Hamburg. Mehr Rad- und Bahnverkehr: Nordländer und Kreise wollen Mobilitätswende voranbringen – doch manches Projekt ist kompliziert.
Mehr als fünf Millionen Menschen leben in der Metropolregion Hamburg. Viele Hunderttausend von ihnen pendeln jeden Tag aus dem Umland in die Hansestadt oder aus ihr heraus. Und auch bei den Wegen zum Einkaufen, zum Arzt oder ins Theater ist das permanente Überschreiten von Ländergrenzen in diesem Teil Norddeutschlands Alltag.
Dennoch begegnen sich die Partner in der Metropolregion auch mit gewissem Argwohn. Insbesondere die Großstadt Hamburg als Fixpunkt der Region wird den Ruf nicht los, mitunter mit einer gewissen Arroganz auf das ländlich geprägte Umland zu schauen und ihre Interessen robust durchzusetzen.
Tjarks: Mobilitätswende geht nur mit dem Umland gemeinsam
Als am Donnerstag rund 400 Vertreter aus den vier beteiligten Bundesländern sowie 20 Kreisen und kreisfreien Städten zu ihrer ersten „Regionalkonferenz“ seit drei Jahren zusammenkamen, um über das Thema „Was uns bewegt. Rückenwind für die Mobilitätswende in der Metropolregion Hamburg“ zu sprechen, war es Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) daher ein Bedürfnis, vorab eines klarzustellen: „Der Verkehrssenator der Freien und Hansestadt Hamburg“, sagte Tjarks in der dritten Person über sich, „ist der festen Meinung, dass die Mobilitätswende und die Mobilitätsentwicklung in Hamburg nur mit Ihnen zusammen, mit dem Umland, geht. Wir haben 370.000 Einpendler und Sie haben auch 150.000 Auspendler – wenn wir das Thema nicht zusammen angehen, dann sind wir verratzt und verkauft.“ Ungewöhnliche Worte, die die Gäste im Festsaal des Hamburger Rathauses mit Applaus honorierten.
Bevor in mehreren Arbeitsgruppen diverse Themen besprochen wurden, insbesondere der Ausbau der Radschnellwege zwischen dem Umland und der Stadt, versicherten viele Beteiligte, wie wichtig diese Kooperation im Norden für sie sei – allerdings wurde dabei auch deutlich, wie kompliziert so manches Projekt ist.
49-Euro-Ticket könnte „Booster“ für den Regionalverkehr sein
So betonte Tjarks, welch großen Einfluss das Deutschlandticket auf die Metropolregion haben werde. Wenn die Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr voraussichtlich ab Mai nur noch 49 Euro koste, halbiere sich in Hamburg der Preis, hinter Lüneburg verringere er sich dagegen sogar auf ein Sechstel, von 2500 Euro auf rund 600 Euro im Jahr, rechnete der Verkehrssenator vor und prophezeite: „Ich erwarte mir davon einen echten Booster für die Mobilitätswende und einen Booster für den Regionalverkehr.“
Die Kehrseite habe man jedoch gesehen, als das 9-Euro-Ticket für übervolle Züge gesorgt habe: „Das Angebot muss besser werden“, so Tjarks, es brauche viel mehr Regionalzüge für 800 Personen. Mehr Züge am Hauptbahnhof bedeute jedoch: „Wir wissen als Stadt, dass wir dafür etwas tun müssen: breitere Elbbrücken bauen, einen größeren Hauptbahnhof bauen, einen zusätzlichen Tunnel durch unsere Stadt bauen.“
Alles Jahrhundertprojekte, die Milliarden kosten und einen enormen Vorlauf haben – bis sie umgesetzt sind, werden die zusätzlichen Fahrgäste längst da sein.
Kreise fordern für Ausbau des Nahverkehrs: „Wir brauchen mehr Geld“
Eine Herausforderung ist auch der Bau von Radschnellwegen. Pinnebergs Landrätin Elfi Heesch, deren Kreis die Federführung für die nun fertigen Machbarkeitsstudien hatte, begrüßte diesen Plan. Doch vor der Umsetzung müsse erst einmal geklärt werden, ob für die Baumaßnahmen B-Pläne zu erstellen seien. Wenn das der Fall sei, müsse eine entsprechende Bürgerbeteiligung organisiert werden. Das dauert. Einen Zeitpunkt, wann der erste Radschnellweg fertig sein könnte, wollte Heesch daher lieber nicht nennen.
