Hamburg. Die Elb-Union könnte Mehrheitsbeschafferin werden – die Grünen gehen derweil ohne Koalitionsaussage ins Rennen.

CDU-Oppositionschef Dennis Thering ist ein freundlicher und eher heiterer Mensch. Die gute Laune des CDU-Politikers wird noch gesteigert, wenn sich SPD und Grüne mal wieder in die Wolle kriegen. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, das Muster funktioniert auch in der Politik.

Diese Woche bot Grund genug für beste Stimmung bei Thering. Einmal mehr gerieten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und sein Senats-Antipode, Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne), aneinander.

Streit zwischen SPD und Grünen in Hamburg ist fast schon ritualisiert

Nachdem Tschentscher im Abendblatt-Interview die umstrittene Verklappung von Elbschlick vor der Vogelschutzinsel Scharhörn in der Nordsee erneut beharrlich verteidigt und sogar als besonders umweltfreundlich gepriesen hatte, holte Ker­stan zum verbalen Gegenschlag aus.

Wer so etwas behaupte wie Tschentscher, sei „schlecht beraten oder mangelhaft informiert“. Die Überlegungen des Bürgermeisters zur Scharhörn-Verklappung seien außerdem „nicht hilfreich“, um gemeinsam mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen eine langfristige Lösung des Schlickproblems zu erarbeiten, wie es sich die drei Länder vorgenommen haben.

Koalitionskrise ist Steilvorlage für CDU Hamburg

Wenn sich Regierende derart streiten, ist das eine Steilvorlage für jeden Oppositionspolitiker. Die rot-grüne Koalition habe bei vielen Themen keine gemeinsame Agenda mehr, meldete sich Thering schnell zu Wort. „Dieser Streit ist nicht neu, aber er spitzt sich immer weiter zu, und das ist schlecht für unsere Stadt. Wir stehen vor großen Herausforderungen und brauchen jetzt einen Senat, der anpackt und Hamburg voranbringt“, sagte der Bürgerschafts-Fraktionsvorsitzende. Er musste es gar nicht aussprechen, man ahnt es auch so: Thering meint einen Senat natürlich mit CDU-Beteiligung.

Die fast schon ritualisierten Auseinandersetzungen zwischen SPD und Grünen sind im Grunde ein Revitalisierungsprogramm für die Elb-Union, die nach der Bürgerschaftswahl 2020 marginalisiert war. Die einstige Bürgermeisterpartei sackte auf magere 11,2 Prozent ab und stellt seitdem nur noch 15 der 123 Abgeordneten. Die mit knapper Zwei-Drittel-Mehrheit regierenden Sozialdemokraten und Grünen stärkten zwar per Verfassungsänderung noch die Minderheitenrechte im Parlament, kümmerten sich aber ansonsten nicht sehr um die Christdemokraten.

Thering: „Man nimmt uns wieder ernst“

Bürgermeister Peter Tschentscher habe ihn zuletzt vor eineinhalb Jahren angerufen, so erzählt es Thering, um ihn zu fragen, ob die CDU dafür sei, Udo Lindenberg zum Hamburger Ehrenbürger zu ernennen. Bei aller Wertschätzung für den Panikrocker: nicht gerade das heißeste Politikthema. Davor gab es zwei Online-Runden mit dem Bürgermeister und den Fraktionsvorsitzenden der Bürgerschaft zu Beginn der Corona-Pandemie. Das war’s – mehr direkter Kontakt zwischen Bürgermeister und CDU-Fraktionschef war nicht.

In anderen Länderparlamenten reden Regierungs- und Oppositionschefs schon mal abseits des Protokolls miteinander. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Unions-Bundestags-Fraktionschef Friedrich Merz wollen sich nach längerer Funkstille treffen.

Seit einiger Zeit habe sich die Lage allerdings geändert, so Thering, Rote und Grüne zeigten wieder mehr Interesse und Aufmerksamkeit gegenüber der größten Oppositionsfraktion. „Man nimmt uns wieder ernst“, glaubt der CDU-Fraktionschef.

In der Demoskopie sprang die CDU im Herbst auf 20 Prozent

Als Indiz wertet Thering zum Beispiel die Haushaltsrede von Tschentscher Mitte Dezember in der Bürgerschaft. Gleich fünfmal hatte sich der Bürgermeister die CDU vorgeknöpft, zweimal Thering direkt angesprochen. Nun gut, freundlich war es nicht, was Tschentscher in Richtung CDU sagte. Es ging zumeist um die politischen Versäumnisse zu Zeiten der CDU-Senate 2001 bis 2011. Aber immerhin wahrgenommen. Das ist mehr, als ignoriert zu werden.

