Hamburg. In der City werden 80 Prozent aller Wege mit ÖPNV, Rad oder zu Fuß zurückgelegt, außerhalb nicht. Wie der Verkehrssenator das ändern will.

Für die Bewohnerinnen und Bewohner der citynahen Stadtteile in Hamburg ist der ÖPNV allgegenwärtig: Innerhalb des Ring 2 gibt es an jeder Ecke eine Bushaltestelle, einen U- oder S-Bahnhof oder eine StadtRad-Station, auch private Angebote wie Leihautos und E-Scooter stehen überall zur Verfügung. Je weiter man raus kommt, desto dünner wird das Angebot jedoch – und das macht sich beim Mobilitätsverhalten der Bürger deutlich bemerkbar, wie Daten der Verkehrsbehörde zeigen, die dem Abendblatt vorliegen.

Demnach wurden in der „Kernstadt“ (damit ist der Bereich innerhalb des Ring 2 gemeint) im Jahr 2022 bereits 80 Prozent aller Wege der dortigen Bewohner im „Umweltverbund“ aus ÖPNV, Rad- und Fußverkehr zurückgelegt, während nur noch 20 Prozent auf den „motorisierten Individualverkehr“ (MIV) entfielen, also vor allem Autos und Motorräder. 2017 hatte das Verhältnis noch bei 74 zu 26 Prozent gelegen. Die 80 Prozent entsprechen dem Ziel, das der rot-grüne Senat erreichen will – allerdings für ganz Hamburg.

Verkehr Hamburg: Warum autonome On-Demand-Shuttle die Zukunft sind

Und dafür muss sich in den zentrumsferneren Stadtteilen noch einiges tun. So konnte der Umweltverbund im „äußeren Ring“ (damit meint die Behörde den Bereich, der sich im Osten, Westen und Norden um den Ring 2 legt, Walddörfer und Elbvororte nicht eingeschlossen) von 2017 bis 2022 zwar auch um sechs Prozentpunkte zulegen, kommt aber nach wie vor nur auf einen Anteil von 66 Prozent. Gut ein Drittel der Wege (34 Prozent) werden also nach wie vor mit dem Auto zurückgelegt.

Exakt das gleiche Verhältnis von 66 zu 34 wurde 2022 für den Süderelberaum (Bezirk Harburg plus Wilhelmsburg) ermittelt, wobei hier die Steigerung von zuvor 58 zu 42 noch etwas größer war. In den städtischer geprägten Kerngebieten Harburgs und Bergedorfs mit ihren großen Bahnhöfen hatte der Umweltverbund dagegen 2022 bereits einen Anteil von 74 Prozent, acht Punkte mehr als noch 2017. Doch auch hier ist, gemessen am Ziel des Senats, noch Luft nach oben.

Bis 2030 sollen alle Hamburger innerhalb von fünf Minuten ein ÖPNV-Angebot erreichen

Wie die angestrebte Mobilitätswende auch außerhalb der City klappen soll, erklärte Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) im Gespräch mit dem Abendblatt. Dabei geht es einerseits um bekannte große Verkehrsprojekte wie den Bau der S4 Richtung Bad Oldesloe, die Verstärkung der S-Bahn-Linien nach Harburg und Bergedorf und die Anbindung Steilshoops und der Arenen am Volkspark mit der neuen U5. Auch der geplante Verbindungsbahnentlastungstunnel für die S-Bahn schaffe Kapazitäten am Hauptbahnhof, den dann rund 150 zusätzliche (Regional-)Züge täglich anfahren könnten.

Doch während diese Verbesserungen vor allem die großen Trassen und Magistralen betreffen, bleibt die Frage: Wie erreicht man Zehntausende Menschen, die abseits dieser Routen wohnen? In Lemsahl-Mellingstedt, Lohbrügge, Marmstorf oder Rissen? Hier setzt der Verkehrssenator vor allem auf On-Demand-Angebote wie Moia oder HVV hop, die auf Bestellung (englisch: on demand) zu den Kunden kommen und diese zum gewünschten Ziel bringen – im Prinzip wie Sammeltaxis, nur preislich näher am ÖPNV. Eine wichtige Rolle spielen für Tjarks dabei das Deutschlandticket, die in der Hansestadt ab Ende 2024 kostenlosen Schülertickets und der Hamburg-Takt, mit dem der Senat allen Bürgern unabhängig vom Wohnort innerhalb von fünf Minuten ein ÖPNV-Angebot bereitstellen will.

