Hamburg. Bela B, Farin Urlaub und Rod González feierten 160 Minuten lang mit 4000 Fans in der edel-optics.de Arena. Viel zu klein ist die Bude.

„Kannst du ‘ne Gitarre halten? Komm, ich zeig‘ dir wie das geht. Du musst auch den Amp einschalten, das ist dieses Lärmgerät“, singt Farin Urlaub in „Plan B“. Natürlich sind der Blonde von Die Ärzte aus Berlin – aus Berlin! – und seine Kollegen Bela B und Rodrigo González noch nicht so alt, dass sie vergessen könnten, wie man Gitarre, Schlagzeug und Bass benutzt. Trotzdem soll man sich über jeden weiteren Auftritt der „besten Band der Welt“ freuen. Es kann auch schnell wieder vorbei sein, so wie 2013, als das Trio mehrere Jahre lang getrennt in Klausur ging.

Also dann. Mittwoch. Das erste von zwei Konzerten der „Herbst des Lebens (diesmal ohne Hunde und Pferde)“-Tour in Hamburg, genauer gesagt in der sogenannten edel-optics.de Arena in Wilhelmsburg. Eine Halle so gesichtslos wie Die Ärzte seit der Trennung von Rods Vor-Vorgänger Sahnie („Ihr braucht mein Gesicht, um erfolgreich zu sein“), so trist wie der Ausblick in „Grau“: „Ich hasse es so sehr, wenn ich aus meinem Fenster schau, und alles, was ich sehe Himmel, Erde und der ganze Rest ist grau.“

Die Ärzte in Hamburg: „Wir sind größer als die Beatles“

Viel zu klein ist die Bude eigentlich auch. 4000 passen laut Veranstalter in die am Mittwoch und Donnerstag jeweils ausverkaufte Arena im Inselpark. Zum Vergleich: Zwischen 2003 und 2022 spielten BelaFarinRod nur in der Sporthalle (für den mittlerweile aufgelösten Fanclub), in der Barclays Arena oder auf der Trabrennbahn vor 7000, 12.000, 25.000 Fans. Aber Die Ärzte haben seit jeher einen Hang, auch gern mal kleinere Brötchen zu backen, so wie 2022 auf einer Tour durch Berlin von kleinen Clubs bis zum Tempelhofer Feld. Nur sonntags ist ihr Trauertag, da hat ihr Bäcker zu.

Die Ärzte legen los mit „Wer verliert, hat schon verloren“ vom Comeback-Album „Hell“ (2020) und nach dem „Lied vom Scheitern“ geht schon das heitere Liederraten los. „Mein Baby war beim Frisör“ und „Ist das alles“. 90er, 80er. Die Drei studieren laut Abendblatt-Interview für ihre Touren gern ein Portfolio von hundert Songs ein, das Abend für Abend durchgetauscht wird. Das zum Auftrittsort passende „Grau“ wird wohl nicht gespielt werden, seit Veröffentlichung 1999 erklang es nur einmal live, 2022 im Berliner Privatclub. Plan B kam schon häufiger vor, beim Hurricane Festival dieses Jahr in Scheeßel zum Beispiel.

Die Ärzte: Sparwitze und Mitsingspiele – Sie reden Quark, den ganzen Targ!

„Nicht umsonst sind wir in einer Basketballhalle, schließlich sind wir Weltmeister“, begrüßt Bela teilweise mit Handschlag die schon früh im Sekundentakt über die Hände heransegelnden Crowdsurfer. „Tamagotchi“, „Noise“, „Quark“ und „Vokuhila Superstar“ (mit „Blumen“) unterstreichen, dass Hamburg im ersten Drittel das gleiche Programm bekommt wie Bielefeld vor ein paar Tagen. Der Sound ist mäßig, das Bühnenbild spartanisch und die Ansagen, pointenlosen Sparwitze und Mitsingspiele viel zu lang: Sie reden Quark, den ganzen Targ! Aber genauso muss es sein seit über 40 Jahren (brutto), das gehört hier ebenso zum schiefen Harmoniegesangston wie die ungelöste, von Rod linkshändig im McCartney-Modus gespielte Frage: „Ist das noch Punkrock?“

Bela beglückwünscht Rod zu einem heranfliegenden BH und Udo Lindenberg zur gelungenen Knieoperation („der coolste Rocker Hamburgs… Deutschlands“), und singt und trommelt „Dein Vampyr“. Farin lässt das Publikum in drei Gruppen bis 13 und „Meine Freunde“ einzählen. Dürfen die das? Und ist „Die traurige Ballade von Susi Spakowski“ wirklich livetauglich? Egal. Es geht immer schnell weiter. Farin und Rod tauschen Gitarre, Bass und Mikro für eine XL-Version von „Sohn der Leere“, „Mondo Bondage“ und „Dunkel“. Es ist erst eine Stunde um. Eine Runde Trommelstöcke und Plektren wird in den Fankessel geworfen und weiter geht es.

Das Leben ist eine einzige, endlose Party, wenn man eine Ärzte-Karte hat

„Die Banane“ läutet einen langen Block mit Songs ein, die nicht gerade Fanfavoriten sind. „Wissen“, „Für uns“, „Trick 17 m. S.“, „Doof“ und „Herrliche Jahre“ füllen die Spieluhr und die Bierbecher, aber der harte Kern in der Mitte der ersten Reihen feiert eh alles, der Rest der Halle zumindest auf Nachfrage Farins: „Es ist so absurd, dass man Leute anbrüllen muss, um Gebrülltes zurückzukriegen.“ Nur für das spontan aus dem Ärmel geschüttelte „Ich bin glücklich“ von den Ärzte-Vorgängern Soilent Grün gibt es maximal Höflichkeitsapplaus. Aber verdammt noch mal, warum hat sich diese geniale Band aufgelöst, um Platz für Die Ärzte zu machen?

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Das Leben ist eine einzige, endlose Party, wenn man eine Ärzte-Karte hat und am Türsteher vorbeikommt. „Farin“ schreit eine Frau von hinten. „Ja, hier bei der Arbeit“ ruft Farin zurück. Nach einer „Unrockbar“-Hüpforgie beginnt nach zwei Stunden der Zugabenteil: „Leben vor dem Tod“, „Deine Schuld“, „Langweilig“, „Der Graf“ (Bela solo an der Elektrischen), „Himmelblau“. Und alle so: yeah! Hip, hip, hurra! Die Ärzte müssen nur noch abernten, sie wissen „Wie es geht“: mit „Junge“, „Schrei nach Liebe“ und dem finalen „Dauerwelle vs. Minipli“. Der Saal brodelt, und Bela sagt zu Rod: „Wir sind größer als die Beatles.“

Die Ärzte in Hamburg: Der härteste Kern ist einfach nur im Kreis gerannt

„Westerland“ und „Zu spät“, die großen Radio-Klassiker werden übrigens im Gegensatz zu den Shows auf den diesjährigen Sommerfestivals in Hamburg nicht gespielt. Aber hier in Wilhelmsburg ist ja auch kein gemischtes Laufpublikum, sondern die absolut hingebungsvollsten Patientinnen und Patienten, denen man auch mal selten gespielte Albumsongs und Obskures vorspielen darf. Der härteste Kern ist am Ende tatsächlich 160 Minuten ohne Pause einfach nur im Kreis gerannt.