Hamburg. Hamburger Sänger spricht im Interview übers neue Album, Kitsch, zerfeierte Pappmaulküsse in Berlin und zu viel Jägermeister.
Hotels, Bars, Cafés oder Labelbüros sind die üblichen Orte, um sich zum Gespräch mit Musikerinnen und Musikern zu treffen. Axel „Aki“ Bosse hingegen lädt in „Dein Topf“, einem im Lockdown 2020 gegründeten sozialen Treffpunkt mit Lebensmittelverteilung und Essensausgabe in der Holstenstraße, für den sich der Hamburger Sänger und Songschreiber engagiert. So hat er zum Beispiel seine Netzwerke genutzt, damit die Metalgiganten Metallica bei ihrem Hamburg-Besuch im Mai 40.000 Euro an „Dein Topf“ spendeten.
Dabei könnte Bosses neues Album „Übers Träumen“ kaum weiter weg sein von Metallica, es ist doch sehr flauschig, schwelgerisch und nach(t)denklich geworden. Am 27. Oktober spielt er in der ausverkauften Elbphilharmonie.
Hamburger Abendblatt: Als wir 2021 über Ihr Album „Sunnyside“ sprachen, erwähnten Sie eine „Kitschpolizei“, die Ihre Texte abnickt. Offensichtlich hat die gerade Urlaub. Oder wie gingen Zeilen wie „Schlaf bei mir, wenn draußen der Nachtwind pfeift“ oder „Ich seh dich am Görli stehen, mit Wind in deinem Haar“ durch die Kontrolle?
Axel Bosse: Also ich finde guten Kitsch gut! Gerade wenn es um das Zurückdenken an jemanden wie im Lied „Kreuzbergmädchen“ geht, eine Geschichte über eine gestorbene alte Freundin, dann denke ich sehr filmisch, so wie ich sie gesehen habe mit dem Kreuzberger Ostwind im Haar. Und „Schlaf bei mir, wenn draußen der Nachtwind pfeift“, ja, das ist schon wildromantisch, das ist kitschig. Aber es gibt den derben Scheißkitsch, die Plattitüden, oder den ernst gemeinten, weil ehrlich gefühlten Kitsch. Diese Songs sind ernst gemeint.
„Kreuzbergmädchen“ ist ein sehr schöner Song, aber nach vielen Jahren in Hamburg hätten sich manche Fans hier vielleicht auch mal über ein „Dulsbergmädchen“ gefreut.
Ja, aber meine Sturm- und Drang-Zeit hatte ich eben in Berlin, weil sowohl die Stadt an sich als auch ich ganz schön unaufgeräumt und unfertig – oder extra fertig – waren. Und ich fühle das immer noch, wenn ich in Berlin bin und mir die Leute am Bahnhof oder am Flixbus anschaue, weil ich damals ganz genau so war: Die Stadt hat mich überfordert, die Clubs haben mich überfordert, die Leute haben mich überfordert. Trotzdem war alles so inspirierend, auch wenn ich verpickelt durch schlechte Ernährung war und immer hart übermüdet.
Axel Bosse: „Angekommen bin ich erst hier. Nicht angekommen … definitiv in Berlin“
Das sind die „Pappmaulküsse“, über die Sie singen.
Genau. Aber dieser Teil meines Lebens ist so gar nicht Hamburg. Das ging erst los, als ich gefunden habe, was ich liebe: Hamburg und meine Frau. Oder andersherum. Angekommen bin ich erst hier. Nicht angekommen … definitiv in Berlin.
„Übers Träumen“ ist ja eindeutig ein Konzeptalbum: Träume, Wünsche, Rückschauen finden sich in jedem Song, und auch musikalisch ist bei aller akustischen Diversität auch eine auffällige Flauschigkeit hörbar. Legen Sie das schon vor den ersten Takes so an oder entsteht es zufällig beim Aufnehmen?
