Hamburg. Schadenersatzforderungen stoppen die Hamburger Klimakleber ebenso wenig wie die Wut der Bürger. Eine junge Frau erzählt, was sie antreibt.

„Lebensgrundlage erhalten? Nicht Aufgabe dieser Uni.“ So stand es auf dem Banner der Letzten Generation, als sie im vergangenen Jahr an der Universität Hamburg protestierte. Der Schriftzug spielt auf einen Ausspruch von Universitätspräsident Hauke Heekeren im Gespräch mit den Klimaschützerinnen und Klimaschützern an. Die Protestierenden standen auf dem Vordach eines Unigebäudes, hinter ihnen die Fassade mit oranger Farbe beschmiert.

Gegen zwölf Beteiligte wurden im Nachgang Strafanträge gestellt. Vereinzelt kam es bereits zu Geldstrafen, nicht alle Strafbefehle sind bisher rechtskräftig. Wie das Abendblatt berichtete, will die Universität nun Schadenersatz von den militanten Klimaschützerinnen fordern, wenn es gesicherte Erkenntnisse zu den Verurteilungen gebe. Der Universität Hamburg war nach ihren Angaben ein Schaden von 37.600 Euro entstanden.

Im vergangenen Jahr hatten Klimaaktivistinnen und -aktivisten der Gruppe Letzte Generation das Audimax der Universität Hamburg mit Farbe beschmiert – allerdings wasserlösliche Sprühkreide. Die Uni forderte daraufhin Schadenersatz.
Im vergangenen Jahr hatten Klimaaktivistinnen und -aktivisten der Gruppe Letzte Generation das Audimax der Universität Hamburg mit Farbe beschmiert – allerdings wasserlösliche Sprühkreide. Die Uni forderte daraufhin Schadenersatz. © Kaja Weber

Letzte Generation: 37.600 Euro Strafe schrecken Klimaschützer nicht ab

Eine von denen, die am Audimax protestiert haben, ist Jana Mestmäcker. Die junge Frau ist durchdrungen von ihrer Mission, wendet sich an das Abendblatt und möchte ihre Sicht der Dinge erzählen. Der Kampf für mehr Klimaschutz mit den mehr als umstrittenen militanten Aktionen der Letzten Generation, so scheint es, bestimmt immer mehr ihr Leben – es ist ein Anliegen, das sie sehr persönlich nimmt.

Die 30-Jährige hat selbst an der Uni Hamburg Psychologie studiert. Als sie im vergangenen Jahr mit ihren Mitstreitern den Hörsaal im Audimax besetzte, stand einer ihrer früheren Professoren vor ihr. Sie hatte den Eindruck, dass der Professor sie nicht wiedererkannte.

„Das ist verständlich“, sagt sie, „denn ich bin auch kaum wiederzuerkennen im Vergleich zu Studienzeiten. Damals war ich unpolitisch, habe den gesamten Sommer in der Bibliothek verbracht, statt auch nur einmal nach links und rechts zu schauen. Jetzt bereue ich es, im Kampf um unser ehemals stabiles Klima wichtige Jahre verschwendet zu haben, bis weit nach meinem Abschluss die gesellschaftlichen Verhältnisse so wenig hinterfragt zu haben.“

Letzte Generation: Aktivistin verteidigt umstrittenen Protest

Das zumindest kann sich Mestmäcker heute nicht mehr vorwerfen – im Gegenteil. Seit anderthalb Jahren streitet sie mit der Letzten Generation für den Klimaschutz. Die Aktionen der Gruppe stehen sehr in der Kritik. Viele Bürgerinnen und Bürger teilen ihr Anliegen; die Form des Protestes – also die Blockade von Straßen und sogar Flughäfen durch das Festkleben der Aktivisten auf dem Asphalt, das Besprühen von Gebäuden – stößt aber zumeist auf Ablehnung.

Jana Mestmäcker setzt sich mit der Letzten Generation für den Klimaschutz ein.
Jana Mestmäcker setzt sich mit der Letzten Generation für den Klimaschutz ein. © Jana Mestmäcker

Für Mestmäcker selbst, so scheint es im Gespräch mit ihr, ist der Protest ohne Alternative. Immer wieder spricht die junge Frau von der „Klimakatastrophe“, davon, dass Hamburg vom steigenden Meeresspiegel akut bedroht sein werde. Die Lage ist für sie so dramatisch, dass sie Kritik an den umstrittenen Protestformen der Letzten Generation nicht nachvollziehen kann. „Wir wählen diese Proteste, weil wir jetzt nicht mehr auf eine Art protestieren können, wo wir drum herumkommen.“ Der Protest soll nicht ignoriert werden können.

