Hamburg. Mit „Tax for Free“ bringt der Lichthof Politik auf die Bühne: „Scholz und Tschentscher geben einen aus und Kohlhaas wundert sich“.

Der Titel klingt charmant, dahinter aber steckt ein politisch brisanter Vorgang mit noch unbekanntem Ausgang: „Tax for Free – Scholz und Tschentscher geben einen aus und Michael Kohlhaas wundert sich“ heißt die Theaterproduktion, die der Regisseur Helge Schmidt derzeit im Lichthof Theater probt. Sie soll „am Beispiel der Verwicklungen von Olaf Scholz, Peter Tschentscher und der Warburg Bank die Legitimation von demokratischen Prozessen“ hinterfragen, so das Theater. Schmidt knüpft damit an seine mit dem Deutschen Theaterpreis FAUST ausgezeichnete Inszenierung „Cum-Ex Papers“ an, am Donnerstag ist Premiere.

Hamburger Abendblatt: Ihre Produktion „Cum-Ex Papers“ war ein enormer Erfolg, erst recht für eine kleine Bühne wie das Lichthof Theater. Waren eigentlich Olaf Scholz oder Peter Tschentscher mal im Theater, um sich das Stück anzuschauen?

Helge Schmidt: Es hat jedenfalls niemand mit uns das Gespräch gesucht. Wenn jemand in einer Vorstellung war, dann inkognito. Es war wohl eine Mitarbeiterin der Warburg Bank da, aber ich weiß nicht, aus welcher Führungsebene.

Es gab also aus dem Rathaus oder von der Bank keinerlei Reaktionen?

Schmidt: Von Kultursenator Brosda habe ich Glückwünsche für die Auszeichnung mit dem „Faust“ bekommen. Sonst nicht. Im Moment sind die Anwälte der Warburg Bank superaggressiv und klagen sogar gegen Tweets, praktisch gegen alles, was irgendwo veröffentlicht wird. Die beiden Journalisten, mit denen wir zusammenarbeiten, Oliver Schröm von „Panorama“ und Oliver Hollenstein vom „Manager Magazin“, haben ungefähr die zehnte Klage am Hals, was natürlich Geld und Nerven kostet. Ob uns das im Theater jetzt auch droht, weiß ich nicht. Wenn ich die Bank wäre – ich würd’s nicht tun. Das schafft natürlich nur noch mehr Aufmerksamkeit.

Was für ein Publikum hat sich „Cum-Ex Papers“ angeschaut? Waren Zuschauerinnen und Zuschauer im Lichthof Theater, die da sonst nicht sind?

Schmidt: Auf jeden Fall. Es war ein ganz anderes Publikum als sonst. Es war bürgerlicher, älter, gesetzter. Eher ein Thalia- oder Schauspielhaus-Publikum, würde ich sagen. Wir haben nach den Vorstellungen mehrfach Gespräche angeboten, und es gab dafür einen enormen Bedarf. 60 bis 70 Prozent des Publikums sind dafür dageblieben. Die wollten über das Stück sprechen, klar, vor allem aber wollten sie diskutieren: Was machen wir denn jetzt mit unserem Wissen? Da liegen Dinge auf dem Tisch, über die man sauer ist, was kann man also tun, was muss man tun? Und wer ist schuld: die Politik, die Banken? Es war ein tolles demokratisches Erlebnis.

Widerspruch? Widerstand? Regisseur Helge Schmidt in der Kulisse von „Tax for Free“.
Widerspruch? Widerstand? Regisseur Helge Schmidt in der Kulisse von „Tax for Free“. © Marcelo Hernandez

Das Thema „Cum-Ex“ wirkt auf den ersten Blick eher kompliziert und unsexy. Ist das Theater also - ergänzend zum investigativen Journalismus - womöglich eine unterschätzte Form, um konkret politische Öffentlichkeit zu schaffen?

Schmidt: Unbedingt. Genau das war das Gefühl vorher: Man liest es, man empört sich kurz und weiß aber eigentlich gar nicht, wie man reagieren soll. Jetzt haben wir die Erfahrung gemacht: Wenn man das teilt, wenn man es mit anderen gemeinsam schaut, es anders erzählt bekommt, dann will man dranbleiben. Wir als Theatermacher müssen uns auch nicht ausschließlich an die Fakten halten. Wir können spekulieren, wir können überhöhen oder persiflieren, da haben wir viel mehr Möglichkeiten. Journalistinnen und Journalisten haben eine andere Aufgabe als Künstler und Künstlerinnen. Die einen haben vor allem die Absicht zu informieren, wir aber wollen auch involvieren. Und die Inszenierung hat sich erstaunlich gut gehalten, ab August spielen wir sie wieder. Sie hat natürlich nicht mehr diese Tagesaktualität, funktioniert aber hervorragend als Parabel auf das Finanzsystem.

