Hamburg. Im Ernst Barlach Haus begegnen sich eine Meisterin der Hamburger Architekturfotografie und eine junge Installationskünstlerin.

Der Architektursommer macht einen Ausflug in den Jenischpark: Direkt vor dem Eingang des Ernst Barlach Hauses steht ein offener, hölzerner Pavillon. Schön, dass man hier mit einer Teezeremonie empfangen wird, so ein spontaner Gedanke. Tatsächlich können Besucherinnen und Besucher diesen Ort (nach vorheriger Anmeldung) nutzen, um sich zu erfrischen, zu diskutieren oder einfach den Blick schweifen zu lassen.

Dahinter steckt aber noch viel mehr: Das junge Architektur-Kollektiv „Frugal bauen“, das 2022 von Studierenden der HafenCity Universität gegründet wurde, möchte das Wissen um nachhaltige, traditionelle Bauweisen wieder aufleben lassen und so zu einer klimagerechten Veränderung der aktuellen Baupraxis beitragen.

Statt Beton verwendeten die jungen Architektinnen und Architekten ungebrannte Lehmsteine sowie Schraubfundamente, die nach der Nutzung nahezu rückstandsfrei abgebaut werden können. Nachhaltig sollten auch die anderen Rohstoffe sein: Die Querschnitte der Kanthölzer wurden möglichst unversehrt gelassen und können dadurch leicht wiederverwendet werden, die Wellbleche dienten schon andernorts zur Dachdeckung, die Holzdielen wurden bereits gebraucht und aufgearbeitet, die Lehmsteine können ohne Qualitätsverlust in den Kreislauf zurückgeführt werden.

Museum Hamburg: Wenn reale auf Schein-Welt trifft

Vom klimabewussten, modernen Bauen schlägt eine Ausstellung im Inneren des Hauses den Bogen zur historischen Stadtfotografie von Ursula Becker-Mosbach (1922–2002). Dass einem dieser Name nicht sofort etwas sagt, könnte daran liegen, dass sie sich selbst stets „nur“ als Auftragsfotografin sah. Zwar hatte sie sich am Berliner Lette-Verein und an der Landeskunstschule Hamburg klassisch ausbilden lassen, sich später aber durch die väterliche Verbindung zur Handelskammer auf Porträts von Hamburger Wirtschaftspersönlichketen konzentriert.

So kam sie in Kontakt mit Architekten, die ihr die Dokumentation von Großbauprojekten in Hamburg anvertrauten. Zusammen mit ihren vier kleinen Kindern und ihrer Kamera zog Ursula Becker-Mosbach um 1960 also von Großbaustelle zu Großbaustelle, „immer auf der Jagd nach dem idealen Blickwinkel und der perfekten Wolke, die sich ins Bild schiebt und den Eindruck räumlicher Tiefe steigert“, so Museumsleiter Karsten Müller. Er sichtete mehr als 4000 Scans von Glasnegativen im Hamburgischen Architekturarchiv, das ihren Nachlass beherbergt. Sofort war er von ihrer ästhetischen Kraft und prägnanten Bildsprache begeistert.

Aufbruchstimmung und Technikbegeisterung der Nachkriegsjahre

Die Grindelhochhäuser in extremem Weitwinkel fotografiert, eine Baustelle der Firma Eggers, in der sich die Sonne viermal wie ein blitzender Weihnachtsstern spiegelt, die fast skulpturale Inszenierung einer Turbinenhalle in Neuhof, die auffällig hervortretenden Betonstreben der Stauseemauer in Geesthacht, der brachial in den Himmel ragende Bau der Lufthansa-Lärmschutzhalle, die berühmten „Fauleier“ des Klärwerks im Hafen. Selbst ein simpler Kabelschacht wurde durch ihr Auge zu einer grafisch angeordneten Komposition.

Ursula Becker-Mosbach: „Klärwerk Köhlbrandhöft, Faulturmbehälter im Bau“, Hamburg, 1958
Ursula Becker-Mosbach: „Klärwerk Köhlbrandhöft, Faulturmbehälter im Bau“, Hamburg, 1958 © Ursula Becker-Mosbach/Hamburgisches Architekturarchiv | Ursula Becker-Mosbach/Hamburgisches Architekturarchiv

„In Ursula Becker-Mosbachs Fotografien kommt die Aufbruchstimmung und Technikbegeisterung der Nachkriegsjahre auf faszinierende Weise zum Ausdruck. Sie wählte ungewöhnliche Perspektiven, verband das Dokumentarische mit einer sehr persönlichen Handschrift und schuf damit Werke, die Zeitzeugnisse und zeitlos zugleich sind,“ sagt Müller.