Die Menschen müsse man mit unangenehmen Wahrheiten konfrontieren. Immer wieder. Darin sieht sie die zentrale Rolle der Letzten Generation. Dass dabei negative Emotionen gegenüber der Gruppe entstehen, ist für Mestmäcker verständlich, aber notwendig. „So was Schlimmes kann man nicht in einem netten Gespräch lösen.“

Schadenersatzforderungen? „Ich bin bereit, all mein Geld zu verlieren“

So radikal ihr Protest ist, so radikal hat sie auch Teile des eigenen Lebens ihrem Einsatz für mehr Klimaschutz untergeordnet. Ziemlich kompromisslos ist sie dazu bereit, dafür einiges in Kauf zu nehmen. Ihren Job als Psychologie-Dozentin in Göttingen gab sie auf, um sich ganz auf den Einsatz für den Klimaschutz konzentrieren zu können. Als sie kündigte, habe sie geweint, sagt sie. Für den Protest im Audimax an ihrer ehemaligen Uni ist sie in erster Instanz verurteilt worden, aktuell ist sie in Berufung.

Eventuelle Schadenersatzforderungen nimmt sie in Kauf. „Ich bin bereit, all mein Geld zu verlieren und auch ins Gefängnis zu gehen, wenn es so kommen sollte“, sagt sie. Das habe sie bereits entschieden, bevor sie mit den Protesten angefangen hat. Eine Märtyrerin für den Klimaschutz?

Mestmäcker begründet das so: „Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir die Lebensgrundlagen unwiederbringlich vernichten. Das kann man nicht mit Geld aufwiegen.“ Angst, wegen finanzieller Not auf der Straße zu landen, hat sie nicht. Alles dürfe ihr vom Staat nicht weggenommen werden, so Mestmäcker. Sie erwähnt nicht, dass sie auf Twitter erfolgreich um Spenden wirbt, mit denen sie ihre Geldstrafen begleicht.

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Klimaschützer wollen eher Schadenersatz von der Uni

Die Sache mit der Schadenersatzforderung dreht sie schulterzuckend um: Heutige „Machtinstitutionen“, so auch die Hamburger Uni, würden sich vor zukünftigen Generationen behaupten müssen, sollten diese eines Tages Schadenersatzforderungen für das zerstörte Klima stellen.

Für Mestmäcker sind das unbegleichbare Schulden. Dass Geld dann helfe, sei eine tragische Illusion. „Wenn die Uni diesen Weg gehen will, kann sie das tun. Ich persönlich glaube nicht, dass das Früchte trägt.“

Man könnte meinen, dass es in Sachen Klimaschutz wichtigere Spieler gibt als die Hamburger Uni. Warum also sollte sich der Präsident dann so unbedingt politisch äußern? Mestmäcker sieht eine Verantwortung bei der Uni, weil diese ein Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung sei, das stehe sogar in ihrem Leitbild. Es reiche nicht mehr, sich Dinge auf die Fahne zu schreiben, aber sie nicht umzusetzen, sagt die 30-Jährige.

Die gesellschaftliche Verantwortung der Uni ist für sie weder mit Nachhaltigkeitsforschung auf Exzellenzniveau noch mit einer vegetarischen Mensa erfüllt. Der Einsatz für den Klimaschutz dürfe sich nicht auf den Campus begrenzen. Die Uni nehme sich heraus, neutral zu sein. Und das, sagt Mestmäcker, finde sie „nicht okay“.

Letzte Generation: Schadet die Protestform dem Anliegen?

Angst, dass die Letzte Generation Menschen, die eigentlich für mehr Klimaschutz sind, mit der Form ihres Protestes verprelle und die Unterstützung für das Anliegen gefährde, habe sie nicht. „Kein vernünftiger Mensch wird sagen: ,Ich möchte jetzt, dass die Welt zugrunde geht, weil die auf der Straße mich so nerven.‘“ Das macht ihr auch Hoffnung.

Bei all den Diskrepanzen erlebe sie in Gesprächen nie, dass jemand ihr in der Sache widerspreche – da bestehe häufig Einigkeit. Die Ablehnung gelte nicht dem Anliegen des Klimaschutzes, sondern den Methoden der Letzten Generation. „Selbst unsere stärksten Kritiker oder Menschen, die uns wirklich hassen, sagen im Prinzip immer: ‚Sie haben ja recht, aber …‘“, so Mestmäcker.

Mit der Uni-Leitung, mit Präsident Heekeren, möchte sie wieder ins Gespräch kommen. „Die Konfrontationen fallen mir nicht leicht“, sagt sie. Und spricht gut von der Universität, sagt, sie habe dort sehr gerne studiert. Auch deswegen erhoffe sie sich mehr von ihr. Wie gesagt: Dieser Protest ist eine sehr persönliche Sache.