Hamburg. Der HVV hat schon 246.000 neue Abonnenten gewonnen. Eine Umfrage zeigt, woher sie kommen – und was das mit Kannibalismus zu tun hat.
Das 49-Euro-Ticket bleibt im Großraum Hamburg ein Verkaufsschlager. Gut zwei Monate nach Start des bundesweit gültigen Nahverkehrs-Abos (das daher offiziell Deutschlandticket heißt) hat der Hamburger Verkehrsverbund HVV bereits 764.000 Stück verkauft – das waren noch einmal 55.000 mehr als bei der ersten Bilanz zum Stichtag 31. Mai.
Wie aus einer Aufstellung des HVV hervorgeht, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt, wurden von Anfang Mai bis zum 6. Juli allein 246.000 Neukundinnen und Neukunden gewonnen, die bislang also kein Abo hatten. Damit kommt der Verkehrsverbund, unter dessen Dach unter anderem die S-Bahn Hamburg und die Hochbahn mit ihren U-Bahnen und Bussen fahren, jetzt auf 960.000 Abonnenten – 22 Prozent mehr als auf dem Höhstand vor der Corona-Pandemie.
HVV: 49-Euro-Ticket boomt weiter – Fahrgastzahlen fast auf Vor-Corona-Niveau
Der Unterschied zwischen verkauften Deutschlandtickets und Abonnenten erklärt sich vor allem mit den Semestertickets der Studierenden – sie gelten als HVV-Abonnenten, können aber selbst entscheiden, ob sie ihre Fahrkarte, die weniger als 49 Euro im Monat kostet, gegen einen kleinen Aufpreis zu einem Deutschlandticket upgraden. Gut 17.000 Studierende haben das bereits getan.
„Das HVV Deutschlandticket ist ein Riesenerfolg, es entlastet viele Menschen finanziell und bietet ihnen mehr nachhaltige Mobilität zu einem günstigeren Preis“, sagte Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) dem Abendblatt. Besonders erfreulich aus Sicht des Senators, der sein Haus bewusst „Behörde für Verkehr und Mobilitätswende“ genannt hat: Seit der dauerhaften Einführung des günstigen Tickets nutzen deutlich mehr Menschen den öffentlichen Nahverkehr: Der HVV hat im Mai ein „Fahrgastniveau“ von 95,4 Prozent der Vor-Corona-Zeit erreicht. Das war ein recht sprunghafter Anstieg, nachdem die Fahrgastzahlen während der Pandemie massiv eingebrochen waren und sich nur langsam wieder erholt hatten.
24 Prozent der Deutschlandticket-Fahrten wurden vom Auto auf Bus und Bahn verlagert
Im Mai 2022 lag das Fahrgastniveau erst wieder bei 82,5 Prozent der „guten alten Zeiten“, im April 2023 dann bei 89,3 Prozent – bevor es im Mai um sechs Punkte in die Höhe schoss. Wie berichtet, werden an einzelnen Tagen schon wieder mehr als 100 Prozent der damaligen Fahrgastzahlen erreicht. „Das alles zeigt: Der ÖPNV ist attraktiv, die Menschen nutzen ihr HVV-Deutschlandticket für ihre tägliche Mobilität“, sagte Tjarks. „Damit ist das Ticket ein Riesenschub für die Mobilitätswende und für unsere Klimaziele gleichermaßen.“
Was ihn zweitens freut: 24 Prozent der Fahrten, die jetzt mittels HVV-Deutschlandticket zurückgelegt werden, waren zuvor mit dem Pkw absolviert worden. Das geht aus einer Kundenbefragung hervor, bei der im Juni insgesamt 1000 Personen mit Wohnort in Hamburg und Umland (je zur Hälfte) befragt wurden. „Damit hat sich der Verkehr zu einem nicht unerheblichen Teil in den Umweltverbund verlagert“, stellte Tjarks fest. „Das entlastet nicht nur unsere Straßen, sondern auch das Klima maßgeblich und sorgt gleichzeitig dafür, dass Hamburg und das Umland mobil sein können.“
Zwei Prozent lassen ihr Rad stehen – 53 Prozent sind „Kannibalen“
Überraschend und nicht ganz so erfreulich für den bekennenden Fahrrad-Fan Tjarks: Zwei Prozent der Wege sind vom Rad auf Bus- und Bahn verlagert worden. Weitere drei Prozent entfielen früher auf ICE oder IC – die Nutzung dieser Fernzüge ist mit dem 49-Euro-Ticket nicht möglich. Wie die Befragung weiter ergab, wurde gut die Hälfte der Wege (53 Prozent) der neuen HVV-Nutzer auch früher mit dem ÖPNV zurückgelegt. Dass dafür jetzt nur das günstigere Ticket genutzt wird, wird intern als „Fahrten-Kannibalisierung“ bezeichnet.
