Hamburg. Der „Verdammt, ich lieb’ dich“-Sänger Matthias Reim über Höhen und Tiefen, die Schlagerschublade, seine Leidenschaft für Black Sabbath.

Die höchste Hotelsuite in Hamburg, weißes Leder, ein Blick über Planten un Blomen bis zum Hafen: Der Sänger, Songschreiber und Produzent Matthias Reim hat sich offensichtlich wieder hochgespielt. Am 29. Dezember singt er in der Barclays Arena, ein weiter Weg: Nach seinem ersten und größten Erfolg mit dem Song „Verdammt, ich lieb’ dich“ 1990 folgte ein schneller Abstieg, Millionenschulden nach Missmanagement und Fehlentscheidungen und ab 2003 ein langsamer Wiederaufstieg bis zu seinem zweiten Nummer-eins-Album „Unendlich“ 2013. Höhen und Tiefen, sieben Kinder mit sechs Frauen, drei Jahrzehnte Showgeschäft: Reim, derzeit auf Open-Air-Tour und an letzten Arbeiten an einem kommenden Livealbum, wirkt im Gespräch wie jemand, den nichts mehr erschüttern kann. Fröhlich, offen und selbstkritisch lässt er drei Jahrzehnte Revue passieren – und fragt sich, warum er in der Schlagerschublade steckt.

Hamburger Abendblatt: Wenn die Archive stimmen, haben Sie vor 2015 selten in Hamburg gespielt, 2001 im CCH, aber viel mehr ist sonst nicht zu finden. Was war denn da los?

Matthias Reim: Da haben wir unter der Wahrnehmungsgrenze die Provinz gepflügt mit Auftritten in Kleinstädten vor 800 Fans.

Seit dem Comeback-Album „Unendlich“ 2013 und fünf folgenden, ebenfalls sehr erfolgreichen Alben wurde eine beachtliche Ernte eingefahren: große Hallen, große Band, amtliche Shows. Dann kam leider eine Pandemie dazwischen.

Reim: Ja, aber so nervig Corona auch war, konnte ich die Zeit sehr gut nutzen. Wir hatten viel Zeit, an der Tour und am Team zu feilen, denn ich fand den Sound und die Arrangements bis dahin nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte, da war zu wenig Dynamik. Trotzdem hatte ich auch noch Zeit, ein Album aufzunehmen und mir noch ein Haus mit Studio und Proberaum einzurichten, dazu eine Lichtanlage. Wenn ich die Augen geschlossen habe, konnte ich mir vorstellen, auf der Bühne zu stehen. Ich habe mich also halbwegs sinnvoll beschäftigt.

„Niemand hat sich getraut zu sagen: ,Matthias, das ist doch scheiße’“

Sie sind seit mehr als 30 Jahren im Geschäft und tüfteln immer noch unzufrieden mit dem Klang?

Reim: Vielleicht wird man mit der Zeit kritischer seiner eigenen Arbeit gegenüber, besonders wenn einen die Pandemie zu einsamen Nächten im Studio zwingt und der Wirbel, das Herumreisen von Konzert zu Konzert, schlagartig unterbrochen wird. Na ja. Ich hatte mit meinem ersten Hit vor über 30 Jahren überhaupt keine Erfahrung. „Verdammt, ich lieb dich“ ist aus dem Nichts hochgeschossen, ich hatte keine Live-Erfahrung, ich hatte kein Management, ich hatte keine Berater – und vor allem hatte ich keine Kritiker. Niemand hat sich getraut zu sagen: „Matthias, das ist doch scheiße so, das geht viel besser.“ So konnte ich mich in den 90ern auch nicht lange halten.

„From zero to hero“, von der Null zum Helden – und wieder zurück.

Reim: Ich habe immer Kollegen wie PUR bewundert und beneidet, weil die ihren Weg Schritt für Schritt gegangen sind, mit Einbrüchen und Schwierigkeiten, aber immer die Treppe weiter hoch. Ich habe mich einfach in eine Rakete gesetzt. Ein moderner Ikarus, ab zur Sonne, und dann war ich weg vom Fenster. Ich könnte mich auch heute als Produzent, Komponist und Texter ernähren. Aber ein bisschen schade fand ich es schon. Das ist die logische Konsequenz, wenn du Popstar und „Bravo Gold-Otto“-Besitzer bist: Bei den ersten beiden Tourneen waren nur kreischende Teenager im Publikum, aber die sind zwar schnell begeistert, aber nicht treu. Die kommen jetzt erst wieder, mit ihren Kindern.

„Mit drei Messern im Rücken gehe ich noch lange nicht nach Hause“

Weil Sie es geschafft haben, so lange das Loch zu durchwandern, bis am Ende des Tunnels der Kultstatus leuchtet. Da gibt es ja viele Beispiele, Udo Lindenberg, Roland Kaiser …

Reim: Zu Udo komme ich noch. Aber Roland! Was hat dieser Mann für massive Rückschläge eingesteckt, chronische Lungenerkrankung mit Transplantation, und dann geht er so einen Weg bis heute, da habe ich größten Respekt vor. Sich zu sagen, ich bin dem Tod von der Schippe gesprungen und mache weiter, und das besser denn je, dafür kann es nur Liebe geben. Er weckt Erinnerungen und Sympathie, gibt seinen Kultliedern ein modernes, aber passendes Gewand und holt damit Alt und Jung ab, genau das wollen wir auch mit „Verdammt, ich lieb‘ dich“ und „Ich hab’ geträumt von dir“ machen.

