Hamburg. Die Stadt sammelt Unmengen an Verkehrsdaten. Jetzt bündelt sie sie und öffnet sie für Bürger. Welche Rolle die KI dabei spielt.
Wie komme ich am schnellsten mit dem Bus von Rahlstedt nach Poppenbüttel? Wie lange brauche ich mit dem Auto von Harburg nach Pinneberg und zurück? Ist der Elbtunnel wieder dicht? Geht es quer durch die Stadt schneller? Oder doch lieber die S-Bahn nehmen? Sehr viele Menschen lassen sich solche alltäglichen Fragen mittlerweile von der Technik beantworten: Smartphone zücken, HVV-App oder Google Maps öffnen – zack, kennt man die kürzeste Route oder das schnellste Verkehrsmittel.
Auch bei der Stadt Hamburg hat die Digitalisierung längst Einzug gehalten. Rund 2100 Kameras überwachen den fließenden Verkehr auf den Straßen und funken die Daten in die Leitzentralen; weitere 100 Kameras erfassen nur den Radverkehr; die Verkehrsunternehmen wissen dank GPS-Technik immer, wo sich ihre Busse und Bahnen befinden, und die S-Bahn misst auf ersten Strecken mittels Infrarotstrahlen die Auslastung ihrer Züge und zeigt diese an den Bahnsteigen an.
HVV: Hamburg will Google Maps keine Konkurrenz machen – aber es verbessern
Es ist ein wahrer Schatz an Daten, der sich bei städtischen Stellen sammelt – und der nun in einem Programm gebündelt und der Öffentlichkeit in Teilen zugänglich gemacht werden soll. Das Projekt läuft in der Verkehrsbehörde unter dem Arbeitstitel „#transmove – KI-gestützte Mobilitätsprognosen“ und soll in rund eineinhalb Jahren an den Start gehen. KI steht für Künstliche Intelligenz. Sie soll analysieren, wie sich Individuen durch die Stadt bewegen, und daraus berechnen, wie sich in das in Zukunft auf den „Schwarm“ an Verkehrsteilnehmern auswirkt – so sollen komplexe Verkehrsprognosen möglich sein.
Das steckt konkret dahinter: Schon jetzt haben Leitstellen der Stadt Zugriff auf ein Mobilitäts-Dashboard, das fast in Echtzeit anzeigt, wie der Verkehr auf den Straßen fließt (die Datenübermittlung erfolgt im Fünfminutentakt). Im Rahmen von Transmove wird bis Ende 2024 auf dieser Oberfläche auch angezeigt, wo sich Busse und Bahnen befinden. „Darüber hinaus werden Verspätungen und Prognosen über die Ankunftszeiten bereitgestellt“, so die Verkehrsbehörde. Auch eine Darstellung, wo sich gerade der nächste Moia-Kleinbus, ein HVV-Hop-Taxi oder Fahrzeuge von Carsharing-Anbietern befinden, wäre in diesem System „grundsätzlich möglich, ist zurzeit aber (noch) nicht vorgesehen“, heißt es.
Verkehrs-App soll Reisezeit-Verzögerungen und Mobilitätsprognosen anzeigen
Geplant ist dagegen, ausgewählte Ergebnisse von Transmove wie zum Beispiel Reisezeit-Verzögerungen und Mobilitätsprognosen den Bürgerinnen und Bürgern voraussichtlich Ende 2024 über eine App zur Verfügung zu stellen, so die Behörde. Macht die Stadt jetzt Google Maps Konkurrenz? Nein, das sei ausdrücklich nicht geplant. Routenplaner-Apps gebe es schon genug, außerdem würde so ein System enge Grenzen haben. Denn die Stadt verfüge ja im Wesentlichen nur über Daten aus Hamburg – daraus ließen sich keine Prognose für eine Fahrt an die Ostsee oder nach Hannover ableiten.
Dennoch sollen die Bürgerinnen und Bürger ganz praktisch von dem neuen Angebot profitieren, und zwar auf drei Wegen. Zum einen direkt, indem sie mittels der App Informationen über die Verkehrslage erhalten oder eine Prognose, wie der Verkehr zum Beispiel voraussichtlich in einer Stunde auf einer bestimmten Strecke fließen wird.
