Hamburg. Beim Heimspiel in der Barclays Arena sangen und tanzten 8000 Fans – und hörten eine ganz alte Story aus dem Silbersack.

Der Mann mit den Melodien, der vor vielen Jahren schon angetreten ist, den Menschen Erbauung, Trost und Freude zu bringen. Endlich das lange annoncierte Arenakonzert in Hamburg. Und am Sonnabendabend glühte die große Hamburger Mehrzweckhalle dann wenig überraschend vor Wohlempfinden. Bosse in der Barclays, da konnte halt nix schief gehen, oder?

So ist es. Es geschah das, was dann geschieht, wenn ein Publikum mit Hingabe am Werk ist und der Künstler mit seiner Band (sieben Leute – inklusive Streicher und Bläser) erst recht: Bald verschmolzen alle zu einer großen Bosseposse.

Bosse lässt bei Konzert in Hamburg die Halle glühen

Weil der Mann etliche Uptempostücke im Repertoire hat, dauerte das nicht lang; bei „So oder so“, dem zweiten Stück, hatte Axel „Aki“ Bosse das Publikum schon in seiner Gesamtheit auf den Beinen. Und beim dritten Song „Tanz mit mir“ brummte sein eigener Schrittzähler gefühlt schon bei 10.000: Der Typ sprang und hüpfte und tanzte ohne Atempause. Schon ein ziemliches Trainingsprogramm.

Es waren übrigens auch Heranwachsende da, und das muss etwas zu sagen haben, jeder weiß ja, wo Kinder sind, das kann kein schlechter Ort sein. Diesmal durften sie extralange aufbleiben (es ging wegen des, hüstel, völlig überraschend gleichzeitig findenden Zweitligaspiels nebenan, und also vollen Verkehrswegen, später als geplant los). Und sie konnten zum Beispiel den Text von „Dein Hurra“ laut mitsingen. Die unmittelbare Zugänglichkeit von Bossesongs hat dem Musiker („Is’ das schön, wenn ihr mitsingt, alter Schwede“) Fans jeden Alters beschert, die zu Tausenden auf seine Konzerte strömen.

Bosse ist ein Seelensänger der Deutschen.
Bosse ist ein Seelensänger der Deutschen. © Roland Magunia / FUNKE Foto Services

Bosse regte mit "Das Paradies" zum Nachdenken an

Den gesellschaftskritischen, auf seine Weise ganz schön kantigen Song „Das Paradies“ spielte er in Hamburg schon früh. Bosse being Bosse: „Es gab dort genug für alle/Und alle waren sich genug/Keine Depressionen und kein Selbstbetrug/Niemand musste dort im Mittelmeer ersaufen/Niemand schlief im Winter auf Asphalt/Ich sah nicht einen Patriarchen, der Scheiß war vorbei/Kein Bodyshaming, noch Hetze und Gewalt/Keine Schubladen, alle Chancen waren gleich/Die Leute dort waren glücklich und nice“. Das sind natürlich alles andere als harmlose Zeilen. Und sollte es bei Rockkonzerten tatsächlich nachdenkliche Momente geben, dies war einer.

Aki Bosse ist ein Seelensänger der Deutschen (Selbstbeschreibung: „Der Grönemeyer aus der Kreisliga“), der Liebe und Alltag in seinen Songs schmissig und einprägsam mit einer glänzenden Poplegierung veredelt. Der Sound ist sehr gegenwärtig und radiosoft, auch in der Barclays Arena. In zehn oder 20 Jahren, wenn man Konzertausschnitte seiner „Sunnyside Live“-Tour auf Youtube streamt, wird man genau erkennen: Das waren sie, die 2020er.

Heimspiel in Hamburg mit Liedern aus Album "Sunnyside"

Bosse, gebürtig aus Braunschweig, ist schon lange Hamburger, also war es ein Heimspiel. Eines, bei dem das im vergangenen Jahr erschienene Album „Sunnyside“ am üppigsten auf der Setlist vertreten war.

Und Stücke wie „Sunnyside“, „Hallo Hometown“ und „Der letzte Tanz“ (letzteres kam ganz, ganz spät) webten für die 8000 Besucherinnen und Besucher ein nostalgisches Tuch, das die aufkommende Herbstkühle wegwärmte. Bosse ist übrigens vermutlich längst der fröhlichste Singer/Songwriter in diesen Landen, darüber täuschen die mal nachdenklichen, mal sentimentalen Texte nicht hinweg. Miese Laune wackelt bei Bosses Kompositionen der Rhythmus weg.

Spötter sagen, das Flauschige seiner Uptemponummern („Tanz mit mir“, „Die schönste Zeit“) und Semi-Balladen sei allerbester Reklamerock, der perfekte Soundtrack für Werbevideos. Kann sein, aber das wäre eine gute Nachricht für jede Werbeunterbrechung bei RTL.

Fans vor der Bühne beim Bosse-Konzert in Hamburg.
Fans vor der Bühne beim Bosse-Konzert in Hamburg. © Roland Magunia / FUNKE Foto Services

Bosse erzählt bei Konzert in Hamburg Anekdoten aus dem Silbersack

Als Ode an seinen Vater ist „Vater“ ein ganz typischer Bosse-Song und das alte „Liebe ist leise“ auch, nix ist peinlich, aber alles überdeutlich. Bosse erzählte in der Barclays Arena vom harten Brot der frühen Jahre: Ohnmacht im Silbersack vorm Gig, unterzuckert, „meine Schwester drückte mir erstmal ein Snickers rein“.

Der Erfolg ist wie so oft eine Belohnung fürs Durchhalten. Insgesamt, und deswegen war auch das Hamburger Konzert so eine freundliche, manchmal auch einlullende Angelegenheit, wird immer alles gut: Wer Bosse hört, wer Bosse sieht, ist unbedingt in erzversöhnlicher Stimmung und will jeden Feind umarmen.

Bosse ist der Mann, der Pro Asyl unterstützt und auf einer Demo von Fridays for Future spielte, der also eh zu den Guten gehört. Ein idealer Popstar für alle Zeiten, auch die aufgeheizten.