Hamburg. Der Schlagerstar über Streaming, seine kommende Tournee, „Komet“ und den Kulturschock, als er aus Südafrika nach Deutschland kam.
Als er hereinkommt, liegt es so quälend verlockend auf der Zunge, das „Hello again“. Lippen zusammenpressen und an etwas Schönes denken ... Howard Carpendale ist jetzt 77 Jahre alt, trotzdem glänzt seine blonde Haarwelle mit dem goldenen Schriftzug auf seinem schwarzen Sportanzug um die Wette, als der in München lebende deutsch-südafrikanische Schlagerstar sein offizielles Hamburger Büro – ja, das gibt es – in Alsternähe besucht.
Auch wenn die aktuelle Platte „Let‘s Do It Again“ sein 37. Album ist, wirkt er sehr stolz und zufrieden wie ein Newcomer. Dabei hat er erneut nur knapp die Chartspitze verpasst, auf die es bislang keines seiner Alben und auch keine Single („Ti amo“, „Deine Spuren im Sand“) geschafft haben. Einen weiteren Anlauf wird er wohl nicht unternehmen, es gibt so einiges, was ihn am Musikgeschäft stört, und das sagt er im Gespräch so bissig, aber auch selbstkritisch wie jemand, der sich und anderen nichts mehr beweisen muss.
Hamburger Abendblatt: Wenn überlegt wird, wer die drei großen verbliebenen Schlagerlegenden sind, fallen wohl folgende Namen: Roland Kaiser, Matthias Reim und Howard Carpendale. Alle sind in ein gewisses Alter gekommen, aber die Alben sind immer noch für mindestens Platz zwei gut, und die Hallen auf den Tourneen sind groß, die Shows bombastisch. Hätten Sie das vor 20 Jahren bei Ihrem vermeintlichen Abschiedskonzert in Köln für möglich gehalten?
Howard Carpendale: Bestimmt nicht, ich dachte ja, die Pause wäre für immer. Aber als ich 2007 zurückkam, hatte ich schon das Gefühl, dass wir noch eine lange Strecke vor uns haben. Ich habe eigentlich nicht mit vielen Zweifeln in meinem Leben gehadert. Man muss nur einen Weg finden, sich mit der Zeit zu verändern. Und ich behaupte, dass ich mich sehr verändert habe von „Das schöne Mädchen von Seite 1“ über „Laura Jane“ zu meinem Lieblingstitel „Wild Horses“ von Gino Vannelli, den ich auf meinem neuen Album singe. Das wollte ich schon lange, und vor ein paar Monaten sagte mein Manager: „Dann sing das Scheißding doch endlich, bevor du aufhörst.“
Sie denken ans Aufhören?
Carpendale: Nein! Ich denke überhaupt nicht ans Aufhören. Aber ich möchte keine Alben mehr aufnehmen. Ich habe keine Lust, mich auf Streaming einzulassen: „Howard, bitte kein Intro länger als sechs Sekunden, bitte kein Gitarrensolo, aber bitte schön Four-to-the-floor-Beat.“ Alles wird immer ähnlicher, das ist doch traurig. Das Zeitalter der Alben ist vorbei, dabei interessieren mich Alben viel mehr als Singles. Sie erzählen so viel mehr.
Howard Carpendale: „Die Musik im Schlagerbereich hängt hier sehr hinterher“
Gerade ein Künstler wie Sie hat viel zu erzählen, Sie sind einen weiten Weg gegangen.
Carpendale: Ich kam mit der Musik von Jimi Hendrix, Beatles und Rolling Stones im Herzen in den 60er-Jahren nach Deutschland, und da waren Vico Torriani und Peter Alexander die Topstars. Das war zunächst ein Kulturschock. Eigentlich habe ich mich davon 60 Jahre später immer noch nicht erholt. Die Musik im Schlagerbereich hängt hier sehr hinterher, wir haben die Leute immer noch nicht so weit, dass sie auf die Zwei und die Vier klatschen.
Das werden wir wohl nicht mehr schaffen.
Carpendale: Sie werden lachen, ich habe bei meinen Konzerten eine Nummer, wo ich das Publikum bitte, auf die Zwei und die Vier zu klatschen, und das funktioniert auch drei Minuten. Und die Leute merken: Groove kann schon geil sein.
Noch mal zu den Beatles: Ihr erster Erfolg 1969 war eine deutsche Interpretation von „Ob-La-Di, Ob-La-Da“. Diese Nummer von Paul ist nicht gerade ein Kritikerliebling.
Carpendale: Heute würde ich das vielleicht anders machen, aber damals war ich einfach ein junger Mann, der dachte: Ich brauche einen Hit. Ich wollte ein erfolgreicher Sänger werden.
