Hamburg. Grimme-Preisträger Olli Dittrich erntet beim ersten von drei ausverkauften Tour-Heimspielen in der Laieszhalle Ovationen seiner Fans.

Später Sonntagabend, das ist „Dittsche“-Zeit. Seit 15 Jahren nun schon steht sein Erfinder und Darsteller Olli Dittrich für „Das wirklich wahre Leben“, so der Zusatz. In regelmäßigen Abständen im Fernsehen in bisher 28 Staffeln mit mehr als 250 Folgen. Auch an diesem Sonntagabend ertönt die Melodie („Stand By Your Man“) der WDR-Comedy-Serie. Nicht jedoch als Intro zum Treff in der „muggeligen“ Eppendorfer Grill-Station in Hoheluft-West, sondern erstmals in der Laeiszhalle. Hier ist „Dittsche“ ganz auf sich allein gestellt. Kann das gut gehen?

Die altehrwürdige Konzertstätte am Johannes-Brahms-Platz ist mit 2000 Gästen fast bis unters Dach gefüllt, als Dittrich alias „Dittsche“ in seinem obligatorischen blau-weiß-gestreiften Bademantel und auf Schumiletten hereinschlurft. In der rechten Hand eine Buddel Bier, in der linken Hand eine große Plastiktüte mit Pfandflaschen. Ein Mann, ein Mikro, viele Worte. Das Getränkeverbot im Großen Saal gilt beim ersten seiner drei Heimspiele auf der Deutschland-Tour für (fast) alle außer ihn. „Das ist das reine Hamburg, es perlt richtig“, begrüßt „Dittsche“ seine freudig erregten Fans.

„Ditsches“ Vorschlag: Imbisswirt Ingo mit einer Pflanze ehren, der „Ingosine“

Und wie das unter Freunden so ist, wird auch bei ihm, dem Imbissbuden-Philosophen und Arbeitslosen, über diejenigen geredet, die gar nicht da sind. Allen voran über Ingo, den Wirt, dessen Imbiss „Dittsche“ regelmäßig besucht. Dieser Ingo alias Jon Flemming Olsen fehlt als Anspieler der im Fernsehen stets improvisierten Dialoge, und so philosofaselt der Mann im Bademantel eben über dessen Vorliebe für alle möglichen Speisen aus der für seinen Geschmack zu warmen Vitrine: „Ingo ist gar nicht der Erste im Laden, es sind die Salate, die da stehen“, klärt „Dittsche“ auf. Doch dieser Verlierer-Typ ist wie sein Darsteller viel zu sehr Menschenfreund, als dass er den Lokal-Chef in die Pfanne hauen würde.

Obwohl „Dittsche“ das Wort „Merchandising“ nicht so richtig über die Lippen bekommt, entwirft er ein „Welt-Prinzip (nicht bloß die oft erwähnte „Welt-Idee“), wie Ingo mal so richtig Kasse machen könnte: in Ergänzung zum „Krieg der Sterne“ mit der Riesen-Curry als „Star-Wurst“ oder – 30 Jahre nach dem Mauerfall – mit einem Umtauschkurs von drei alten gegen eine neue Wurst. Und warum nicht nach Ingo eine Straße benennen oder eine Pflanze wie nach Loki Schmidt, sinniert er. Dank Ingos ananasähnlicher Perücke mit „Nuck-Chorris-Frisur“ lautet „Dittsches“ Namensvorschlag schlicht „Ingosine, ganz korrekt natürlich „’ne reine Ingosine“.

Dank Details erweckt „Dittsche“ seine Nachbarn bildhaft zum Leben

Dittrich, der vierfache Grimme-Preisträger und perfektionistische Darsteller, versteht es, das Hamburger Publikum abzuholen und mitzunehmen. Mal dank seiner Assoziationen, dann dank wirrer Ideen: Für die kalte und nasse Jahreszeit empfiehlt „Dittsche“ zum Grippe-Schutz eine heiße Melange aus Brühwürfeln und Ingos Grill-Hähnchen in der Badewanne, für ihn wahlweise zum Reinlegen oder Rausschlürfen – für viele im Saal schlicht zum Lachen.

