Hamburg. Das Ernst Barlach Haus zeigt Dix, Grosz, Barlach und Klee, das Bargheer Museum erinnert an den Hamburger Fotografen Rolf Tietgens.
Die Kunst und Kultur der 1920er-Jahre haben im Moment Hochkonjunktur: Nach Kunsthalle und Museum für Hamburgische Geschichte haben gerade erst die Deichtorhallen ihre große „Dix und die Gegenwart“-Ausstellung eröffnet. Mit „Illustre Gäste“ folgt nun eine kleinere, feine Schau im Ernst Barlach Haus, die Dix und berühmte Zeitgenossen wie George Grosz, Ernst Barlach und Paul Klee präsentiert. Ein Großteil der Werke stammt aus der Sammlung Fritz Niescher (1889–1974), die sich zwischen den Polen Expressionismus und Neue Sachlichkeit bewegt.
Nieschers an die 520 Schätze von 30 Künstlerinnen und Künstlern waren bisher kaum in der Öffentlichkeit zu sehen. Seit 2021 sind sie als Dauerleihgabe in der Kunstsammlung Gera. Der Weg dorthin war ein steiniger: Nach einer Betriebsenteignung 1945 durch die sowjetische Militäradministration zog der Margarine-Produzent wenig später von Chemnitz nach Aachen; seine Dix-Arbeiten hatte er zuvor nach Dresden bringen lassen. Der restliche Besitz war in Chemnitz eingelagert. Es dauerte Jahre und viele Anstrengungen, auch von Seiten Dix‘, um die Sammlung in den Westen zu überführen. Niescher bedankte sich bei dem Künstler mit wertvollem Büttenpapier.
Ausstellungen Hamburg aktuell: Ein verlorener Sohn der Stadt im Jenischpark
Ergänzt wird die Ausstellung um Barlach-Werke der Sammlung von Hermann F. Reemtsma, die 1934 durch ein folgenreiches Treffen zwischen Unternehmer und Künstler begründet wurde und heute im Museum im Jenischpark beherbergt wird. Neben Zeichnungen sind drei Holzskulpturen zu sehen, die Barlachs künstlerische Weiterentwicklung als Bildhauer zeigen. Spannend ist hierbei, die Wanderungen seiner allegorischen und religiösen Leitmotive von der Zeichnung über das Relief bis zur Plastik zu beobachten, etwa anhand der „Kussgruppe“ oder der „Verhüllten Bettlerin“.
Fritz Niescher und Otto Dix (1891–1969) lernten sich 1933 kennen, als der Künstler vor den Nationalsozialisten von Dresden an den Bodensee fliehen musste. Bis 1939 erwarb der Unternehmer mehr als 60 Dix-Werke, darunter eine großformatige Vorzeichnung für das Gemälde „Triumph des Todes“, die den Sensen schwingenden Tod neben einem behelmten Wehrmachtssoldaten zeigt. Weitere frühe Arbeiten stammen aus Dix‘ Zeit als Soldat an der Westfront sowie aus den 1920er-Jahren, in denen er eine Welt zwischen Amüsierlust und Armseligkeit beschreibt.
Bargheer Museum in Hamburg-Altona: Rolf Tietgens, Poet mit der Kamera
Ein ähnliches Schicksal wie der Künstler Dix teilte auch der Fotograf Rolf Tietgens, 1911 als Spross einer der reichsten Kaufmannsfamilien Hamburgs geboren. Tietgens‘ Berufsweg war durch die väterliche Firma Tietgens & Robertson vorgezeichnet, die mit Ölen, Fetten und Fleisch aus den USA handelte. Er ging dort auch in die Lehre, war aber schon früh an Kunst und Literatur interessiert. 1933 wurde er zur Ausbildung in eine Wurstfabrik nach Chicago geschickt, begann aber schon parallel, als freiberuflicher Fotograf zu arbeiten. Auf der dortigen Weltausstellung kam er in Kontakt mit indigenen Gruppen, die dort Tänze und Performances aufführten. Daraus entstand eine lebenslange Faszination und Freundschaft und unter anderem das Buch „Die Regentrommel“.
Zur selben Zeit freundete er sich mit den Künstlern Herbert List und Eduard Bargheer an. Vor allem Bargheer war häufig zu Gast in der Familie Tietgens. Er malte und zeichnete die Mutter mit ihren drei Söhnen (der kriegsversehrte Vater beging 1924 Selbstmord). Seine Bilder einer dysfunktionalen Familie sind Teil der Retrospektive, die das Bargheer Museum aktuell zeigt: „Rolf Tietgens. Poet mit der Kamera“. Angesichts der zunehmenden Verfolgung Homosexueller durch die Nationalsozialisten emigrierte der junge Mann 1938 nach New York und konnte die Veröffentlichung seines herausragenden Buches „Der Hafen“ nicht erleben.
Hamburger Fotograf Rolf Tietgens: Nach seinem Tod sollten Werke im Müll landen
Doch auch in den USA kamen seine Bilder gut an; er veröffentlichte in allen großen Magazinen und war ein erfolgreicher wie fantasievoller Werbefotograf. Er experimentierte mit den Stilmitteln von Surrealismus, Neuer Sachlichkeit und Street Photography. Und er freundete sich mit der damals noch unbekannten Autorin Patricia Highsmith an, vermittelte ihr erste Aufträge bei Verlagen.
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Von außen betrachtet eine beachtliche Karriere und Emanzipation von der Herkunftsfamilie. Doch innerlich war Rolf Tietgens zerrissen. Das, was ihn an der Fotografie gelockt hatte – das selbstbestimmte Leben – konnte er nicht führen. Auch sah er sich durch Krieg und Nazi-Herrschaft als Teil einer verlorenen Generation. Er wurde depressiv, alkoholsüchtig und verarmte.
Seine Fotografien („sie kriechen wie giftiges Efeu an den Wänden hoch“), so ließ er verfügen, sollten nach seinem Tod auf der Müllkippe landen. 1984 starb der Künstler in New York. Das Museum zeigt viele seiner Veröffentlichungen und einen Teil von Tietgens Originalen. Seiner Schwägerin Anneliese Tietgens hatte er zumindest einen kleinen Teil davon in Paketen geschickt. Und so kommt ein verlorener Sohn doch wieder nach Hamburg zurück.
„Illustre Gäste“ bis 28.1.2024, Ernst Barlach Haus, Baron-Voght-Straße 50a (S Klein Flottbek, Busse 21, 115 Marxsenweg), Di–So 11.00–18.00, Eintritt 9,-/6,- (erm.), barlach-haus.de. „Rolf Tietgens. Poet mit der Kamera“ bis 25.2.2024, Bargheer Museum, Hochrad 75, Di–So 11.00–18.00, Eintritt 7,-/5,- (erm.), bargheer-museum.de