Hamburg. Das Stück „Tax For Free“ schlägt Bögen von Cum-Ex-Deals der Warburg-Bank über die Rolle Hamburger Spitzenpolitiker zu Michael Kohlhaas.

Das Zitat ist zwar schon mehr als 90 Jahre alt, aber immer wieder aktuell: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“, hatte Bertolt Brecht einen seiner Protagonisten in der „Dreigroschenoper“ sagen lassen und damit die negativen Auswüchse der Finanzbranche gebrandmarkt. Spekulationen auf Kosten von Volkswirtschaften haben seitdem wenige Leute reich und viele Leute arm gemacht, auch in diesem Jahrtausend.

Der Skandal um die Cum-Ex-Geschäfte setzte dem die Krone auf. Rund 55 Milliarden Euro wurden zehn europäischen Ländern geraubt, allein fast 32 Milliarden der Bundesrepublik Deutschland, weil sich Banken und Investoren durch einen Dreieckshandel von Aktien Geld vom Staat erstatten ließen, auf das sie gar keine Steuern gezahlt hatten. Der Hamburger Regisseur Helge Schmidt hatte den größten Steuerraub in der Geschichte Europas 2018 am Lichthof Theater im Stück „Cum-Ex-Papers“ hintergründig und plakativ thematisiert und dafür im Jahr darauf den deutschen Theaterpreis Der Faust bekommen.

Hamburger Spitzenpolitiker bleiben leise

Manche der Banker stehen inzwischen vor Gericht. Weil der Skandal indes noch weiteren Stoff bietet und auch darin involvierte Hamburger Spitzenpolitiker längst nicht alle Fragen beantwortet haben, hat Helge Schmidt nun ein weiteres Stück geschrieben und inszeniert: „Tax For Free - Scholz und Tschentscher geben einen aus, und Michael Kohlhaas wundert sich“.

Erneut hat Schmidt mit einem Team um den Investigativ-Journalisten Oliver Schröm („Panorama“) zusammengearbeitet, der jedoch vor kleinen Ungenauigkeiten auch nicht gefeit ist, wenn er in einleitenden Videosequenzen vom „Regierenden Bürgermeister“ - anstatt Erstem Bürgermeister - Olaf Scholz oder der „Hafenvertiefung“ statt der Elbvertiefung spricht. Nun, Hamburg ist nicht Berlin. Und das ist auch nicht immer gut so.

Verbindungen von Scholz zur Warburg-Bank

Welche Verbindungen in der Hansestadt in der Ära des früheren Senats-Präses und jetzigen Vizekanzlers Scholz zu der in den Cum-Ex-Skandal verwickelten Warburg-Bank herrschten, arbeitet Schmidt in gut 90 Minuten mit vier Schauspielern heraus, wie eine Pressevorstellung am Mittwoch im Bahrenfelder Lichthof zeigte. Und nicht nur das.

„Tax For Free“ (Steuern für lau) ist mehr als eine Chronik eines politischen Skandals. 2016 fordert Hamburg von der traditionsreichen Privatbank 47 Millionen Euro Steuern aus mutmaßlichen Cum-Ex-Geschäften zurück. Bis sich Christian Olearius, Mitinhaber der Warburg-Bank, mit Olaf Scholz trifft. Innerhalb weniger Tage entscheidet sich die Finanzbehörde unter dem damaligen Senator Peter Tschentscher dazu, auf die Erstattung zu verzichten.

Tagebücher von Olearius waren notwendig

Das mitunter schnelle Wechselspiel aus Video-Einspielern, Erläuterungen der Darsteller, aktuellen Szenen vor und hinter zwei Gaze-Stellwänden und kleinen Kostümschlachten aus Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ entfaltet seine Wirkung erst im Laufe der Inszenierung. Der gleichnamige Rosshändler, in der mehr als 200 Jahre alten Novelle Opfer eines Betrugs, sinnt auf Rache, nachdem ihm der Rechtsweg verweigert wurde. Kohlhaas reiste im 16. Jahrhundert durch Brandenburg und Sachsen. Günter Schaupp spielt ihn im Lichthof überzeugend als Individuum, das im Kampf gegen den Geld-Adel den Staat braucht. Das ist eine Botschaft.

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Das Kuriose an „Tax For Free“: Hätte die Staatsanwaltschaft bei Olearius, bis 2014 Sprecher der Gesellschafter der Privatbank, bei einer Durchsuchung nicht zahlreiche Tagebücher sichergestellt, wären sowohl die juristische Aufarbeitung als auch die Bühnen-Umsetzung des Cum-Ex-Skandals gemünzt auf die Hamburger Verhältnisse unmöglich gewesen. Sie gelten nicht als nur als Beweisstücke, sondern sind auch Inspiration für manche Szenen.

„Der lange Arm der Hamburger SPD“

Lustig etwa, wenn sich Scholz, Tschentscher und Banker Olearius treffen und dargestellt wird, wie es hinter verschlossenen Türen zugehen könnte. Und Ruth Marie Krüger als Olearius den Spitzen-Genossen vorjammert, welch Verlust es wäre, falls er das Geld aus seinem Privatvermögen zurückzahlen müsse. Solch ein Mittel der theatralen Überhöhung ist allemal legitim.

Investigativ-Journalisten Schröm und Kollegen decken zudem auf, wohin der „lange Arm der Hamburger SPD“ reicht, indem sie zur Sprache bringen, welchen Einfluss der ehemalige Zweite Bürgermeister Alfons Pawelczyk und der jahrzehntelange SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs aus dem Bezirk Mitte zwischen Bankern und Senat ausübten. Strippenzieher Kahrs, im Stück von Jonas Anders pointiert verkörpert, trat vor einem Jahr bekanntlich von allen politischen Ämtern zurück.

Untersuchungsausschuss in Hamburg nicht fertig

Und wie aktuell „Tax For Free“ ist, zeigte sich unmittelbar vor der gestrigen ersten Aufführung: Das Bonner Landgericht hatte den ehemaligen Generalbevollmächtigten der Warburg-Bank in erster Instanz zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Ermittlungen dauern an, manch Banker zittert vor Unbehagen - und manch Politiker sollte noch mal nach Erinnerungslücken kramen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss hat auch in Hamburg noch nicht fertig. Ob das, was da noch ans Licht kommt, womöglich für drittes Theaterprojekt am Lichthof taugt, bleibt abzuwarten.

„Tax For Free – Scholz und Tschentscher geben einen aus, und Michael Kohlhaas wundert sich“ Do 3.6., auch Fr 4./Sa 5.6., jew. 20.15, u. So 6.6., 18.00, Lichthof Theater (Bus 2, 3), Mendelsssohnstr. 15, Restkarten zu 8,- bis 24,- (Live-Event) bzw. 5,- bis 20,- (Stream): www.lichthof-theater.reservix.de