San Francisco. Leiter des Sammeltaxi-Dienstes hält autonomes Fahren für „unausweichlich“ – und erwartet in Hamburg einen Hype wie in den USA.
Auf Peter Tschentschers USA-Reise als Bundesratspräsident sollte der Bürgermeister und die ihn begleitende 19-köpfige Wirtschafts- und Wissenschaftsdelegation am Dienstagabend in San Francisco ankommen. Mit dabei: Hamburgs Moia-Chef Sascha Meyer. Für den 42-Jährigen ist es der zweite Besuch der kalifornischen IT- und Hightech-Metropole innerhalb kurzer Zeit.
Er sei begeistert davon, auf welch hohem Niveau es dort schon autonomes Fahren gebe, erzählt der Leiter des Sammeltaxi-Dienstes. „Städte wie San Francisco ebnen den Weg für die Schlüsseltechnologie autonomes Fahren“, sagt Meyer. Aus seiner Sicht ist es „unausweichlich“, dass auch Hamburg bald eine ähnliche Entwicklung mit einem „weitreichenden Hypefaktor“ erleben wird – zu bestechend seien die Vorteile dieser neuen Form der Mobilität, mit der sich kommende Herausforderungen bewältigen ließen.
Hamburgs Moia-Chef hat selbstfahrende Fahrzeuge in San Francisco getestet
Neben San Francisco erproben auch die US-Städte Phoenix (Arizona) und Austin (Texas) schon Mobilitätsangebote mit selbstfahrenden Fahrzeugen für jedermann. Moia nutze zwar bereits intensiv maschinelles Lernen, ein Teilgebiet der künstlichen Intelligenz (KI), sagt Meyer. „Aber als Unternehmen mit einem digital begründeten Geschäftsmodell müssen wir frühzeitig die Potenziale durch neue Technologien erkennen und Partnerschaften für deren Anwendung knüpfen.“
In San Francisco hat Meyer schon die selbstfahrenden Taxis des Unternehmens Cruise getestet. Zu dieser Zeit waren die Fahrten der Cruise-Elektroautos – speziell ausgestattete Chevrolets, Modell „Bolt“ – auf die Nacht beschränkt; frühestens von 22 Uhr an durfte man sich von ihnen durch San Francisco kutschieren lassen. „Wir sind stundenlang rauf und runter gefahren“, erzählt Meyer. „Es hat einwandfrei funktioniert.” Inzwischen plant Cruise einen Betrieb auch tagsüber.
Wie sicher und zuverlässig sind selbstfahrende Taxis wirklich?
So reibungslos wie bei den Testfahrten des Moia-Chefs läuft es zwar noch längst nicht bei allen Touren der Cruise-Taxis. US-Medien zufolge gibt es zahlreiche Berichte, wonach selbstfahrende Taxis des General-Motors-Tochterunternehmens auf den Straßen von San Francisco mitten auf der Fahrbahn anhielten oder stark bremsten. Mindestens ein Cruise-Fahrzeug fuhr auf einen Bus auf. Sascha Meyer geht allerdings fest davon aus, dass die Technologie immer besser werden wird.
Angesichts des demografischen Wandels könnte es künftig einen Mangel an Arbeitskräften geben, der auch bedeute, dass es an Fahrerinnen und Fahrern für Busse und Bahnen mangele. „Dies wird auch Mobilitätsdienste wie Moia betreffen“, sagt Sascha Meyer. Allein deshalb setze er auf selbstfahrende Autos als Ergänzung der Flotte: „Wenn wir unser Angebot in Hamburg ausbauen wollen, werden wir um autonomes Fahren kaum herumkommen.“ Für einen solchen Ausbau der Moia-Fahrten spreche auch, dass sich damit noch erheblich mehr Lücken füllen ließen, die es im Netz des städtischen Bus- und Bahnnetzes gibt.
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Die Steuerung autonomer Fahrzeuge ist eine Herausforderung
Und am Ende gehe es auch darum, im internationalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen zu geraten. „Auch wenn die USA beim autonomen Fahren vor Europa das Basislager erreicht haben, ist das Rennen um den Gipfel eines kommerziell verlässlichen und wachsenden autonomen Mobilitätsdienstes noch nicht entschieden“, sagt Meyer. „Hier gilt es für die deutsche Automobilindustrie, sich einen Platz zu erschließen.“
Dabei gehe es nicht nur um den deutschen Markt, sagt Sascha Meyer. Moia sitzt bisher in Hamburg und Berlin. Von den Besuchen in den Vereinigten Staaten und der aktuellen Visite in San Francisco als Teil der Tschentscher-Delegation will Meyer lernen, wie Moia eine Steuerung autonomer Fahrzeuge in Hamburg so gut vorbereiten könnte, dass es nicht zu solchen Problemen kommt, wie Cruise sie gerade zu spüren bekommt. Bei einer Expansion zielt Moia allerdings nicht auf den US-amerikanischen Markt ab, sondern auf Europa.
Moia-Algorithmus berechnet aus mehreren Fahrtanfragen eine Route
Moia hat in Hamburg derzeit 1300 Mitarbeitende. Das Unternehmen bietet einen Sammeltaxi-Dienst an, bei dem sich Fahrgäste, deren Start- und Zielorte in ähnlicher Richtung liegen, einen kleinen Elektrobus teilen. Anders als Hamburgs städtische Busse sind die Moia-Fahrzeuge nicht auf festen Routen unterwegs, sondern werden „dynamisch“ eingesetzt, wie es das zum Volkswagen-Konzern gehörende Unternehmen nennt.
Ein Computerprogramm kombiniert die per App gestellten Fahrtanfragen der Kunden miteinander, plant so die Routen der einzelnen Fahrzeuge und berechnet Abfahrts-, Fahr- und Ankunftszeiten. Dabei optimiere der Algorithmus die Strecken so, „dass für die Fahrgäste nur geringe Umwege anfallen“, schreibt Moia. Das könne dazu dienen, „individuellen Autoverkehr zu vermeiden und die Verkehrsinfrastruktur effizienter zu nutzen“.
Autonomes Fahren: Bis zu 10.000 Fahrzeuge bis 2030 in Hamburg
Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) strebt wie berichtet an, dass bis 2030 auf den Straßen der Hansestadt bis zu 10.000 autonome Fahrzeuge unterwegs sein sollen – eine Voraussetzung dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger innerhalb von fünf Minuten ein öffentliches Verkehrsangebot erreichen können („Hamburg-Takt“), das für die Stadt bezahlbar ist. Hamburgs Grüne haben angeregt, dass in Bereichen der äußeren Stadt, wo sich ohne Auto kaum die nächste Bahnstation oder Bushaltestelle erreichen lässt, Online-Rufdienste wie Moia zeitweise kostenlos sein könnten.
Für ein Pilotprojekt im Hamburger Süden will die Stadt wie berichtet 20 autonom fahrende Autos anschaffen, wie Tjarks und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) im März mitteilten. Hamburg und der Bund fördern dies mit jeweils 18 Millionen Euro. Wenn die neuen Fahrzeuge da sind, beginnt eine Testphase, in der noch Fahrer an Bord sind, aber keine Fahrgäste. Schrittweise sollen die Autos dann „lernen“, sich allein im Stadtverkehr zu bewegen, bevor sie von 2025 an völlig autonom fahren sollen – allerdings dann überwacht aus einer zentralen Leitstelle.