Die restlichen zehn Prozent sind sogenannte induzierte Fahrten: Sie wären ohne das Deutschlandticket gar nicht angetreten worden. Dabei dürfte es sich zum Beispiel um Ausflüge mit der Bahn ans Meer, in die Heide oder ähnliche Wege handeln – genau abgefragt wurde das nicht. Dazu passt, dass 16 Prozent der Befragten mit dem günstigen Ticket auch über das HVV-Gebiet hinaus reisen. Zum Vergleich: Mit dem 9-Euro-Ticket, das es im Sommer 2022 für drei Monate gab, hatten nur elf Prozent der Kunden den Großraum Hamburg verlassen.
263.000 Nutzer haben ein Jobticket, das maximal 34,30 Euro im Monat kostet
„Die aktuellen Zahlen und Befragungsergebnisse zeigen sehr deutlich: Das HVV-Deutschlandticket wird überall gern genutzt“, sagte HVV-Geschäftsführerin Anna-Theresa Korbutt. „Nicht nur auf den täglichen Wegen, sondern auch darüber hinaus. Besonders freut mich, dass tatsächlich viele der 246.000 Neukundinnen und Neukunden jetzt ihr Auto stehen lassen und stattdessen den HVV nehmen. Das gibt der Mobilitätswende einen echten Schub.“
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Von den 764.000 HVV-Deutschlandticket-Kunden haben 263.000 ein Jobticket, das durch Arbeitgeber-Zuschüsse und fünf Prozent Großkundenrabatt für maximal 34,30 Euro im Monat zu haben ist. Allein in diesem Bereich sind 53.000 Neukunden hinzugekommen. 4300 Unternehmen beteiligen sich mittlerweile an dem Angebot, das seit dem 1. Mai allen Firmen und nicht nur solchen mit mindestens 20 Beschäftigten offensteht.
Hamburger Schüler fahren für 19 Euro – und bald kostenlos
74.600 Abos – 14.000 mehr als bislang – entfallen auf Hamburger Schüler, die nur 19 Euro für das Deutschlandticket zahlen. Damit nutzt gut jeder Dritte der mehr als 200.000 Schüler und Schülerinnen in der Hansestadt dieses Angebot. Unter ihnen sind 15.100 junge Menschen mit Anspruch auf Sozialrabatt, die den ÖPNV bereits kostenlos nutzen dürfen. Ab der zweiten Jahreshälfte 2024 will der Senat das allen Hamburger Schülern anbieten. Insgesamt sind unter den HVV-Deutschlandticket-Inhabern 67.500 mit Anspruch auf Sozialrabatt – 15.300 mehr als vor dem 1. Mai. Sie zahlen, sofern sie nicht Schüler sind, 19 Euro im Monat für das Abo.
Trotz vereinzelter Beschwerden über Probleme mit dem Deutschlandticket sagt der HVV: „Nennenswerte Probleme bei der Abrechnung der mehr als 240.000 neuen Abos sind uns nicht bekannt.“ Mitunter erfolge die erste Abbuchung „etwas verzögert, sodass dann die Beträge für den ersten (Teil-)Monat und den Folgemonat gemeinsam abgebucht werden“. Beim Sozialrabatt komme es hin und wieder vor, dass die Beantragung nicht korrekt erfolge, weil etwa das Formular nicht vollständig ausgefüllt wurde. Dann werde zunächst der Normalpreis von 49 Euro abgebucht.
HVV: Mehrheit kauft ihr 49-Euro-Ticket per App oder online
50 Prozent der Nutzer kaufen ihr Deutschlandticket in der HVV Switch App, zwölf Prozent online und immerhin 38 Prozent in einer HVV-Servicestelle. Für Letztere gilt: „Derzeit erfolgt die Auslieferung der letzten noch ausstehenden Chipkarten, die im Juni beantragt wurden“, so der HVV. „Die Startkarten bleiben bis zur postalischen Zustellung der Chipkarte gültig, auch über den aufgedruckten Geltungszeitraum hinaus.“ Wer sich wundere, warum sein online bestelltes Jobticket nicht sofort freigeschaltet wird: Dies liege in der Regel an der Prüfung des Antrags durch den Arbeitgeber, so der HVV. Diese könne bis zu fünf Werktage in Anspruch nehmen.