Ebenso detailreich die Schilderung der Fahrt nach Poppenbüttel vorbei am Alstertal Einkaufs-Zentrum (AEZ), als er den früheren Imbiss-Stammgast „Schildkröte“ bei der Arbeit besucht hat, von dem es im Serien-Vorspann stets hieß „Steht im Baumarkt an der Säge“. Kröten-Mann Franz Jarnach starb bereits im Januar 2017, doch Dittrich gelingt es beim Soloritt in der Laeiszhalle, von „Kröti“ neue alter Bilder zu entwerfen. Auch seine Nachbarn, die er im Fernsehen oft erwähnt, die aber nie zu sehen sind, erweckt er so bildhaft zum Leben: Gemüsehändler Giovanni aus Langenhorn etwa oder Herrn und Frau Karger – er von Beruf gescheiterter Friseur, sie in erster Linie „Royalistin“. Weil er die Begegnungen mit dem Ehepaar leider sehr auswalzt, erstreckt sich allein der erste Teil von Dittrichs Soloprogramm auf 75 (zu) lange Minuten.

Im zweiten Teil widmet er sich von der Leyen, Merkel und dem „reinen Donald“

Umso kurzweiliger, teils sogar überraschend politisch über weite Phasen der zweite Abschnitt. Weshalb sollte Ursula von der Leyen als neue Chefin der EU-Kommission nach ihrer dreisprachigen Vorstellungsrede nicht auch den Eurovision Song Contest moderieren, regt „Dittsche“ an – oder zumindest den nationalen Vorentscheid, „damit Barbara Schöneberger mal ‘ne Pause hat“. Wegen ihres langen Namens mitsamt Schild („So ein Brett“) müsse Ursula von der Leyen jedoch mit vier Meter Abstand zu ihren Gesprächspartner zur Linken und zur Rechten rechnen, unkt er.

Für Angela Merkel, die im Sommer mehrmals bei Staatsempfängen wegen mutmaßlichen Wassermangels geschwächelt hatte, entwirft „Dittsche“ das kuriose Bild von der „Mutti-Funktionsjacke“, die dank eingebauter Schläuche auf Knopfdruck (per Raute!) die Wasserversorgung sicherstelle. Bei Begegnungen mit Wladimir Putin oder Donald Trump auch wahlweise mit Kräuterlikör oder Magenbitter. Und natürlich liefert „Dittsche“ seine Erklärung, weshalb der „reine Donald“, dessen Haare aus goldener Zuckerwatte („Aus Louisiana!“) bestehen, 2017 im Oval Office Angela Merkel den Handschlag verweigert habe: Er habe Sorge gehabt, die Kanzlerin sei „statistisch“ (sic!) zu sehr aufgeladen, sodass er nach dem Shakehands aussehe wie Rod Stewart. Auch für diese steile Polit-These erntet „Dittsche“ reichlich Lacher und Beifall.

„Dieter Bohlen ist so blind, er denkt, er macht Musik“

„Es gibt keine Titanen mehr“, bedauert er. Oliver Kahn sei der „letzte Überlebende mit Vogelgrippe“, ätzt Dittrich über den Ex-Welttorhüter.. Und Dieter Bohlen? „Beethoven war am Ende so taub, dass er dachte, er sei Maler“, so der Comedian. „Bei Dieter Bohlen ist es genau umgekehrt: Der ist so blind, der denkt, er macht Musik.“ „Dittsche“ sagt’s und stimmt a cappella eine treffend-lächerliche Hit-Parodie im Bohlen-Stil an. Der Saal johlt.

Als 13-Jähriger sei er das erste Mal in der damaligen Musikhalle gewesen, von Reihe 2 aus habe er Udo Jürgens bei seiner Tour 1970 hier erlebt, erinnert sich der Hamburger Künstler. Er habe fast 50 Jahre länger gebraucht, um hier auf der Bühne zu stehen, bedankt sich der 62-Jährige beim Publikum. Es ist am Ende mehr Dittrich als „Dittsche“, der sein Innerstes nach außen kehrt. Auch dafür feiert ihn das Publikum stehend nach einem mit mehr als zweieinhalb Stunden etwas zu langem Comedy-Soloabend.

Dittsche: „Live & Solo“ noch Mo 4./Di 5.11., jew. 20.00, Laeiszhalle ,wenige Restkarten ab 12,- an der Ak.; www.kj.de