt mit fünf Terminen in der Elbphilharmonie gewidmet wird.
Hamburger Abendblatt: Wie klingt Ihre Musik, wie sieht Ihre stilistische Handschrift aus? Soll man spätestens nach drei Takten oder sieben Sekunden merken: Das kann nur von Rebecca Saunders sein?
Rebecca Saunders: „Yes“, das in Hamburg im November gespielt wird, besteht aus 28 verschiedenen Stücken, die ich „Module“ nenne. Viele davon wurden zu Einzelwerken ausgearbeitet, die allein aufgeführt werden können, oder in anderen Kombinationen. In „Yes“ hört man, wie alle Kompositionen miteinander verbunden sind, aber erkennbare unterschiedliche Kernklänge und akustische Klanglandschaften haben.
Rebecca Saunders zu Gast in Elbphilharmonie: „Man schreibt Musik nicht, um jemandem zu gefallen“
Das Lieblingsinstrument Ihrer Kollegin Anna Thorvaldsdottir ist das Orchester. Haben Sie – als ehemalige Geigerin – bestimmte Vorlieben?
Es gibt Instrumente, an denen ich seit Jahrzehnten sehr intensiv gearbeitet habe. Für Kontrabass habe ich Solos und ein Konzert geschrieben, für Akkordeon, Klavier, Schlagzeug, Trompete und Violine ebenfalls. Wenn ich für Orchester schreibe, ist es mir wichtig, Instrumente wie E-Gitarre oder Akkordeon und viel Schlagzeug dabeizuhaben, und das Klavier ist für mich fast unverzichtbar. Ein Lieblingsinstrument, das für mich persönlich und intim ist, da ich aus einer Pianisten-Familie stamme.
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Sie waren Kompositionsschülerin bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe. Ich kann mir vorstellen, dass es anstrengend war, Schülerin von ihm gewesen zu sein.
Nein, im Gegenteil! Er ist ein großzügiger Lehrer und hat uns einen Rahmen geschaffen, in dem wir uns sehr frei bewegen konnten. Wir hatten viele Möglichkeiten, auch im Radio Konzerte zu geben. Sein Unterricht war sehr individuell. Es waren aufregende Jahre, eine großartige Kompositionsklasse.
Rebecca Saunders: „Manchmal entsteht etwas komplett Überraschendes“
Im vierten Porträt-Konzert spielt das Arditti Quartet etwas von Ihnen. Gehen Sie mit solchen Ensembles vorher ins Konklave und lassen Sie sich erklären, was spieltechnisch noch machbar ist oder ist Ihnen das bei der Arbeit völlig egal?
Ich finde es grundsätzlich wahnsinnig wichtig, mit Musikern zusammenzuarbeiten. Das ist inspirierend. Man geht gemeinsam auf die Suche und manchmal entsteht dann etwas komplett Überraschendes.
Ihr „Yes“ ist eine „räumliche Performance für Sängerin, 19 Solisten und Dirigent“. Was ist eigentlich aus der guten alten „Sinfonie“ geworden? Viele zeitgenössische Komponisten und Komponistinnen scheinen einen Abstand zu diesem klassischen Begriff einzuhalten.
Unser Verständnis von Formen und unsere Bedürfnisse in dieser gegenwärtigen Kultur sind natürlich anders, als sie vor 200 Jahren waren. Das Wort Abstand ist interessant, weil das klingt, als ob man etwas ablehnen würde. Es ist nicht so, dass man gegen etwas ist. Musik der Gegenwart spricht aus der heutigen Zeit, ist fest darin verankert. Dafür ist es notwendig, neue Möglichkeiten, andere Formate und andere Strukturen zu entwickeln, mit denen man arbeiten kann. „Yes“ ist eines dieser Stücke, bei denen ich mit Collagentechniken gearbeitet habe. Das macht riesigen Spaß und ermöglicht mir, eine ganz andere Art von Musik zu erschaffen, wobei das Publikum sich ganz mittendrin in der Musik befindet.
Sie arbeiten auch mit Literatur, unter anderem mit Texten von Beckett oder Joyce. Klopfen Sie zunächst 78 Vorlagen-Kandidaten ab und sieben weiter aus – oder muss es bei Ihnen immer Liebe auf den ersten Blick sein?