Howard Carpendale: „,Party‘ ist mein Lieblingsschimpfwort“
Das Endergebnis stimmt ja. Bis heute. Ihre Jubiläumstour „Die Show meines Lebens“, die 2022 in der Hamburger Barclays Arena für ein Live-Album mitgeschnitten wurde, war schon ein Spektakel. Wie wollen Sie das im Mai 2024 an gleicher Stelle noch toppen?
Carpendale: Das kann ich nicht. Das geht nicht. Ich kann nur ganz andere Wege gehen. Die Idee meines Teams, das „Die Show meines Lebens“ zu nennen, zwang mich natürlich, mir was einfallen zu lassen. Ich hätte mir gewünscht, dass mehr Menschen die Show gesehen haben, da hat die Pandemie doch viel gestört, trotzdem werden wir das so nicht wiederholen. Wir lassen uns wieder neu inspirieren …
Aber der inoffizielle Untertitel ist „Ich geb mir selbst ‘ne Party“?
Carpendale: „Party“ ist mein Lieblingsschimpfwort. Ich möchte eine Show mit Höhen und Tiefen, mit Tränen, Spaß, Tanz und Gänsehaut. Aber nicht zwei Stunden nur Party. Das akzeptiert mein Publikum auch.
Wie sehr grübeln Sie über die Songauswahl, in 50 Jahren kommt ja einiges zusammen?
Carpendale: Ich gehe nicht 750 Lieder durch und markiere dabei die erste, zweite, dritte Nummer des Abends. Meist weiß ich, womit ich anfangen möchte und dass es später rockiger werden soll, und dann gehe ich zum Beispiel im Auto mehrmals die Show im Kopf durch.
Howard Carpendale: „Einige Lieder waren nicht so glaubwürdig, wie ich es gern bin“
Sie sagten mal: „Das Wichtigste bei einer Show sind die Ansagen“.
Carpendale: Nicht das Wichtigste, aber irre wichtig. Ich rede schon gern viel mit den Fans, erkläre die Lieder und was sie mir bedeuten. Ich lerne das nicht auswendig, nur ein paar Stichworte, sonst würde mir das keinen Spaß machen.
Gibt es Songs in Ihrer Karriere, die Sie gern lieber nicht aufgenommen hätten?
Carpendale: Viele. Wirklich viele. Einige Lieder waren nicht so glaubwürdig, wie ich es gern bin. Das ist das Problem an Alben gewesen: Du hattest zehn Titel und warst zufrieden. Dann sollten aber zwölf drauf, und dann hat man eben doch einiges nicht aussortiert. Aber: Für das neue Album haben wir 16 Titel aufgenommen, und ich bin mit allen glücklich. Das ist für ein letztes Album schon sehr passend.
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Was hat sich für Sie noch besonders auffällig verändert im Musikgeschäft?
Carpendale: Eine Karriere wie meine wird es nie wieder geben. Die Betonung liegt auf nie wieder, nicht auf meine. Eine Karriere wie Roland Kaiser werden wir nie wieder erleben. Oder ein Lied wie „Atemlos durch die Nacht“, das eine ganze Nation mitsingt. Dafür sind die Musikgeschmäcker viel zu kleinteilig geworden.
Howard Carpendale: „Die Tiefpunkte meines Lebens würde ich gern privat halten“
Ääh, das Lied „Komet“ von Udo Lindenberg und „Apache 207“ brach dieses Jahr alle Rekorde? Das ist ein Multigenerationen-Hit.
Carpendale: Keine Frage, für die beiden ein großartiger Erfolg. Ich habe ihn nur einmal gehört und nicht wie so die Hits früher. Durch das Streaming gibt es neue Regeln, aber so ein klassischer Hit, um den es wochenlang geht, das wird es nicht mehr geben.
Herr Carpendale!
Carpendale: Okay, vielleicht habe ich Unrecht, ein Titel wie „Komet“ kann wohl mal durchsickern. Aber frag doch mal Menschen auf der Straße, was aktuell in den Charts ist. Jüngere wissen es vielleicht. Aber die Generation über 40?
Wenn Ihr Leben irgendwann verfilmt werden würde, was wäre die Schlüsselszene?
Carpendale: Ich würde verfügen, dass das nie passiert. Was ich jetzt mache, ein Musical mit Thomas Hermanns mit meiner Musik, das finde ich viel besser. Aber die Tiefpunkte meines Lebens, von denen es einige gab, würde ich gern privat halten, auch weil da mehr Menschen als nur ich betroffen wären. Aber ein Film ohne Tiefpunkte ist auch langweilig. Schlüsselszene. Hm. So, wie ich hier sitze, war das „Die Show meines Lebens“. Ich wünschte nur, ich wäre schlanker gewesen (lacht).
Howard Carpendale Mi 29.5.2024, 20.00, Barclays Arena (S-Bahn Stellingen + Bus 380), Sylvesterallee 10, Karten ab 69,90 Euro im Vorverkauf; www.barclays-arena.de