Ihre Fotografien von Tankstellen und der Raststätte Stillhorn sind beispielhaft für eine ganz besondere Stimmung, die auch in Bildern des berühmten US-Fotografen Edward Ruscha zu finden ist. Häufig erinnern ihre Arbeiten auch an die Industriefotografie von Bernd und Hilla Becher. Doch sind diese Vergleiche eigentlich belanglos: Das Ernst Barlach Haus würdigt die Hamburgerin in dieser Ausstellung – völlig zu Recht – als eigenständige Lichtkünstlerin.


Franziska Opel verschiebt Alltagsobjekte in Kunstkontext

Eine Künstlerin, die sich mit ihrer spielerischen, symbolisch ambivalent aufgeladenen Installationskunst dagegen schon früh selbst einen Namen gemacht hat, ist Franziska Opel, 39. Geboren und aufgewachsen in Bautzen, kam sie als 18-Jährige nach Hamburg und absolvierte ihr Diplom an der Hochschule für bildende Künste. Mittlerweile ist sie mit ihrem Atelier im Künstlerhaus Frise verortet. Ob ein Haarzopf, der als Türklinke dient, Edelstahlringe, die an Schlangennester erinnern und sich als Fetischobjekte erweisen, oder Anstecknadeln (die für Orden oder Auszeichnungen stehen) mit den jeweiligen Buchstaben für „Mother“ – ihre Strategie ist es, Alltagsobjekte in einen Kunstkontext zu verschieben mit der Fragestellung, was dies mit den Betrachtern macht. Von ihr stammt die Installation „Van Garden“ im Atrium des Ernst Barlach Hauses.

Franziska Opels Installation „Van Garden“ (Detail), 2023, ausgestellt im Atrium des Ernst Barlach Haus
Franziska Opels Installation „Van Garden“ (Detail), 2023, ausgestellt im Atrium des Ernst Barlach Haus © © Franziska Opel; Foto: Andreas Weiss | Franziska Opel

Auf den ersten Blick ist sie eine harmonische Ansammlung kleiner, in Regenbogenfarben schimmernder Palmen, die – vor allem, wenn die Sonne in den Innenhof scheint – eine Art Urlaubsgefühl hervorruft. Bei näherer Betrachtung sind es Aluminiummodule, deren Auszahnungen sich wie Palmenblätter nach außen rollen. Die Künstlerin entdeckt ihre Materialien meist im Vorbeigehen, in diesem Fall bei einem Aufenthalt in London. „Dort werden Zäune zum Absperren von Gebäuden oder Arealen mit diesen speziellen Anti-Climb-Systemen versehen“, erklärt Franziska Opel. „Die Auszahnungen sollen dazu dienen, dass man daran abrollt und sich nicht verletzt, sollte man doch über die Zäune klettern.“

Museum Hamburg: Wird Architektur für oder gegen den Menschen geplant?

Ein System also, das von Menschen für Menschen gegen Menschen entwickelt wurde. Diese Absurdität will die Künstlerin mit ihrem organisch-industriellen Werk, das zunächst einladend und dann doch abweisend wirkt, vor Augen führen und zum Nachdenken über die Mechanismen der Abschottung anregen. Gerade auch im gut betuchten Hamburger Westen, wo der Jenischpark liegt. „Die Häuser dort werden zwar nicht von solchen Aluminiumzäunen gesichert, häufig aber durch doppelte Böschungen – also auch eine Art Abschottung“, so Franziska Opel.

Eine dritte Ebene eröffnet sich, indem die Aluminiumobjekte, die eigentlich für einen Außenraum konzipiert sind, um ein Eindringen abzuwehren, sich plötzlich für drei Monate selbst in einem geschützten Innenraum befinden; eine Umdeutung der ursprünglichen Nutzung also. Ihr nächstes Projekt wird sich der sogenannten defensiven Architektur widmen, also auf welche Weise Menschen im Stadtraum verdrängt werden. „Zum Beispiel gibt es in Altona-Nord vor einer Bankfiliale auf einmal Blumenbänke, damit sich dort keine Obdachlosen aufhalten“, erzählt die Künstlerin. „Ein anderes Beispiel sind Bänke mit Griffen daran, damit sich dort niemand hinlegen kann.“ Nicht nur „Van Garden“ stellt also im Hamburger Architektursommer zur Diskussion, inwieweit das Lebensumfeld für oder gegen Menschen gestaltet wird.

„Ursula Becker-Mosbach. Architekturfotografie um 1960“, „Franziska Opel. Van Garden“, „Frugal bauen“ bis 17.9., Ernst Barlach Haus (S Klein Flottbek), Baron-Voght-Straße 50a, Di–So 11.00–18.00, Eintritt 9,-/6,- (erm.), www.barlach-haus.de