Es entsteht zufällig, aber zwischendurch kann man sich auch mal konkret entscheiden. „Schlaf bei mir ein“ war der Beginn, eine Begegnung, zwei Menschen. Halt. Kraft. Und plötzlich hatte ich den Gedanken, wie die beiden in den Orbit abheben. Ich stutzte: Öh? Hab ich noch nie gemacht, geil! Ich hatte Lust auf Traumwelten, auf Outer Space. Auf gesellschaftliche Träume. Das war dann schon ein Konzept, endlose Freiheit, auch musikalisch. Das konnte ich nicht immer einhalten, da trifft einen auch mal die Realitätspeitsche. Es sind sogar ein paar gute Songs nicht auf dem Album gelandet, weil es sonst zu viel Realität gewesen wäre.
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Es gibt wenige Lieder, die auf der einen Seite so schön, aber auf der anderen auch so gesellschaftskritisch eine jahrelange Freundschaft beschreiben wie „Ice Cream Universum“. Hier der beliebte, viel reisende Musiker, dort der ausgebrannte Businessmensch in einer Welt aus Nackensteaks. Ein Stück Realität auf dem Album oder Fantasie?
Ein Teil des Textes basiert auf einer sehr tiefen, innigen Freundschaft zu meinem besten Kumpel, mit dem ich schon vor vielen Jahren Kopf an Kopf neben BMX-Rädern im Wald lag. Aber der besungene Mensch, der in Frankfurt auf einem Skyliner steht und alles verraten hat, für dass er eingetreten ist, ist reine Fantasie. Ich wollte einfach mal so mutig und so bescheuert sein, zu experimentieren, auch musikalisch: Eine Power-Pop-Metal-Ballade, die am Ende in Solomun-Techno eskaliert.“
Bosse: „Ich habe danach nie mehr in so viele offene Münder geschaut.“
Sind Sie immer noch dabei , das Loslassen zu lernen, wie Sie singen?
Loslassen ist die Champions League der menschlichen Belange. Ich bin schon sehr treu, und ich hasse Loslassen. Ich kann schwer akzeptieren, wenn etwas nicht mehr so funktioniert wie früher. Oder Songs loslassen, die nicht mehr auf eine Setliste bei Konzerten passen.
Sind Sie denn gut im Vergessen? Von völlig verhunzten Auftritten etwa?
Davon gab es zum Glück nicht viele. Okay, als ich ganz jung war, hielt vor einem Auftritt in Bielefeld ein Jägermeisterwagen vor dem Club, und da habe ich gut zugelangt. Beim ersten Song rissen gleich fünf Gitarrensaiten, und ich konnte zwar noch singen, aber keine Ansagen mehr machen. Ich habe danach nie mehr in so viele offene Münder geschaut. Es waren 20. Aber zu diesen 20 Leuten ist über die Jahre eine ganz besondere Bindung entstanden.
Elbphilharmonie: Vor Konzert in Hamburg schwärmt Bosse von legendären Abenden
Sie spielten jetzt in nicht mal einem Jahr in der Barclays Arena, beim Hurricane Festival, in der Großen Freiheit 36, auf Kampnagel und am 27. Oktober in der Elbphilharmonie. Nächstes Jahr im Mai geht es auch noch in die Sporthalle. Das sind maximal unterschiedliche Konzertorte. Gibt es welche, die Sie bevorzugen?
Der Moment, wenn ich da erst mal stehe, der ist überall gleich. Ich kann mich noch an Abende im Knust erinnern, die waren für mich nicht weniger legendär als mein erstes Mal Sporthalle, Barclays Arena oder Hurricane.
Da Ihr Album „Übers Träumen“ heißt, bietet es sich an zu fragen, ob Sie noch Träume haben?
Klar. Privat sind es Tausende. Musikalisch hoffe ich, dass es noch möglichst lange so bleibt wie es ist. Das ist wirklich schön gerade und ein Privileg. Ich brauche nicht mehr Erfolg, aber ich wünsche mir, dass das Gefühl bleibt, morgens aufzustehen und zu denken: Geil, es ist ein neuer Tag und ich kann einen neuen Song schreiben!
Bosse Fr 27.10., 20.00, Elbphilharmonie, ausverkauft; Fr 10.5.2024, 20.00, Sporthalle, Karten zu 54,50 im Vorverkauf; www.axelbosse.de