Hamburg. Mehr als 20 Milliarden Euro sollen in der Stadt verbuddelt werden. Und dann hofft man noch auf eine neue Bahntrasse nach Hannover.

Er ist nicht so bekannt wie Olaf Scholz oder Robert Habeck, aber kaum weniger einflussreich: Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, war diese Woche in Hamburg zu Gast, um sich mit den sozialdemokratischen Länder-Fraktionschefs abzustimmen. Dabei hätte er den Gastgebern bei der abschließenden Pressekonferenz im Rathaus durchaus ein kleines Geschenk machen können.

Angesprochen auf den Streit um die Bahnverbindung zwischen Hamburg und Hannover hätte der Rheinländer natürlich betonen können, wie wichtig eine gute Schienen-Anbindung des größten deutschen Hafens sei und dass der „Deutschlandtakt“ nur funktionieren könne, wenn man die Strecke Hamburg–Hannover in höchstens einer Stunde schafft statt wie bislang in gut 75 Minuten. Kurzum hätte er klarstellen können, dass es im gesamtdeutschen Interesse sei, dass eine kürzere Trasse entlang der A7 gebaut wird.

Viele Milliardenprojekte in Hamburg sollen Deutschlandtakt der Bahn dienen

Hat er aber nicht. Vielleicht sieht er das auch gar nicht so – das blieb offen. Erkennbar war dagegen, dass Mützenich im Hinterkopf hatte, dass in Niedersachsen an diesem Sonntag gewählt wird und dass sein Parteifreund Stefan Weil den Wählern versprochen hat, dass keine neue Trasse die Heidelandschaft zerschneiden wird. Der Ministerpräsident plädiert, ebenso wie sein Verkehrsminister und Herausforderer Bernd Althusmann (CDU), dafür, die deutlich längere Bestandsstrecke über Lüneburg und Celle auszubauen. So war es 2015 zwischen Bahn, Bürgern und Politik vereinbart und alle früheren Neubaupläne damit beerdigt worden.

Doch das war, bevor die Politik endlich einsah, dass das Bahnsystem völlig marode ist und nun mit einem Kraftakt namens „Deutschlandtakt“ auf Vordermann gebracht werden soll. Dessen Ziele, allen voran eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030, lassen sich nur mit einem Ausbau der Trasse Hamburg–Hannover nicht erreichen, hat die Bahn inzwischen analysiert – und lässt daher doch wieder Neubau-Pläne prüfen. Seit das bekannt wurde, ist der Protest entlang der potenziellen Strecke massiv und zum Wahlkampfthema geworden.

Der Senat hält an allen Projekten fest, die CDU ist skeptisch

Was sagte also Rolf Mützenich dazu? Sein Parteifreund Stefan Weil werde am Sonntag ja sicher gewinnen und sei immer „zu guten Verabredungen bereit“. Was man so sagt, wenn Wahlkampf ist und man sich nicht festlegen möchte. Kurios daran: Auf „Verabredungen“ zwischen Hamburg und Niedersachsen kommt es offiziell gar nicht an, denn die Entscheidung über solche Großprojekte trifft der Bund – also letztlich auch Mützenich und seine Abgeordneten. Und möglicherweise käme es ihnen ganz gelegen, wenn es beim Ausbau der Bestandsstrecke bliebe – denn der dürfte „nur“ eine einstellige Milliardensumme kosten, während eine komplett neue Trasse vermutlich die 10-Milliardengrenze sprengen würde.

Dass über Pläne solcher Dimension mit Hamburg-Bezug überhaupt nachgedacht wird, ist bemerkenswert. Denn in der Hansestadt wird bereits an derart vielen Mega-Verkehrsprojekten gearbeitet oder geplant, dass es einem schwindelig werden könnte.

A7, U5 und S4, neuer Bahnhof und zwei neue Tunnel – das ist schon alles geplant

Nur eine Auswahl: Das Bundesverkehrsministerium will einen „Verbindungsbahnentlastungstunnel“ unter dem Hauptbahnhof hindurch bis zum Diebsteich bauen. Durch diesen soll die S-Bahn verkehren, um oberirdisch Platz für mehr Fern- und Regionalverkehr zu schaffen. Diese Entlastung des „Knoten Hamburg“ ist einer der wichtigsten Maßnahmen im Deutschlandtakt. Geschätzte Kosten: 3,0 Milliarden Euro. Der Bau des neuen Fernbahnhofs Diebsteich als Ersatz für Altona wurde gerade gestartet, Kosten: 550 Millionen Euro.

Ebenfalls begonnen wurde der Bau der neuen S4 von Altona und Bad Oldesloe. Von den Kosten von rund 1,85 Milliarden Euro trägt der Bund gut 1,5 Milliarden, den Rest steuern Hamburg (200 Millionen), Schleswig-Holstein (90) und die Bahn (20) bei.

Die Hansestadt hat zudem gerade den ersten Spatenstich für die neue U5 gefeiert, die von Bramfeld über den Hauptbahnhof bis zu den Arenen im Volkspark fahren soll. Die Gesamtkosten sind noch unklar. Rechnet man die 1,8 Milliarden Euro für den ersten Bauabschnitt auf die 24-Kilometer-Strecke hoch, dürften es mindestens acht Milliarden werden. Eine Beteiligung des Bundes wird angestrebt, ist aber noch offen.