Ist „Tax For Free“ jetzt die Fortsetzung von „Cum-Ex Papers“?

Schmidt: Es fühlt sich so an, weil es personell fast identisch ist, aber für „Tax For Free“ muss man von „Cum-Ex“ gar nichts verstehen. Diesmal geht es um Politik und darum, was es mit unserer Demokratie macht, wenn sich Wirtschaftsvertreter hinter verschlossenen Türen mit Politikern treffen, und wenn Entscheidungen getroffen werden, die definitiv nicht im Sinne der Bevölkerung sind. Dafür muss ich nicht verstehen, wie das Steuergeld mutmaßlich geklaut wurde – da kann ich mich sofort empören. Bei „Cum-Ex Papers“ musste man eine ganze Welt erklären, während man bei „Tax For Free“ ab Minute 5 versteht: Darüber kann ich mich aufregen.

Sich empören, sich aufregen – ist es das, was Sie mit dieser Inszenierung erreichen wollen?

Schmidt: Ich möchte, dass Menschen Verantwortung übernehmen. Das betrifft Politiker genauso wie die Verwaltung oder die Bank. Auch die Bürger kann es betreffen. Möchte ich mich als Bürger in Zukunft so aufstellen, dass so etwas nicht passiert? Möchte ich eine andere Wahlentscheidung treffen? Da gibt es ja verschiedene Möglichkeiten. Aufregen können sich nach diesem Abend sicher alle – offen bleibt die Frage, über wen.

Wer „der Böse“ im Stück ist, ist also nicht offensichtlich?

Schmidt: „Der Böse“ – ich weiß nicht, ob es diese Formulierung trifft. Die Politiker sind jedenfalls aus meiner Sicht in einer Bringschuld. Es kann ja sein, dass ein Politiker entscheidet, es sei besser, dieses Geld bei der Bank zu belassen als es dem Bürger zu geben. Dann erwarte ich aber, dass man begründet, warum so entschieden wurde. Das muss doch klar nachvollziehbar sein! Die Behauptung, dass Olaf Scholz und Peter Tschentscher nichts gewusst haben, nehme ich ihnen nicht ab. Dass man damit durchkommt, zu sagen „Ich erinnere mich nicht“ oder „Das ist ein Steuergeheimnis“, das verstehe ich nicht. Auch die Papiere, die damals übergeben wurden, sind nicht da – so kann das Thema parlamentarisch nicht aufgearbeitet werden.

Als Sie mit „Cum-Ex Papers“ Premiere hatten, war Olaf Scholz noch kein Kanzlerkandidat. Jetzt ist er es – wie bewerten Sie das?

Schmidt: Ich mache mir nicht vor, dass man mit einem Theaterstück etwas anderes erreichen könnte. Aber ich glaube, der Großteil der Politiker möchte ethisch korrekt handeln und einen vernünftigen Job machen. Und ich stelle mir vor, dass es für diese Politiker unglaublich frustrierend sein muss, wenn es Personen gibt, die Politik dem Verdacht aussetzen, nicht so zu handeln. Ich glaube nicht mal, dass sich Scholz oder Tschentscher rechtlich etwas haben zu Schulden kommen lassen. Die Legitimität aber ist sicher überschritten worden.

Wie verbinden Sie die Cum-Ex-Affäre mit Kleists „Kohlhaas“?

Schmidt: Die Frage, die bei uns im Vordergrund steht, ist die nach dem Widerstand. Was kann man als Bürger eigentlich tun? Kohlhaas ist in der deutschen Literatur der Inbegriff eines Menschen, der Recht schaffen will. Der überdreht natürlich dabei und zettelt wegen einer Kleinigkeit einen Krieg an. Er geht in den größtmöglichen Widerstand und sagt: Wenn ich in meinen Rechten nicht geschützt werde, verliert das Recht auch Zugriff auf mich. Wie will man sich also involvieren? Man muss ja nicht Hamburg in Brand stecken, aber man kann sich fragen: Was wäre denn angemessen?

Hat die intensive Beschäftigung mit diesem Stoff einen Einfluss auf Ihre ganz persönliche Wahlentscheidung?

Schmidt: Nee. Es hat aber was mit meinem Demokratieverständnis gemacht. Es ist ja ein Reflex von Linken und Liberalen, dass der Staat der Böse ist. Was man bei diesem Thema aber ganz gut lernen kann, ist: Der Kohlhaas rebelliert gar nicht gegen den Staat, sondern gegen zu wenig Staat. Bei „Cum-Ex“ ist es auch nicht eine Frage von zu viel, sondern eher von zu wenig Staat. Der Staat ist nicht in der Lage und nicht angemessen aufgestellt, um sich zur Wehr zu setzen. Und das schafft Frust.

„Tax for Free“, Lichthof, ab 3.6., 20.15 Uhr (vor Ort & Livestream), Karten: lichthof-theater.de