49-Euro-Ticket, kostenlose Schülertickets, Fünf-Minuten-Takt

„Jahrelang kannten die Hamburgerinnen und Hamburger nur einen ÖPNV, dessen Preise immer weiter gestiegen sind“, sagte Tjarks. „Jetzt haben wir mit dem Deutschlandticket den Preis für ein Monatsticket Hamburg AB halbiert. Durch diese große Angebotsmaßnahme haben wir mittlerweile 979.000 Abonnentinnen und Abonnenten im HVV, das sind 265.000 mehr als vor Corona.“ Das Fahrgastniveau habe im Juni 103 Prozent der Vor-Pandemie-Zeit erreicht, so der Senator. „Das einzige Verkehrsmittel, das in Hamburg immer noch deutlich weniger genutzt wird als vor Corona, ist das Auto. Das ist im Sinne der Mobilitätswende genau das, was wir erreichen wollen.“

Auf diesem Erfolg wolle er nun aufbauen: „Wenn man das Deutschlandticket mit dem bald kostenlosen Schülerticket und dem Fünf-Minuten-Takt für ganz Hamburg kombiniert, wird daraus eine Vision“, so Tjarks. „In der inneren Stadt haben wir das ja bereits eingelöst, aber in den äußeren Stadtteilen noch nicht. Daher ist der Hamburg-Takt eigentlich ein großes Versprechen, die Mobilitätsangebote in den äußeren Stadtteilen auszubauen – quantitativ und qualitativ.“

On-Demand-Shuttles müssen autonom fahren – denn es fehlt an Fahrern und Geld

Um das hinzubekommen, brauche es die On-Demand-Mobilität, ist der Politiker überzeugt. „In die weniger dicht besiedelten Regionen können wir keine großen Bus- und Bahnlinien bauen. Dafür braucht es viele kleinere Fahrzeuge, und weil wir dafür vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels gar nicht genug Fahrerinnen und Fahrer finden, braucht es wiederum autonom fahrende Fahrzeuge, und zwar bis zu 10.000 bis 2030.“ Da die Stadt 25.000 bis 30.000 zusätzliche Fahrer im Schichtbetrieb auch finanziell kaum stemmen könnte oder es das Angebot enorm verteuern würde, stehen Pilotprojekte für autonomes Fahren in den Startlöchern. Fördermittel vom Bund, der Hamburg zur „Modellregion Mobilität“ auserkoren hat, sind zugesagt.

Mit solchen On-Demand-Angeboten bekomme der ÖPNV nicht nur eine zusätzliche Säule, sondern auch eine neue Qualität, glaubt Tjarks. „Denn während Busse und Bahnen auf festen Linien verkehren, kann man mit Moia oder HVV hop auch individuelle Ziele ansteuern und zum Beispiel von Jenfeld nach Billbrook direkt fahren anstatt den Umweg über den Hauptbahnhof zu nehmen und mehrfach umsteigen zu müssen. Damit kommt der ÖPNV bei der Fahrtzeit und der Flexibilität auch auf solchen Strecken deutlich näher an den privaten Pkw heran – das wird ein realer Gamechanger.“

HVV hop und Moia verzeichnen steigende Nachfrage

Auf die Frage, was so eine Fahrt wohl kosten wird, hat er allerdings noch keine Antwort: „Das Preismodell muss und wird sich im Zuge der Ausgestaltung entwickeln.“ Beim nur im Hamburger Süden angebotenen HVV hop ist es einfach: Wer zum Beispiel ein 49-Euro-Ticket im Abo oder ein HVV-Tagesticket hat, zahlt pro Fahrt und Person nur 2 Euro – im Vergleich zum Taxi ein Schnäppchen.

Die Fahrgastzahlen der On-Demand-Verkehre in der äußeren Stadt steigen daher kräftig, wenn auch noch auf bescheidenem Niveau: So bedient die VW-Tochter Moia seit Beginn des Jahres auch Wilhelmsburg, Osdorf/Lurup und Billstedt und hat seitdem laut Verkehrsbehörde bereits 200.000 Fahrten mit Bezug zu diesen Regionen durchgeführt, das entspreche rund 37 Prozent aller Moia-Fahrten. Hier sowie in Rahlstedt wachse die Nachfrage. Auch bei HVV hop wurde das Verbreitungsgebiet erst im Frühjahr auf den Harburger Westen erweitert, und dennoch entfielen im Juli bereits mehr als die Hälfte aller Fahrten auf diese Region. Insgesamt seien mit den nunmehr 28 Elektro-Taxis seit dem Start 2022 bislang 53.000 Fahrgäste auf 42.000 Fahrten transportiert worden.

Verkehr Hamburg: Radverkehr wächst außerhalb des Ring 2 überdurchschnittlich stark

Neben den ÖPNV-Angeboten verzeichnet auch der Radverkehr in der äußeren Stadt Zuwächse, teilweise sogar überdurchschnittlich. An den Messstellen des Radverkehrszählnetzes habe man 2022 außerhalb des Ring 2 nördlich der Elbe 16 Prozent mehr Radler verzeichnet, so die Verkehrsbehörde, innerhalb des Ring 2 dagegen nur sieben Prozent mehr und in in ganz Hamburg neun Prozent mehr. Südlich der Elbe habe der Zuwachs dagegen nur bei vier Prozent gelegen.

Für den Verkehrssenator kommt diese Entwicklung nicht überraschend, denn seit seinem Amtsantritt 2020 seien fast dreimal so viele Radwege außerhalb des Ring 2 saniert oder gebaut worden wie innerhalb: Von insgesamt 191,6 Kilometern entfielen 142 auf die äußeren Stadtteile und nur 49,6 auf den innerstädtischen Bereich. Allerdings werden die im Zentrum noch deutlich mehr genutzt als in den Außenbereichen – auch da bleibt noch einiges zu tun.