Hamburg. Frustration und Verzweiflung machen sich breit, weil überlebenswichtige Fördergelder fehlen. Kulturhaushalt der Stadt ist angespannt.
Die Pandemie sorgte zunächst bundesweit für viel Frust unter Kulturschaffenden: geschlossene Häuser, fehlende Auftrittsmöglichkeiten. Doch dann erreichte auch die Vertreterinnen und Vertreter der Freien Szene der darstellenden Künste ein unverhoffter Geldsegen und damit eine ganz unerwartete künstlerische Freiheit, die sie trotz geschlossener Häuser von 2020 bis 2022 emsig arbeiten und produzieren ließ.
Denn aus dem „Neustart Kultur“-Programm des Bundes gab es für die Kultur insgesamt zwei Milliarden Euro Förderung. Der Fonds Darstellende Künste war dabei mit 164 Millionen Euro gesegnet – 13 Millionen davon flossen über einen Zeitraum von drei Jahren nach Hamburg in die Freie Szene. Damit wurden auch Stipendien für Recherchen, Diskussionsformate, Archivarbeit und Wiederaufnahmen aufgelegt. Damals sei die Frage gewesen, ob man lieber die Arbeitslosigkeit oder die Kunstproduktion alimentiere, so Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda. Man wählte Letzteres und erzeugte Aufbruchstimmung.
Hilferuf der Freien Szene: Aufbruchstimmung ist dem Katzenjammer gewichen
Die ist inzwischen einem Katzenjammer gewichen, denn nachdem die Pandemie so weit überstanden ist, sehen sich die Theater- und Tanzschaffenden radikal von finanzieller Unterstützung abgeschnitten. „Die Förderung ist auf den Stand von 2018 zurückgefallen“, so Jens Dietrich, Vorstandsmitglied im Dachverband der freien darstellenden Künste Hamburg. Die Stadt habe „eine starke Szene, die sich in den letzten Jahren deutlich professionalisiert hat. Tanzschaffende touren vermehrt. Es gibt ein großes künstlerisches Potenzial, das sich entwickelt hat.“ Jetzt führten neue Vorschriften in Sachen Honorare und die herrschende Inflation zu massiv gestiegenen Kosten und damit zu realen Einbußen von bis zu 30 Prozent – hinzu kommt, dass deutlich mehr Kulturschaffende als früher in der Freien Szene aktiv sind. Diese sei kurz davor, auseinanderzubrechen.
Zu einer ersten Lagebesprechung angesichts der prekären Situation versammelte man sich vor einigen Wochen auf Kampnagel unter dem Motto „Dennoch! Zur Lage der freien Künste“. Dort war viel Verzweiflung unter den Kunstschaffenden, aber auch viel Selbstbewusstsein spürbar. Und der vom Fonds Darstellende Künste beauftragte Film „Dennoch!“ von Janina Möbius dokumentierte sehr anschaulich, welch Bedeutung den Akteuren der freien Szene auch gesellschaftlich zukommt. Die Szene ist divers, partizipativ – und gibt Bevölkerungsgruppen Raum, die sonst nicht so häufig vorkommen.
Der Kulturhaushalt in Hamburg ist angespannt,
Eigentlich sollten gemäß Koalitionsvertrag die Neustart-Programme weitergeführt werden, um den Übergang abzusichern. Doch dann kam der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, und die Gelder wurden anderweitig gebraucht. Nun ist man bei bundesweit zwei Millionen Euro Förderung, die mit etwas Glück vielleicht noch um fünf Millionen Euro aufgestockt wird. Das anvisierte Ziel bundesweit liegt anlässlich der Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 jetzt bei 16,5 Millionen – das sind nur zehn Prozent der damaligen Neustart-Gelder. „Während der Pandemie hat sich die Gesellschaft entschieden, die Künstler zu retten, und danach hat sie entschieden, sie fallen zu lassen“, so formuliert es Sibylle Peters, Künstlerische Leiterin des Fundus Theaters, während der Diskussion auf Kampnagel. Es sei aber so, dass man als Freie Szene die Förderung immer schon gebraucht habe.
Der Kulturhaushalt in Hamburg ist so angespannt, dass die jährlich über die Geldvergabe entscheidende Fachjury gerade im Bereich Sprechtheater, Musiktheater und Performance nicht einmal 20 Prozent aller gestellten Förderanträge bewilligen konnte. Von den beantragten 6,8 Millionen Euro wurden lediglich 1,5 Millionen Euro bewilligt.
Bewilligung möglicher Gelder ist eine politische Entscheidung
„Das ist nicht ausreichend, um eine freie Szene am Leben zu erhalten“, sagt Jens Dietrich. Derzeit überlegen einige Kulturschaffende ernsthaft, aus Hamburg wegzugehen und sich nach Köln oder Berlin zu orientieren, wo die Lage für sie besser sei.
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Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda sucht den Schulterschluss mit den Vertreterinnen und Vertretern der Szene. „Wir müssen miteinander eine Strategie entwickeln, wie wir begründen, welche Förderinstrumente wir künftig brauchen, damit wir die Struktur- und Professionalisierungseffekte fortsetzen können“, erklärt er. Eine gute Idee, nur: Das Geld ist im Augenblick nicht da.
Um diese durchaus existenzbedrohende Lage zu erörtern, trafen sich Vertreter des Fonds Darstellende Künste jetzt zu einem ersten Arbeitsgespräch in der Kulturbehörde. „Die Kulturbehörde sieht den Handlungsbedarf. Es soll ein Gutachten geben, um die Bedarfe konkret in Zahlen zu fassen“, so Jens Dietrich. Die Bewilligung möglicher Gelder sei letztlich eine politische Entscheidung.