Wenn ich strikt zwischen A oder B wählen müsste, dann natürlich die zweite Option. Es muss eine Resonanz in mir auslösen. Ein kurzer Absatz oder sogar nur zwei Sätze dienen vielleicht als Gedankenimpuls und werden so zum Grundsatz eines neuen Werks. Als ich „Stirrings Still“, einen von Becketts späten Romanen, in die Hände bekam, habe ich mich fast fünf oder sechs Jahre damit beschäftigt.
Komponistin Rebecca Saunders: „Jede Art von Kunst ist willkommen und notwendig“
Ein O-Ton von Ihnen: „Brahms war meine große Liebe.“ War das eine Art Jugendsünde?
Keine Jugendsünde. Ich habe Geige gespielt, bis ich Mitte 20 war, und in der Abschlussprüfung an der Uni in Edinburgh habe ich mit meinem Vater Brahms gespielt, die A-Dur-Sonate. Dazu kam viel Brahms im Orchester, Kammermusik, die ganze Streicherliteratur. Davon musste ich für einige Jahre Abstand nehmen. Jetzt geht es wieder. Jetzt spiele ich sogar selber Brahms auf dem Klavier.
Ein anderer interessanter O-Ton von Ihnen: „Nicht jeder muss meine Musik hören wollen.“ Das ist…
Das wurde schon oft gedruckt… Es geht um den kulturellen Kontext. Wir leben, Gott sei Dank, in einer pluralistischen, sozialdemokratischen Gesellschaft, in der alles möglichst nebeneinander existieren kann. Höchst alarmierend wäre es, wenn es eine richtige und eine falsche Art von Kunst gäbe; wenn von oben herab vorgegeben würde, was Kunst sei und was nicht. Man schreibt Musik nicht, um jemandem zu gefallen. Man schreibt, was man schreiben muss, und aus Leidenschaft, Neugierde und dem Bedürfnis, durch die Musik miteinander zu kommunizieren. Und das ist ein Ausdruck der heutigen Zeit. Großartig an Musik ist, dass sie uns die Chance gibt, über Dinge nachzudenken, die sonst im alltäglichen Leben kaum zu benennen sind. Kunst hat eine wahnsinnig wichtige Rolle in der Gesellschaft und jede Art von Kunst ist willkommen und notwendig.
Rebecca Saunders: „Man schreibt, weil man muss“
Eines Ihrer Stücke fehlt leider im Sortiment der fünf Hamburger Konzerte: „Myriad“, für 2464 Spieluhren an einer 20 Meter langen Wand. Großartig. Wieso ist das nicht dabei?
Mit der Spieldosenwand habe ich drei musikalische Collagen ausgearbeitet, die immer größer und immer komplexer wurden. Die Spieldosen Wand, „Myriad“, wurde mit verschiedenen Kompositionen von mir räumlich bespielt. Ein passender Aufstellungsraum ist notwendig und das geht nicht im Konzertsaal, weil der Aufbau und der Abbau Tage dauern.
Könnten Sie nicht noch schnell eine handliche Kammerversion für nur drei Spieluhren arrangieren?
Diese Reihe ist jetzt abgeschlossen, ich werde aber diese Collagen jetzt mit alten Spieldosen weiterentwickeln. Von denen habe ich 250 und ich versuche, die Reihe aus einer ganz anderen Perspektive fortzusetzen.
Welches Stück hätten Sie eigentlich liebend gern komponiert – haben Sie aber nicht, sondern jemand anderes?
Das kann man so nicht beantworten. Was sind die wirklich großartigen Stücke? Monteverdis erste Oper beispielsweise. Dass er damals darauf kam, eine Oper zu schreiben! Momentan beschäftige ich mich viel mit Musik aus jener Zeit. Ich schreibe gerade eine Oper. Monteverdi, Purcell … die Musik aus dieser Zeit begeistert mich, die reduzierten musikalischen Mittel und diese enormen Ausdrucksmöglichkeiten, sehr inspirierend. Aber Ihre Frage beantworte ich nicht.
Porträt-Konzerte: 24.11. mit dem Ensemble Musikfabrik, 5.12. mit dem Trio Accanto, 28.2.24 mit dem Ensemble Modern und der Cocoondance Company, 11.5.24 mit dem Arditti Quartet, 28.5.24 mit dem Ensemble Resonanz. Infos: www.elbphilharmonie.de