Verkehrssenator Tjarks strebt eine zusätzliche Elbquerung an

Um die ebenfalls zum Knoten Hamburg zählenden Elbbrücken zu entlasten, strebt Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) eine zusätzliche Elbquerung mit zwei Gleisen bis nach Harburg an. Die Machbarkeitsuntersuchung läuft noch, daher sind die Kosten unbekannt, aber sie dürften ebenfalls nicht weit von der Milliardengrenze entfernt sein – ebenso wie für die geplante Verlängerung der U4 über den Grasbrook bis nach Wilhelmsburg.

Hinzu kommen diverse große Straßenprojekte, allen voran der Ausbau der A7. Der ist größtenteils schon abgeschlossen, aber allein der aktuelle Abschnitt Altona samt Lärmschutzdeckel kostet rund rund 800 Millionen Euro. Den Löwenanteil trägt der Bund, doch auch Hamburg ist mit 250 Millionen Euro dabei, da der Deckel auf Wunsch der Stadt auf 2,2 Kilometern verlängert wird. Südlich des Elbtunnels wird gerade die längste Autobahnbrücke Deutschlands verbreitert (Kosten: 335 Millionen Euro), bevor anschließend bis 2031 die A26 Ost gebaut wird. Für die „Hafenpassage“ von der A7 zur A1 wird mit 1,85 Milliarden Euro kalkuliert. Nur einen Katzensprung nördlich davon soll ein neuer Köhlbrandtunnel die marode Hochbrücke ersetzen – geschätzte Kosten: gut 3,2 Milliarden Euro.

FDP-Chef: Das Problem ist weniger das Geld als die Planung und die Abstimmung

Allein für diese Großprojekte sollen also mehr als 20 Milliarden Euro in Hamburg verbuddelt werden. Für eine neue Bahnstrecke Hamburg–Hannover kämen noch einmal 50 Prozent oben drauf – und das in der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Ist das noch realistisch?

Ja, sagt Michael Kruse. Der FDP-Landesvorsitzende ist Mitglied im Verkehrssauschuss des Bundestags: „Ich sehe Herausforderungen weniger beim Geld als bei der Geschwindigkeit der Planung und bei der Abstimmung der Bundesländer. Da ist der Süden besser als der Norden.“ Für viele Projekte wie die A20 durch Schleswig-Holstein samt Elbquerung westlich von Hamburg sei Geld vorhanden, aber Planung und Umsetzung kämen dennoch nicht voran. Nicht zu investieren werde langfristig noch teurer, weil es die Wirtschaft ausbremse, sagt Kruse und verweist auf die gesperrte A45-Autobahnbrücke bei Lüdenscheid. Er hält auch eine Kapazitätserweiterung der Bahnstrecke Hamburg-Hannover für notwendig.

Senat will keine Abstriche machen: „Infrastrukturprojekte scheitern nicht am Geld“

Auch in rot-grünen Senatskreisen ist man sich sicher, dass keine Abstriche bei den ehrgeizigen Plänen nötig sein werden. „Infrastrukturprojekte scheitern nicht am Geld“, sagt ein Regierungsmitglied unmissverständlich. Der entscheidende Topf beim Bund sei gar nicht ausgelastet. Dass eine Finanzierung am Anfang eines Projektes noch nicht stehe, sei normal – denn die könne man ja erst dann beantragen, wenn das Projekt durchgeplant und die Kosten ermittelt seien. Die Milliardenprojekte zur Entlastung des Knoten Hamburg hätten auch beim Bund Top-Priorität.

Christoph Ploß ist sich da nicht ganz so sicher. „In den letzten Jahren hat der Staat die Sozialausgaben immer weiter gesteigert und hat viele Milliarden nach dem Gießkannenprinzip ausgeschüttet, anstatt zielgenau den wirklich Bedürftigen zu helfen“, sagt der CDU-Landesvorsitzende, der ebenfalls Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestages ist. Wenn die Ampelkoalition so weitermache, „sehe ich die große Gefahr, dass auch wichtige norddeutsche Verkehrsprojekte darunter leiden könnten“, so Ploß. Als Beispiel nennt er die U5: Die sei ein Hamburger Projekt, und es sei völlig unklar, ob und in welcher Höhe der Bund sich daran beteiligen werde: „Der rot-grüne Senat geht da ein großes Risiko ein.“

CDU Hamburg fordert: Senat muss mehr mit dem Umland reden

Eine neue Bahnstrecke Hamburg–Hannover hält man zwar auch in der Hamburger CDU für sinnvoll – hält sich aber mit Rücksicht auf den wahlkämpfenden Kollegen Althusmann derzeit zurück. Fraktionschef Dennis Thering sagte, er könne die Kritik aus Niedersachsen an Hamburg verstehen: Der Senat müsse die Metropolregion bei übergreifenden Mobilitätsprojekten stärker mit einbeziehen.

Das hat sich auch Rot-Grün vorgenommen. Er wolle die Zusammenarbeit mit dem Umland noch weiter „intensivieren“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf, als er am Mittwoch neben Rolf Mützenich saß. Gleichwohl betonte er mit Blick auf die Frage nach einer neuen Bahnstrecke nach Hannover selbstbewusst: „Wenn wir die Mobilitätswende wollen, dann müssen wir auch in die Infrastruktur eingreifen. Aus Hamburger Sicht ist es jetzt mal überfällig, dass wir die Entscheidung treffen.“