Hamburg. Besonders in Randstadtteilen werden Allgemeinmediziner gesucht. Verbandschefin und KV warnen vor gefährlichen Trends.
Wie groß die Not ist, zeigt sich an den lyrisch intonierten Stellenanzeigen im Ärzteblatt: „Ihre Zukunft liegt im Süden!“ Ein Allgemeinmediziner, wahlweise auch Internist, wird für eine Hausarztpraxis gesucht. Er oder sie darf sich gerne mit Diabetes-Patienten auskennen. Vollzeit oder Teilzeit, das ist egal, die Bezahlung ist ohnehin über dem Durchschnitt. Dasselbe gilt für Altersvorsorge und Urlaub. Allein – dieser Süden ist der Hamburger Süden, Bezirk Harburg, zwischen Neuland und Neugraben-Fischbek.
So klingen Hilferufe nach Hausärzten in diesen Tagen. Ähnlich formuliertes Stellenbesetzungsflehen erklingt für Meiendorf oder Billstedt und den „nordwestlichen Rand“. Darüber hinausschauen mag man erst gar nicht. Die Situation in Teilen Schleswig-Holsteins und Niedersachsens ist noch übler. Auf dem platten Land sollen sogar handfeste finanzielle Anreize Hausärzte in die Provinz locken. So weit ist Hamburg noch nicht. Ob es am Mangel an Allgemeinmedizinern in einigen Quartieren überhaupt etwas ändern würde, ist fraglich.
In Hamburg fehlen etliche Hausärzte
Dr. Jana Husemann hat ihre Praxis mit einem Ärzteteam auf St. Pauli. Die Vorsitzende des Hausärzteverbandes sieht nicht nur die Überalterung. Die verschwindend geringe Zahl von jungen Medizinern, die sich vorstellen können, als Hausarzt zu arbeiten, spannt die Lage weiter an.
Das Medizinstudium hätte längst die Allgemeinmedizin stärken sollen. „An der Kostenfrage ist das bislang gescheitert. Politisch wäre auch zu klären, wie man die Bürokratie für Niedergelassene mindern kann. Die Vorgaben der Telematik-Infrastruktur und die fehlende Wertschätzung sind weitere Punkte, die Interessenten davon abschrecken, als Hausarzt tätig zu werden.“
Hausärzte in Hamburg: Die Stadt gilt als überversorgt
Hamburg gilt als „überversorgt“ mit Ärzten, hat Anfang Dezember eine Anfrage der Linken in der Bürgerschaft ergeben (das Abendblatt berichtete). Doch der Linken-Gesundheitsexperte Deniz Celik kritisierte anhand der Zahlen, dass ärmere Stadtteile unterversorgt seien. Husemann weist auf einen oft vergessenen Aspekt hin: „In Hamburg kommt hinzu, dass auf vielen Hausarztsitzen Ärztinnen und Ärzte arbeiten, die gar nicht hausärztlich tätig sind. Sie arbeiten gebietsfachärztlich zum Beispiel als Diabetologe. Andere bieten hauptsächlich Selbstzahler-Angebote wie Homöopathie oder Bio-Resonanztherapie an.“
Im „Brot- und Butter-Geschäft“ der Grundversorgung fehlen diese Hausärzte dann. Das führt zu einem Aufnahmestopp bei denen, die den Ansturm der Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder anderen klassischen Volkskrankheiten kaum noch bewältigen können. „Jeder Patient sollte Kontakt zu einem Hausarzt haben“, sagt Husemann.
Kassenärztliche Vereinigung: Heftige Kritik an Medizinischen Versorgungszentren
Das kann auch der Angestellte in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) sein. Allerdings schaut die Kassenärztliche Vereinigung kritisch auf MVZ-Konstruktionen, in denen nicht Ärzte das Sagen haben. Eines davon ist die Münchener Firma Avi Medical. Sie betreibt dort am Hauptbahnhof, in Schwabing und Bogenhausen Großpraxen. Ein Sprecher sagte dem Abendblatt, man werde in diesem Jahr nach und nach acht Hamburger Standorte eröffnen. Das Unternehmen wirbt mit Online-Terminservice, Videosprechstunden und „hochwertigen Räumen“. Ärzte lockt man mit „attraktivem Fixgehalt“ plus variablen Gehaltsanteilen plus einer Beteiligung am Unternehmen „ohne unternehmerisches Risiko“. Avi Medical spricht davon, zuletzt 28,5 Millionen Euro von Investoren eingesammelt zu haben.
Diese Unternehmungen schmecken Hamburgs KV-Chef gar nicht. Vor allem von Anlegern getriebene Medizinische Versorgungszentren „interessieren sich nicht für die Grundversorgung in prekären Stadtteilen“, so Walter Plassmann. „Diese Private-Equity-MVZ bedrohen fachärztliche Strukturen.“ Zum Gegensteuern benötige man die Hilfe des Gesetzgebers. „Es ist wirklich dringend, aktuell können wir nur zuschauen, wie eine Praxis nach der anderen in MVZ-Strukturen verschwindet.“ Hausärztin Husemann gibt zu bedenken: „Medizinische Versorgungszentren sind nicht prinzipiell schlechte Einrichtungen. Oft sind sie im Besitz von Ärzteteams. Wenn jedoch Kapitalgeber dahinterstehen, haben die Renditeinteressen. Aber das reine Geldverdienen darf nicht die Haupttriebfeder des ärztlichen Handelns sein.“
MVZ: Was sie für Ärzte so attraktiv macht
Es gibt auch MVZ, bei denen Ärzte Teilhaber werden und mitbestimmen können. Und vielen Medizinern kommt das Angestelltsein auch entgegen, weil es mit ihrer Familie besser vereinbar ist. Für angestellte und freiberuflich arbeitende Ärzte sowie Hunderttausende Patienten bieten Telemedizin-Portale wie Zava, das vom Hamburger David Meinertz gegründet wurde und geleitet wird, eine Alternative. Zava hat durch die Corona-Pandemie einen weiteren Schub erhalten. Ärzten wie Patienten wurde klar, dass ein erstes Gespräch oder eine Rezeptverlängerung am Telefon oder per Videosprechstunde machbar ist. Flexibel für beide Seiten, nennt Meinertz das. Und: „Es ist effizienter. Der Arzt hat mehr Zeit für Patienten, für die es notwendig ist. Das verbessert auch das Behandlungsergebnis für den Patienten.“
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Meinertz sagte, die Telemedizin sei nur eine, aber eine gute Maßnahme, um einem Hausarztmangel entgegenzuwirken. Zava bietet die Videosprechstunden für Selbstzahler, aber auch in Kooperation mit gesetzlichen Krankenkassen an. Im vergangenen Jahr gab es über die Plattform in Deutschland 250.000 ärztliche Konsultationen, europaweit 1,5 Millionen. Meinertz ist davon überzeugt, dass auch die „silver generation“ der Älteren Gesundheitsleistungen per Handy oder Tablet schätzen lernt.