Mit Transmove will Hamburg Baustellen besser aufeinander abstimmen
Zweitens sollen Stadt- und Verkehrsplaner sowie die Mitarbeiter in den städtischen Leit- und Betriebszentralen ihre geplanten Maßnahmen und Eingriffe in die Verkehrsinfrastruktur in das Programm eingeben können. „Daraufhin werden die Effekte simuliert, die die Maßnahmen auf den Mobilitätsfluss verschiedener Verkehrsmittel haben können“, so die Verkehrsbehörde. „Die Ergebnisse verschiedener Szenarien können verglichen und so zur datengestützten Entscheidungsfindung verwendet werden.“
Mit anderen Worten: Transmove sorgt dafür, dass Baustellen besser geplant und auf andere Maßnahmen abgestimmt werden können. Hieran hatte es in Hamburg jahrelang gehapert, in Extremfällen waren ganze Stadtteile lahmgelegt worden, weil rundherum gebaut wurde.
Routing-Apps wie Google Maps können die Daten der Stadt nutzen
Drittens sollen die gebündelten Daten auch kommerziellen Nutzern über die Urban Data Platform (UDF) der Stadt zur Verfügung gestellt werden. Anbieter von Routing-Apps könnten die Daten von Transmove in ihre eigenen Software-Lösungen integrieren und verarbeiten, heißt es aus der Behörde. Bedeutet: Die Stadt macht Angeboten wie Google Maps zwar nicht Konkurrenz, hilft mit ihren Daten möglicherweise aber mit, sie besser zu machen.
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Inwiefern etablierte Routenplaner dieses Angebot nutzen werden, bleibt abzuwarten. Bei Google in Hamburg gab es auf eine Anfrage des Abendblatts dazu eine etwas ausweichende Antwort: „Die Verkehrsinformationen in Google Maps stammen aus verschiedenen Quellen, darunter Google-Maps-Fahrtrends und Informationen aus der Google-Maps-Community.“ Näheres möge man einem Blog entnehmen. Dort heißt es, dass man neben den Daten, die die Nutzer selbst senden, auch „zuverlässige Daten von offiziellen Stellen“ nutze. Insofern dürfte das neue Angebot aus Hamburg für den Weltkonzern zumindest auf lokaler Ebene interessant sein.
„Verkehrsprognosen auch für die Öffentlichkeit bereitstellen“
„Wir wollen mit Projekten, die im Rahmen des ITS-Kongresses entstanden sind, nachhaltig die Mobilität der Menschen in Hamburg verbessern“, sagte Dennis Heinert, Sprecher der Verkehrsbehörde, mit Blick auf den Weltkongress, der 2021 mit mehr als 13.000 Gästen in Hamburg stattgefunden hatte. „Hierfür ist Transmove ein gutes Beispiel. Es wird zum einen den Verkehrsplanerinnen und -planern in Echtzeit wichtige Einblicke in die Verkehrsentwicklung geben. Zum anderen werden wir Elemente wie die Verkehrsprognosen auch für die Öffentlichkeit bereitstellen.
Weiter sagte Heinert: „Zudem wollen wir die Daten aus dem Projekt – soweit dies datenschutzrechtlich möglich ist – über Open Source auch Drittanbietern zur Verfügung stellen, sodass sie in viele Apps und Plattformen, die die Menschen bereits benutzen oder zukünftig benutzen werden, integriert werden können.“
Transmove als „bestes Projekt zum Einsatz innovativer Technologien“ ausgezeichnet
Das Projekt Transmove wird vom Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) entwickelt, hat ein Budget von 5,2 Millionen Euro und wird gut zur Hälfte durch die Stadt finanziert. Den Rest, rund 46 Prozent, steuert der Bund bei, der Hamburg zur „Modellregion Mobilität“ auserkoren hat. 2022 hat das Programm beim eGovernment-Award den zweiten Platz in der Kategorie „Bestes Projekt zum Einsatz innovativer Technologien und Infrastrukturen“ gewonnen.