Zwei Ihrer Albumtitel sind „Unverwundbar“ und „Männer sind Krieger“ – sind das Stichwörter, die Sie beschreiben?

Reim: Ich erzähle in meinen Songs eigentlich immer das Gegenteil, in „Unverwundbar“ zum Beispiel, wie verletzlich ich bin. Dieses typisch männliche Verhalten, zu sagen „mit drei Messern im Rücken gehe ich noch lange nicht nach Hause“, wird von der Realität ja gern eingeholt. Auch gesundheitlich. Ich habe mir immer viel auf meine Gene eingebildet, meine Oma wurde 106 Jahre alt, mein Vater wird 95. Prompt kam 2015 eine seit den 80ern unentdeckte Herzmuskelentzündung, da halfen auch die tollen Gene nicht mehr, und ich musste ein Konzert in der ausverkauften Berliner Wuhlheide absagen.

Wie viele Ihrer besungenen „Sieben Leben“ haben Sie denn schon verbraucht?

Reim: Ich hoffe erst fünf.

Gibt es Punkte in Ihrer Karriere, wo Sie falsch abgebogen sind?

Reim: Nein, aber ich habe lange versucht, den richtigen Weg zu finden, und dabei manchmal die Kurve etwas zu spät genommen. Aber ich bin froh, dass mein Leben so verlaufen ist, mithilfe von Fleiß, Ehrgeiz – und 70 Prozent Glück. Ich bin ein Stehaufmännchen mit einer Geschichte, und das bewundern viele Menschen, obwohl ich mich nicht bewundernswert finde. Man hat doch nur zwei Optionen im Leben: aufgeben oder aufstehen.

„In den 70er-Jahren war Schlager absolute Grütze“

Und aufgeben ist keine Option für einen Musiker.

Reim: Ich kenne keine Musikerinnen oder Musiker, die aufgeben. Ich kenne nur welche, die erfolgloser werden, aber mit entsprechendem Drama wie bei mir ist das auch wieder erfolgversprechend.

Man kann mit Ihnen stundenlang über Ihre Lieblingsband Black Sabbath, über alte Gitarren, Verstärker, Rock ’n’ Roll quatschen, da wundert es schon, dass Sie in die Schlagerschublade gesteckt werden.

Reim: Wenn wir schon über Schubladen reden: Ich verstehe sie nicht. Durch meine Geschichte, durch Auftritte in der „ZDF Hitparade“ habe ich eben den Stempel „Schlagersänger“. Weshalb müssen wir immer mit solchen Schubladen leben? Nur weil ich deutsch singe? Seit meinem elften Lebensjahr habe ich in Bands gespielt, und keine hatte etwas mit Schlager an der Mütze. Wir haben „Born To Be Wild“ gespielt, in den 70er-Jahren war Schlager absolute Grütze – mit wenigen Ausnahmen wie Udo Jürgens.

Die 80er und 90er und das Beste von heute waren nicht besser, alles klang gleich auf dem Teller der akustischen Formfleischschnitzel von Jean Frankfurter und Dieter Bohlen.

Reim: Ich höre gern Schlagersender im Auto und trommele manchmal verzweifelt auf das Armaturenbrett, wenn diese schrillen Standard-Synthies die ganze Zeit durchballern. Ja, haben die keine Ohren? Aber gut, als Schreiber und Produzent komme ich aus einer anderen Schule: Pink Floyd, Led Zeppelin, Black Sabbath – und Udo Lindenberg. Als der damals loslegte, war ich wirklich erweckt: Ja schau, Matthias, das geht ja auch auf Deutsch! Udo hat mich dazu gebracht, umzudenken: Tolle Musik geht auch auf Deutsch, du musst nur die richtigen Worte finden. Die Geschichten erzählen, und das nicht in dieser Schlagerkunstsprache.

„Ich rief Finch an und sagte, ich müsste meinem Sohn etwas beweisen“

Eine interessante Parallele: Nur einen Monat nach dem Song „Komet“ von Udo Lindenberg und Rapper Apache 207 erschien im Februar das Lied „Pech & Schwefel“ von Matthias Reim und Rapper Finch. Ist das jetzt der neue Trend, dass sich die erfolgreichsten Ü65-Deutschpop-Sänger mit der aktuellen Hip-Hop-Platingarde verbünden?

Reim: Nein, ich habe nur eine Wette gewonnen. Ich war auf dem Weg nach Italien mit dreien meiner Kinder, und mein Sohn Julian machte den Auto-DJ. Bei einem Song feierte er total ab, und ich fragte, wer das sei: „Finch.“ Ich meinte, der ist ja schräg, abgefahren. Julian sage: „Mit dem müsstest du mal ein Duett machen, aber als alter Schlagersänger wird das ja nix.“ Ich sagte nur: Wetten? Ich rief Finch an und sagte, ich müsste meinem Sohn etwas beweisen. Wer konnte denn vorher ahnen, dass Finch seit Jahren Matze-Reim-Fan war und bei seinen Shows „Verdammt, ich lieb‘ dich“ sang? Jedenfalls passte das wie Arsch auf Eimer, und wenn ich „Pech & Schwefel“ mit meinem Sohn live singe, kriegt das noch einmal eine ganz andere Dimension.

Und mit wem würden Sie gern noch ein Duett singen?

Reim: Da ich mit Black Sabbath groß geworden bin und jeden Song kenne: Ozzy Osbourne.

Matthias Reim Fr 29.12., 20.00, Barclays Arena (S Stellingen + Bus 380), Sylvesterallee 10, Karten ab 56,90 im Vorverkauf