Hamburg. In Kooperation mit dem Recherchezentrum Correctiv inszeniert das Lichthof Theater einen realen Wirtschaftskrimi.

„Es ging nicht mehr um Zahlen. Nicht mehr um die nächste Million. Es ging um den Thrill. Es ging um die Herausforderung, schlauer zu sein als alle anderen. Wir sind die schlauesten. Wir sind die Genies. Und ihr seid alle doof.“ Worte eines ehemaligen Finanz-Insiders und mittlerweile Kronzeugen der Staatsanwaltschaft in einem wohl einmaligen Skandal, über den sich bislang in Deutschland kaum jemand aufzuregen scheint.

Erst vor einer Woche deckte das Recherchezentrum Correctiv auf Basis der Arbeit von 40 Journalisten in 19 Medien einen gigantischen Steuerdiebstahl europaweit auf. Und schon an diesem Donnerstag bringt der Hamburger Regisseur Helge Schmidt das Stück „Cum-Ex Papers. Eine Recherche zum entfesselten Finanzwesen“ mit drei Schauspielern im Lichthof Theater zur Uraufführung. Es ist das Ergebnis einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit.

„Cum-Ex“ – 55,2 Milliarden Euro wurden aus Steuerkassen geraubt

Dabei geht es um „steuergetriebene Aktiengeschäfte“, besser bekannt als „Cum-Ex“ und „Cum-Cum“. Vermutlich illegal. Um die 55,2 Milliarden Euro wurden aus den Steuerkassen mindestens zehn europäischer Länder geraubt, allein 31,8 Milliarden in Deutschland zwischen 2001 und 2016.

Helge Schmidt hörte vor zwei Jahren zum ersten Mal von der Existenz dieser Geschäfte. Er bekam eine Förderung des Hamburger Elbkulturfonds für die Idee eines Wirtschaftskrimis, zwei Journalistinnen sollten den Theatertext erstellen. Da nahm das Projekt eine Wendung: Die Redaktion der TV-Sendung „Panorama“ (NDR), die 2017 erstmals Informationen über den Skandal veröffentlicht hatte, meldete sich und bezog Schmidt fortan in alle Recherchen mit ein. Verschwiegenheit über die Erkenntnisse war oberstes Gebot, der Scoop am 18. Oktober sollte nicht gefährdet werden. Schmidt erhielt auch Zugang zu den Aussagen des bis heute wichtigsten anonymen Kronzeugen, die nun rund 80 Prozent seiner „Cum-Ex Papers“-Inszenierung ausmachen.

Theater macht abstrakte Themen greifbar

„Ich habe mich gefragt: Warum stehen da nicht Leute vor den Banken und rütteln da mindestens an der Tür? Was ist da los? Wut entsteht ja gar nicht“, sagt Helge Schmidt. „Man hatte sich abgefunden, dass Konzerne und Banken ihre Spielchen spielen, aber die Strafe ausbleibt. Wir greifen das auf, in der Hoffnung, dass Theater Emotionen erzeugen kann. Weil das abstrakte Thema greifbar und fühlbar wird.“ Oliver Schröm, Leiter von Correctiv, ergänzt: „Theater kann auch Menschen erreichen, die sich gar nicht für Hardcore-Investigativstoffe interessieren, sich das gar nicht antun wollen.“ Bei allem Dokumentarcharakter will der Abend auch unterhalten. „Das Krimigenre ist eine Möglichkeit, deutlich zu machen, dass es sich wirklich um Verbrecher handelt“, so Helge Schmidt. Immerhin geht es um eine „Erstattung“ nie gezahlter Steuern. Bei Renditen von bis zu 15 Prozent in drei Monaten auf Millionensummen. „Das ist keine Steuerhinterziehung, sondern da wird aktiv in die Steuerkasse gegriffen. Als Diebstahl“, erläutert Journalist Schröm.

Am heutigen Mittwoch wird eine Erklärung des Europäischen Rats und der Europäischen Kommission zu dem Thema erwartet. Finanzminister Olaf Scholz hat sich bislang nicht zu den Recherche-Ergebnissen geäußert. Die Erkenntnisse von Oliver Schröm geben wenig Grund zu Optimismus: „Europa wurde ausgeraubt. Und die Geschäfte gehen weiter.“

Reichlich Stoff also für viele weitere Theaterkrimis.

„Cum-Ex Papers“ Uraufführung 25.10., 20.15, weitere Termine 26./27.10., 20.15, 28.10., 18.00, 15. Bis 17.11., jew. 20.15, 18.11., 18.00, Lichthof Theater, Mendelssohnstraße 15, Karten unter T. 01806/70 07 33