Hamburg. Kinderkrankenhaus Wilhelmstift und AOK schließen Vertrag. Gesundheitsrisiken in Stadtteilen ungleich verteilt.
In einem bundesweit ersten Projekt wollen Hamburger Ärzte, Experten und die Krankenkasse AOK Rheinland/Hamburg für eine bessere Betreuung von Schwangeren, jungen Müttern und ihren Kindern sorgen. Dabei stehen medizinische, aber auch soziale Belange von Familien im Vordergrund. Die Sozialbehörde von Senatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) ist an den Kosten beteiligt. In zunächst 24 Praxen von Frauen- und Kinderärzten werden sogenannte Babylotsen als Ansprechpartnerinnen dienen. Dazu haben die Krankenkasse und die Stiftung SeeYou des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmstift einen „Selektivvertrag“ geschlossen.
AOK: Was Vorstand Matthias Mohrmann kritisiert
SeeYou-Geschäftsführer und Chefarzt Dr. Sönke Siefert sagte am Donnerstag, familiäre Belastungen wie Armut verschlechterten die gesundheitliche Perspektive von Kindern deutlich. Arztpraxen könnten bereits in der Schwangerschaft und frühen Kindheit helfen, diese Belastungen zu identifizieren und Hilfsangebote miteinander zu vernetzen. AOK-Vorstand Matthias Mohrmann sagte: „Familien finden nicht den Weg zu den Angeboten.“
Eine „richtige Ansprache“ könne schon durch die geplanten Fragebogenaktionen in den Praxen geleistet werden. Die AOK wies darauf hin, dass es Hunderte Hilfen und Projekte im medizinischen wie sozialen Bereich gebe. Allerdings seien schon Normalbürger damit überfordert, dass für die eine Leistung diese, für die andere jene Einrichtung verantwortlich sei. Bei Menschen mit Migrationshintergrund oder in sozialer Armut wirke sich das noch verschärfend aus.
AOK: Hilfen für Schwangere und Babys
Mohrmann wies auf das Projekt des Gesundheitskiosks in Billstedt hin, der eine Art integrierender Beratung biete. Kinderarzt Siefert sagte mit Blick auf die Situation junger Familien in Hamburg: „Es gibt Probleme, die wir in der Medizin nicht lösen können.“ In Zukunft sollen vor allem Medizinische Fachangestellte in den Praxen für eine psychosoziale Betreuung vor allem von Schwangeren sorgen.
Die AOK hatte in ihrem Gesundheitsreport 2023 herausgefunden, dass familiäre Belastungen die gesundheitlichen Risiken von Kindern erhöhen. Dazu zählen Armutsrisiken, chronische Krankheiten und Süchte von Vater oder Mutter. Schon eine Diabetes eines Elternteils könne zu einer Belastung für die gesamte Familie werden. Mehr als jedes zweite bei der AOK versicherte Kind in Hamburg ist demnach davon betroffen. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich Auffälligkeiten und Krankheiten bei den Kindern herausbilden, steigt dabei.
- Warum in Hamburg immer mehr Hausärzte fehlen
- Neue Zahlen- Hamburg vernachlässigt seine Krankenhäuser
- Hamburgs Gesundheitskosten- Das Umland zur Kassen bitten!
U-Untersuchungen: Kinder aus ALG-II-Haushalten verpassen sie häufiger
27 Prozent der Kinder aus Haushalten mit Bezug von Arbeitslosengeld II verpassten im Jahr 2021 eine der vorgeschriebenen U-Untersuchungen beim Kinderarzt. Die Befunde an Adipositas (Fettleibigkeit) und psychischen Auffälligkeiten sowie Entwicklungsstörungen ähneln sich in den AOK-Befunden den Ergebnissen anderer Krankenkassen zu den Folgen der Corona-Pandemie.
Allerdings kann die AOK zeigen, dass zum Beispiel der Anteil der Kinder mit Adipositas (3 bis 17 Jahre) im Bezirk Harburg (12,6 Prozent) erheblich höher lag als in Hamburg-Nord (6,3). Umgekehrt wird bei Kindern mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Störung) im vermeintlich wohlhabenderen Bezirk Eimsbüttel viel schneller (41,8 Prozent der Kinder) zu Medikamenten gegriffen als in Harburg (27,2).