Hamburg. Solaranlagen boomen – aber Stromnetz Hamburg bewältigt die Anträge nicht. Was man zu Balkonkraftwerken und Co. wissen muss.

Auch wenn man sich berechtigte Sorgen um den Klimawandel machen muss, genießen die meisten Menschen in Hamburg das Wetter in diesen Tagen. Die Energiewende auf Basis großflächiger Solaranlagen mit Photovoltaik zur Stromerzeugung dürfte vorankommen. Doch das ist ein Irrtum – und der hat nicht etwa mit Lieferproblemen zu tun. Tausende Haushalte in Hamburg warten auf den Anschluss ihrer fertig installierten und von Technikprofis abgenommenen Photovoltaikanlagen. Stromnetz Hamburg als Inhaber und Betreiber der Netze kommt mit den Genehmigungen nicht hinterher, auch nicht bei Anlagen, für die alle Bescheinigungen vorliegen.

Eine Sprecherin des Unternehmens erklärte dem Abendblatt: „Die PV-Antragsbearbeitung dauert bei Vorliegen aller korrekt ausgefüllten kaufmännischen sowie technischen Unterlagen im Allgemeinen zirka zwei Wochen.“ Es komme wegen des hohen Aufkommens derzeit zu „leichten Verzögerungen“. Weil das Anmelden digitalisiert werde, beschleunige sich diese Antragsbearbeitung aber bald.

Photovoltaik und Balkonkraftwerke in Hamburg: Hier hakt es

Das erleben zahlreiche Kunden und private Investoren in heimische Photovoltaik komplett anders. Nach ihren Schilderungen und Unterlagen, die sie dem Abendblatt zur Verfügung stellten, dauerte es zum Teil drei oder vier Monate, bis überhaupt ein Termin für eine Freischaltung von Stromnetz Hamburg kam.

Viele fürchten, dass Sommer und Sonne vorbei sind, ehe die Anlagen produktionsfähig sind. Je mehr Sonne und Selbstversorgung, desto schneller hat sich eine Anlage amortisiert und sinken die privaten Stromkosten – vom Klimaschutz ganz zu schweigen.

Stromnetz Hamburg verspricht offiziell eine Bearbeitungsdauer von einer Woche, wenn der Elektroinstallateur den Antrag gestellt hat. Bei der Hotline und der Kundenbetreuung per Mail hört sich das anders an: Mitarbeiter sagen, derzeit seien 1500 Dächer fertig gemeldet und warteten auf Abnahme. Vom Abendblatt befragte Installationsunternehmen bestätigten die langen Wartezeiten auf das Freischalten bei Stromnetz Hamburg.

Hamburg hat nur halb so viele Photovoltaikanlagen genehmigt wie Berlin

Das Unternehmen in städtischer Hand (Aufsichtsratsvorsitzender: Umweltsenator Jens Kerstan/Grüne) bedauerte die Verzögerungen und erklärte, es habe Mitte Mai insgesamt 8365 „erneuerbare Stromerzeugungseinheiten bei solarer Strahlungsenergie“ in Hamburg gegeben. Da Photovoltaikanlagen mit ein oder zwei Modulen als „Balkonkraftwerke“ auch für Mieter interessant und vor allem lieferbar und sogar zu mieten sind, dürfte der Boom anhalten.

Seit diesem Jahr ist eine Photovoltaikanlage auf Neubauten sogar gesetzliche Pflicht. In Hamburg wurden 2023 (bis Mai) nach Angaben der Bundesnetzagentur erst 1756 Anlagen genehmigt. In Berlin waren es zum Vergleich mehr als doppelt so viele. Das Wachstum betrug in Hamburg in diesem Jahr nur 0,4 Prozent vom bundesweiten Ausbau dieser Art der erneuerbaren Energie.

