Hamburg. In Hamburg versuchen Theatermacher Politikerinnen zu erklären, was sie eigentlich tun – und was das kostet. Abendblatt war dabei.

In der Freien Szene der darstellenden Künste herrscht Aufruhr. Die letzte Förderrunde fiel nach dem jahrelangen unverhofften Segen durch die Neustart-Kultur-Förderungen erschütternd gering aus. Nur 15 bis 20 Prozent – je nach Genre – aller Anträge auf Produktionsförderungen konnten in der letzten Förderrunde bewilligt werden. Ein aktuelles Gutachten zur Lage der Freien darstellenden Künste sieht eine Notwendigkeit einer Neuausrichtung und Aufstockung der Fördermittel.

Not aber macht erfinderisch. Und so hat der Dachverband Freie darstellende Künste Hamburg e.V. jüngst eine ungewöhnliche Idee aufgelegt: Unter dem Motto „Freie Szene trifft Politik“ begegnen sich einzelne Kunstschaffende und Abgeordnete des Senats, die eher keine große Nähe zur Kultur habe, um ihnen ein Bild von der Relevanz und den Arbeitsbedingungen zu vermitteln – auch mit Blick auf die Beratungen zum Doppelhaushalt 2025/2026.

Freie Theaterszene in Not: „Eigentlich muss ich aufhören“

An diesem verregneten Donnerstag ist der Regisseur Helge Schmidt, bekannt geworden durch seine 2019 mit dem Faust-Theaterpreis gekrönte Inszenierung „Cum-Ex Papers“, im Büro der Grünen Bürgerschaftsfraktion Hamburg verabredet mit der Fraktionsvorsitzenden Jennifer Jasberg, um mit ihr über die Freie Szene zu sprechen. Denn unter Freie Szene verstehen immer noch viele Politiker das Synonym „Kein Geld“.

„Es bedeutet, dass ich freiberuflich arbeite, aber eben auch, dass es Freie Kunst ist, die nicht an eine Institution gebunden ist. Ich beantrage ein Projekt und eine Jury entscheidet, ob das gefördert wird oder nicht und dann bin ich selbst verantwortlich“, erklärt Helge Schmidt der Politikerin zunächst. „Die Freie Szene berührt häufig andere Themen als Staats- und Stadttheater. Themen wie Kolonialismus oder queere Themen.“ Dann kommt er auf seine aktuelle Situation zu sprechen. „Ich mache politisches Dokumentartheater. Doch die Höchstfördersumme ist mit 50.000 Euro zu gering. Ich habe diese Maximalsumme in den vergangenen zwei Jahren als einziger im Bereich Sprechtheater erhalten. Alle anderen kommen nicht vor, weil die Mittel so schmal sind. Die Fördermenge ist insgesamt zu gering und die Förderungen für das einzelne Projekt sind zu klein. Das bedeutet auch für mich eigentlich, dass ich aufhören muss, in der Freien Szene zu arbeiten.“

Freie Theaterszene in Not: Nach einer gewissen Karriere kommt der Stillstand

Auch das Gutachten untermauert dies. Nach einer gewissen Karriere stelle sich ein Stillstand mit einem Glasdeckeleffekt ein. Den hat auch Schmidt erreicht. Aktuell bereitet er sein neues Projekt für das Frühjahr 2024 vor, in dem es darum geht, wie Finanzhandel mit Ackerland die Klimakrise befeuert und Kolonialismus im Globalen Süden vorantreibt. Die Höchstförderung von 50.000 Euro deckt gerade mal die Hälfte des Projektes ab. Weitere Gelder fand Schmidt beim Hauptstadtkulturfonds, was nun dazu führt, dass die Premiere in Berlin stattfinden wird und erst zwei Wochen später nach Hamburg kommt. Knapp 15 Menschen sollen davon bezahlt werden. Stiftungen können einspringen, aber auch dort sitzt das Geld derzeit nicht locker. 120.000 Euro wären notwendig für ein normalgroßes Projekt, bei dem man die Verpflichtung zur Honoraruntergrenze einhalten würde, die bei 3.100 Euro liegt.

Jennifer Jasberg hört aufmerksam zu und fragt nach Spielstätten. Für Räume gebe es womöglich leichter Geld als für Menschen. Schmidt erläutert das Fehlen einer Mittelbühne zwischen Bühnen wie dem Monsun-Theater und Kampnagel. Problematisch sei überdies die Situation der Probenräume, da die städtische Sprinkenhof GmbH die Mieten angehoben habe „Das Geld fließt aus den Projektmitteln zurück an eine Tochter der Stadt.“ „Was wäre denn da überhaupt eine Lösung?“, fragt Jennifer Jasberg nach. „Probenräume müssten günstig zur Verfügung stehen, wie in Berlin mit dem symbolischen Wert von fünf Euro“, entgegnet Schmidt. Es gebe schon jetzt eine Abwanderung der Kunstschaffenden nach Berlin.

Freie Szene: Die Projektmittel müssten verdoppelt werden, mahnt Helge Schmidt

„Das sind Details, die uns eigentlich gar nicht erreichen. Das muss von unten heraus wachsen“, findet Jennifer Jasberg und führt als Beispiel das Gängeviertel an. „Da müssen sich Leute mit Herzblut engagieren und sagen, das generiert einen gesellschaftlichen Mehrwert. Da hat man dann eine Schwelle, wo die Politik sich gerne dranhängt.“

Am Ende fehlt es an Geld, in den Strukturen und bei den Projektmitteln. Diese müssten, so Schmidt auf Basis des Gutachtens, verdoppelt werden. Vor der Pandemie gab es eine Anpassung nach oben. Doch nun drohe das gewachsene Biotop auszutrocknen. Bis zum Alter von 35 Jahren könne man das Leben mit 22.000 Euro im Jahr noch durchhalten, aber danach mit Familie und dem Gedanken an die fehlende Rente, bleibe vielen nur die Aufgabe der künstlerischen Tätigkeit, erklärt Helge Schmidt.

Jennifer Jasber: „Millionen in einer Krise? Kein Problem. Bei 16.000 Euro vor Ort wird es schwierig.“

„Je kleiner die Beträge, umso schwieriger wird’s“, sagt Jennifer Jasberg. „Über Nacht einen Fonds für Härtefälle mit fünf Millionen in einer Krise aufzulegen, ist kein Problem. Aber wenn es um 16.000 Euro vor Ort geht, wird es schwierig. Da kommt es auf die Lobby-Arbeit an.“

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Dabei kommt viel Innovation aus der Freien Szene, etwa, wenn es um inklusive Projekte geht. „Ich finde das total spannend. Ich glaube, dass das wichtige gesellschaftliche Aushandlungsräume sind“, so Jasberg. Und Schmidt ergänzt: „Die Besucher haben Lust, sich damit auseinanderzusetzen. Ein Raum von 100 Leuten kann ein Forum sein, wo es auch Austausch in Nachgesprächen gibt. Es ist niedrigschwellig. Es muss nur eine Jury überzeugt werden und nicht eine ganze Intendanz und Dramaturgie, die an dem eher schwerfälligen Supertanker Stadttheater einen komplexen Spielplan abstimmt.“

Es bleibt die Erkenntnis, dass die Perspektive, in dieser finanziell angespannten Zeit extra Geld zu generieren, nicht allzu rosig aussieht. Am Ende dieses sehr zugewandten, angenehm offenen Gesprächs sind sich Jasberg und Schmidt immerhin einig darin, dass das Thema eine Relevanz hat und an die Kulturpolitiker herangetragen wird. Vielleicht ja ein Hoffnungsschimmer.