Hamburg. Prof. Schreyögg sieht positive Effekte der Einrichtung für die medizinische Versorgung. Wurde der Gesundheitskiosk politisches Opfer?
Die Nachricht sorgte für Bestürzung bei Kunden und Mitarbeitern und hatte einen bundespolitischen Nachhall: Wenige Tage nach der Ankündigung von drei Krankenkassen, den Gesundheitskiosk in Hamburg-Billstedt nicht weiter fördern zu wollen, widerspricht ein Wissenschaftler und Gutachter einigen Kassen-Argumenten. Prof. Jonas Schreyögg vom Hamburg Center for Health Economics (HCHE), der auch im (unabhängigen) Sachverständigenrat der Bundesregierung tätig ist, sagte dem Abendblatt: Der Gesundheitskiosk habe nachgewiesene positive Errungenschaften.
Die Untersuchung, die Schreyögg und Prof. Eva Wild gemacht haben, sollten nach wissenschaftlicher Einschätzung aber auf einen längeren Zeitraum ausgedehnt werden, um die Effekte der Beratungsstelle genauer messen zu können. Schreyögg sagte: „In der von uns vorgenommenen wissenschaftlichen Evaluation kommen wir unter anderem zum Ergebnis, dass sich für die Versicherten vor allem der Zugang zur Versorgung verbessert hat. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass die Versicherten eine steigende Anzahl ambulanter Arztbesuche bei gleichzeitigem Rückgang vermeidbarer Krankenhausaufenthalte hatten.“
Gesundheitskiosk: Wer die Kunden sind
Das bedeutet in aller Regel, dass die medizinische Versorgung für das „System“ kostengünstiger ist. In Billstedt ist der Anteil an Migranten höher als in anderen Hamburger Quartieren. Das deutsche Gesundheitssystem mit Arztpraxen als Anlaufstellen und spezialisierten niedergelassenen Fachärzten ist vielen nicht geläufig.
Schreyögg sagte außerdem über die Nutzerinnen und Nutzer der Beratungsangebote: „Oftmals sind dies Menschen, die beim Arzt eine Diagnose für eine chronische Erkrankung erhalten, zum Beispiel Diabetes. Sie sind jedoch damit überfordert, mit dieser Erkrankung zu leben und wissen oft nicht, dass sich durch Ernährung und Bewegung die Werte verbessern lassen. In diesem Fall überweist die Ärztin oder der Arzt an den Gesundheitskiosk, der mit den Menschen hierfür einen Plan entwickelt und sie über die Zeit bei der Ausführung dieses Plans begleitet.“
Tatsächlich sind außerdem Ernährung und Übergewicht sowie die gesundheitlichen Folgen Schwerpunktthemen der Beratung.
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Gesundheitskiosk: Wie die Krankenkassen argumentieren
Die Krankenkassen TK, Barmer und DAK hatten bemängelt, der Gesundheitskiosk biete Doppelstrukturen mit Angeboten, die es bereits woanders gebe, zum Beispiel in der Sozialarbeit. Das dürften die Kassen aufgrund ihres gesetzlichen Auftrags nicht finanzieren. Tatsächlich wollen die Kassen mit ihrer Weigerung zur Weiterführung auch ein Zeichen gegenüber Gesundheitsminister Karl Lauterbach setzen, mit dem sie in hartem Clinch liegen wegen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes. Sie sind nicht nur zum weitgehenden Auflösen ihrer Finanzreserven gezwungen, sondern auch zum Anheben der Beiträge.
Wissenschaftler Schreyögg verteidigt die Idee hinter der Einrichtung: „Ich halte das Konzept des Gesundheitskiosks für ein effektives Konzept zur Verbesserung des Zugang zur Versorgung für Menschen in Quartieren mit deprivierter Bevölkerungsstruktur.“ Die Diskussion um den Kiosk zeige aber auch, dass eine nachhaltige Finanzierung gefunden werden müsse, „in der Kommunen, Krankenkassen, sowie eventuell weitere Kostenträger an der Finanzierung beteiligt werden“.
Die Stadtteilkonferenzen Billstedt, Horn und Mümmelmannsberg haben sich in einer Erklärung für den Erhalt des Gesundheitskiosk ausgesprochen: „Durch die medizinisch-pflegerische Beratung im Gesundheitskiosk wird unsere sozialpädagogische Arbeit in den Stadtteileinrichtungen sehr gut unterstützt, die Angebote ergänzen sich von daher perfekt.“ Das bestehende Angebot werde bereichert.
Am Mittwoch feiert der Gesundheitskiosk fünfjähriges Bestehen mit einem hochkarätig besetzten Symposion im Museum MARKK am Rothenbaum.