Bei Solar- und Gründächern hat sich Hamburg wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Der Senat musste bereits auf mehrere Anfragen der CDU-Opposition einräumen, dass zum Beispiel im gesamten Jahr 2022 nicht eine Photovoltaikanlage auf einem öffentlichen Gebäude installiert wurde. Von den genannten 1142 Immobilien in städtischer Hand wiesen 31 eine solche klimaschützende Stromproduktion auf, hieß es im Januar. Allein auf Schulgebäuden sollen zahlreiche PV-Anlagen entstehen, dazu Gründächer. Von „neuen Kraftwerken“ sprachen Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) und Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne), als sie im vergangenen Jahr an der Stadtteilschule Horn die vorbildliche Installation besichtigten.

Photovoltaik mit Speicher: Monatelanges Warten auf den Anschluss

60 bis 65 Prozent des benötigten Stroms beziehen die Schüler und Lehrer dort vom eigenen Dach. Davon können Privatleute wie Jürgen S. nur träumen. Er nahm im Hamburger Norden mehr als 20.000 Euro in die Hand, um mit seiner neuen Hightech-Photovoltaikanlage zu sparen und eigenen Strom sogar in einem separaten Speicher für eine spätere Nutzung zu haben. Er wartet seit drei Monaten darauf, dass Stromnetz Hamburg die Anlage ans Netz nimmt. Seine Installationsfirma bestätigte die erheblich verlängerten Wartezeiten.

Dabei muss man unterscheiden zwischen den großen Anlagen, die Strom vom Dach auch ins Hamburger Netz einspeisen, und den sogenannten Balkonkraftwerken, die Teile des Eigenbedarfs abdecken sollen. Hier gibt es günstige Modelle vom Baumarkt und sogar von Discountern. Sie unterscheiden sich in ihrer Leistungsfähigkeit und Qualität. Die Stadt Hamburg hat ausführliche Tipps auf hamburg.de veröffentlicht, Lichtblick hat aufschlussreiche Ratgeber im Netz, der Verband privater Bauherren bietet eine Übersicht – wie auch der kleine Lokstedter Verein Solisolar-Hamburg.

Solisolar: Tipps und Tricks für Photovoltaik und Balkonkraftwerke

Dessen Sprecher Volker Henkel sagte dem Abendblatt, man habe innerhalb eines Jahres 500 Photovoltaikmodule übergeben. Die Nachfrage sei groß, die Interessentengruppe bunt gemischt. Solisolar berät Privatkunden und kauft größere Mengen ein, um die Kosten der Anlagen überschaubar zu halten. Gleichzeitig gibt Solisolar Ratschläge und Hilfen beim Aufbau.

Nach der Rechtsauffassung des Vereins müssen Balkonkraftwerke derzeit nicht vom Netzbetreiber genehmigt, sondern nur angemeldet werden, um ins sogenannte Markstammdatenregister zu kommen. Denn deren Leistung sei nicht so hoch, dass sich die Stromzähler dauerhaft rückwärts drehen.

Vorübergehend wird das geduldet, eine Gesetzesnovelle soll in diesen Wochen in Berlin beschlossen werden. Alte Stromzähler sollen aus diesem Grund in Zukunft gegen moderne ausgetauscht werden, die legal in beide Richtungen laufen.

Finanzsenator Andreas Dressel postet private Photovoltaikanlage bei Instagram

Hausbesitzer, die selbst Strom ins Netz einspeisen wollen, laufen da häufig gegen eine bürokratische Wand. Stromnetz Hamburg ist zwar langsam bei der Genehmigung, erwartet aber auch noch Monate nach Genehmigung einer Photovoltaikanlage, dass noch einmal extra das Formular für das „Inbetriebnahmeprotokoll E8“ vorgelegt werde, um die Anlage „vergütungstechnisch“ im System zu erfassen – auch wenn alle Unterlagen mutmaßlich ausgefüllt wurden.

Da nimmt es nicht wunder, wenn ein prominenter PV-Anlagenbesitzer sein privates Glück mit einem Instagram-Post feiert wie einen Lottogewinn. „Unsere persönliche Energiewende macht Fortschritte“, schrieb er und postete ein Foto mit Emojis von Daumen nach oben und angespanntem Bizepsmuskel. „Als Neubau hatte unser Haus die Wärmepumpe schon direkt an Bord, jetzt kommt endlich Photovoltaik aufs Dach.“ Der Glückliche heißt Andreas Dressel und ist Hamburgs Finanzsenator.

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