Hamburg. Der stählerne Segler an den Landungsbrücken ist jedem ein Begriff, Jürgen Rickmers eher nicht. Sein Ururenkel sagt: reine Legende.

Es fing klassisch an. Mit einer Kiste. Genauer: mit einer Seekiste, der des Kapitäns Jürgen Rickmers. Dieser war der Ururgroßvater des Hamburger Audio-Engineers und Produzenten Bente Faust. Ein Seefahrer, der im 19. Jahrhundert die Weltmeere bereiste. Bente Faust las die Reiseberichte seines Vorfahren. Wie sollte jemand wie er, der nicht nur in Hamburg aufwuchs, sondern auch auf Föhr, nicht von dem fasziniert sein, was der Volksmund immer schon „Seemannsgarn“ nennt?

Faust machte zuerst einen Podcast aus seiner Entdeckung und nun gemeinsam mit Claus-Peter Lieckfeldt ein Buch. „Das Süderende der Welt. Die sieben Leben des Jürgen Rickmers“ ist ein historischer Abenteuerroman, der dramaturgisch geschickt von den Reisen des Föhrer Seefahrers erzählt. Mit der Helgoländer Rickmers-Sippe, die in Bremerhaven und Bremen wirkte und deren Frachtsegelschiff „Rickmer Rickmers“ an den St. Pauli-Landungsbrücken liegt, haben die Föhr-Rickmers‘ übrigens nichts zu tun.

Seefahrer Rickmers: Abenteuer der Seefahrt aus erster Hand

Das Buchcover von „Das Süderende der Welt“.
Das Buchcover von „Das Süderende der Welt“. © KJM Verlag | KJM Verlag

Nicht zuletzt deswegen muss man von Jürgen Rickmers selbst bei großer nautischer Begeisterung nicht zwangsläufig etwas gehört haben. Die Autoren kannten ihn ja selbst nicht. Wer nun aber etwas über die Seefahrt im 19. Jahrhundert, deren Gefahrenpotenzial weitaus größer war als heute, erfahren möchte, der wird in „Das Süderende der Welt“ aus erster Hand unterrichtet. Der erzählerische Kniff, Rickmers in der Ich-Perspektive (er erzählt einem Journalisten sein Leben, damit der alles für die Nachwelt aufschreibt) fabulieren zu lassen, ist klug eingesetzt. Es ist alles sehr szenisch, gegenwärtig. Den „Skribenten“ Broder Stern gab es nicht, aber „sein Blick auf Rickmers gibt dem Roman eine neue Dimension“, wie Verleger Klaas Jarchow im Nachwort schreibt.

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Das stimmt, diese zweite Hauptfigur kommentiert das Tun des Kapitäns fortwährend. Sie sind quasi beide die Erzähler, und das versetzt die Erzählung in Schwingungen. Broder Stern ist gewissermaßen der Anwalt der zügellosen Schilderung. Diese betrifft das heroische Überleben; im Grunde ging es um nichts anderes in der harten Welt der Ozeane. Vor Chinas Küste soff Jürgen Rickmers mit seiner Mannschaft fast ab, seinen Bericht an den Auftragsschreiber will er nachträglich streichen lassen. „Ich bin dieser Aufforderung nicht nachgekommen“, notiert Broder Stern lakonisch.

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Und deshab bekommen die Leserinnen und Leser Passagen wie diese zu lesen: „Irgendwann bemerkte ich, wie etwas heftig an mir zog. Es war das Tau, das ich mir um den Bauch gebunden hatte, es zog mich Richtung Oberfläche. Dann waren da Arme, die mich samt Seil und Kiste zum treibenden Hauptmast zogen. Ich holte tief Luft. Ich atmete. Ich lebte. Dann sah ich die Männer, die ihre Hälse aus den Schaumkronen reckten, und ich wusste, ich bin immer noch ihr Kapitän. Ich war als Letzter von Bord gegangen, ich sollte auch als Letzter untergehen. Dann trieben wir. Stumm, keiner hatte Atem für Worte.“

Jürgen Rickmers: Sein Ritt über die Weltmeere spielt die Hauptrolle

In diesem im Blankeneser KJM Buchverlag erscheinenden, sagen wir‘s halt: Schmöker, spielt Jürgen Rickmers‘ Ritt über die Weltmeere die Hauptrolle. Zum Beispiel nach Amerika: Das New York der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird plastisch. Und das Gefühl, wie es ist, einen Taifun überlebt zu haben. Seine späten Biografen nennen Rickmers „einen der erfolgreichsten Kapitäne des 19. Jahrhunderts“, wir wollen es ihnen mal glauben und vertrauen der Kraft des Erzählens.

Volle Segel, Wellengang: Ein Gemälde vom Ende des 19. Jahrhunderts.
Volle Segel, Wellengang: Ein Gemälde vom Ende des 19. Jahrhunderts. © picture alliance / Heritage Images | The Print Collector

Föhr-Liebhaber kommen ebenfalls zu ihrem Recht und die, die das Menschlich, allzu Menschliche mögen. Denn „heftig bewegte Leben“ (Klappentext) schwanken nicht nur vom Seegang, sondern von privaten Ereignissen. Ein „dunkles Geheimnis“ hat immer ein hohes Spannungskaliber.