Die Landrätin betonte zudem, dass die Kreise in Schleswig-Holstein ihre Ausgaben für den Busverkehr zwar in den letzten Jahren schon vervierfacht hätten, doch für eine echte Mobilitätswende brauche es noch mehr Busse in noch kürzeren Takten. Da jedoch zudem die gestiegenen Energiekosten „volle Kante“ auf die Verkehrsbetriebe durchgeschlagen hätten, gebe es vor allem ein Problem, so Heesch: „Wir brauchen mehr Geld.“
Tschentscher will Bahn „in jedem Projekt unterstützen“
Ein drittes Feld, auf dem Konflikte lauern, sprach Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) nur indirekt an. „Wir brauchen viel, viel mehr Güter auf der Schiene, wie brauchen leistungsfähigen Personenverkehr auf der Schiene, deshalb brauchen wir den Deutschlandtakt“, sagte er und appellierte an alle Beteiligten, die Deutsche Bahn „in jedem Projekt“ zu unterstützen – als Beispiel nannte er die Verlegung des Fernbahnhofs Altona nach Diebsteich, den Ausbau des Hauptbahnhofs und eine zusätzliche Elbquerung.
Die Bahn plant im Rahmen des Deutschlandtakts aber auch eine gänzlich neue Trasse zwischen Hamburg und Hannover entlang der A7 – diese wird von der niedersächsischen Landesregierung abgelehnt, vom Landkreis Harburg geradezu bekämpft, im benachbarten Landkreis Lüneburg aber gefordert. Eine einvernehmliche Lösung innerhalb der Metropolregion scheint derzeit ferner denn je.
Wissing: Metropolregion Hamburg ist ein Leuchtturm für moderne Mobilität
Auch Tschentschers Appell für den Bau der Autobahnen A20 in Schleswig-Holstein und A26-Ost in Hamburg stößt nicht überall auf Freude – nicht mal bei seinem eigenen Koalitionspartner, den Grünen.
Trotz diese Konflikte war Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) voll des Lobes: „Die Metropolregion Hamburg ist ein Leuchtturm für moderne Mobilität“, sagte er in einer Videobotschaft. „Seit vielen Jahren werden hier innovative Projekte entwickelt, erprobt und in der Praxis eingesetzt. Hier können die Menschen erleben, wie die Mobilität von morgen aussehen wird – digitalisiert und vernetzt, klimafreundlich und effizient.“
Schwesig lobt: „Zack“, in einer Stunde von Schwerin nach Hamburg
Auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sowie die Regierungschefs Daniel Günther (Schleswig-Holstein, CDU) und Stephan Weil (Niedersachsen, SPD) sagten in kurzen Botschaften ihre Unterstützung für die Metropolregion Hamburg zu.
Mit dem Zug sei sie, „zack“, von Schwerin in einer Stunde in Hamburg, sagte Schwesig. Jetzt müsse auch der ländliche Raum Mecklenburgs besser an den öffentlichen Nahverkehr angebunden werden. Dabei denke sie an mehr Pendlerparkplätze, sichere Fahrradstellplätze, Rufbusse und das autonome Fahren.
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Nabu-Chef kritisiert: Hinter dem Rücken werden weiter Autobahnen geplant
Weil räumte ein, dass die Menschen in Nord-Niedersachsen „sehr stark Richtung Oberzentrum Hamburg“ orientiert seien und es vielfältige Verflechtungen gebe. Dabei spiele der Verkehr „eine überragend wichtige Rolle“. Insbesondere beim Radverkehr gehe „noch viel mehr“, zum Beispiel durch eine leichtere Mitnahme von Fahrrädern in Zügen Richtung Hamburg und durch Radschnellwege.
Malte Siegert, Vorsitzender des Umweltverbands Nabu Hamburg, bezeichnete die Kommunikation rund um die Konferenz als „Mogelpackung“: Es werde suggeriert, dass nur die ökologischen Verkehrsträger ausgebaut werden sollen. „Dabei werden hinter dem Rücken weiter Autobahnen geplant und gebaut.“