Apropos Wahrnehmung: Für eine gestiegene Aufmerksamkeit sorgt sicherlich auch die Umfrage der „Zeit“ vom vergangenen Herbst. In der Demoskopie sprang die CDU auf 20 Prozent, während die Grünen mit 30 Prozent knapp vor der SPD mit 29 Prozent lagen. Zwar hätte Rot-Grün weiterhin eine satte Mehrheit, aber bei der Wahl 2020 hatte die SPD mit 39,2 Prozent deutliche 15 Prozentpunkte vor den Grünen gelegen. Andererseits: Mit der CDU als Juniorpartnerin könnten sowohl die Sozialdemokraten als auch die Grünen ein Bündnis eingehen.

Grüne haben Ambitionen auf Spitzenposten nicht aufgegeben

Schließlich steht für die nächste Bürgerschaftswahl erneut ein Duell zwischen Peter Tschentscher und der Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) um das Amt des Ersten Bürgermeisters oder der Ersten Bürgermeisterin an.

Rot-grüne Koalition hin oder her – die Grünen haben ihre Ambitionen auf den Spitzenposten keinesfalls aufgegeben. Und die Chance, das „Zünglein an der Waage“ zu sein, sollten SPD und Grüne – zermürbt voneinander – nicht mehr miteinander regieren wollen, beflügelt seitdem Stimmung und Strategiedebatten bei den Christdemokraten mächtig. Dass die CDU stärkste Kraft wird und selbst Anspruch auf das Bürgermeisteramt erheben kann, glauben nicht einmal die größten Optimisten in der Partei. Bescheidenheit ist also angesagt.

Thering beherrscht die Abteilung Attacke

Doch wo steht die CDU heute mit dem Landesvorsitzenden Christoph Ploß und dem Fraktionschef Thering, dessen Spitzenkandidatur für 2025 in der CDU als absolut sicher gilt? Auffällig ist, wie hart und auch ins Persönliche gehend Thering den Senat und die Koalition insgesamt in der Bürgerschaft attackiert.

Der Christdemokrat nutzt mehr den groben Degen als das filigrane Florett. Seine Argumentation ist manchmal etwas holzschnittartig und eher von Schwarz-Weiß-Tönen geprägt. Der Christdemokrat beherrscht auf der Bühne des Parlaments die Abteilung Attacke, was ihm auch mediale Aufmerksamkeit sichert, aber verständlicherweise für heftige atmosphärische Störungen und Gegenreaktionen vonseiten der SPD und der Grünen sorgt.

SPD und CDU haben bislang im Rathaus nie zusammen regiert

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf spricht von „sehr provokativen Bemerkungen“ Therings, die immer wieder Eskalationen auslösten, auch von „Verleumdung, Unwahrheiten und Unterstellungen“. Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen hatte in der Haushaltsdebatte Mitte Dezember nach der Thering-Rede wenig schmeichelhaft gesagt, es sei beeindruckend, „wie die CDU es schafft, die Stange beim Niveau-Limbo doch noch ein bisschen tiefer zu hängen“.

Andererseits: Sowohl Kienscherf als auch Lorenzen attestieren Thering, dass er sich an Vereinbarungen hält und vertrauliche Gespräche vertraulich bleiben.

Aus Sicht der SPD mag die CDU „auf den ersten Blick der bequemere Koalitionspartner“ sein, wie es ein Sozialdemokrat ausdrückt. Kienscherf sieht aber weiterhin größere Übereinstimmungen zwischen SPD und Grünen, zudem falle es ihm schwer, „bei der CDU inhaltlich durchzublicken“. Deren Positionen seien häufig widersprüchlich. Es ist bemerkenswert, dass SPD und CDU in Hamburg nie zusammen regiert haben. Die SPD ließ das nicht zu, auch nicht 2020, als es rechnerisch möglich war. Und umgekehrt auch nicht die CDU, als sie in den Nullerjahren mit Ole von Beust den Ersten Bürgermeister stellte.

Grüne in Hamburg gehen ohne Koalitionsaussage ins Rennen

Im Gegenteil: Von Beust setzte 2008 das bundesweit erste schwarz-grüne Bündnis auf Landesebene durch, das letztlich bekanntlich spektakulär scheiterte und beide Parteien auf die Oppositionsbank beförderte. Doch ausgeschlossen ist eine Wiederauflage der Koalition 2025 – jedenfalls unter umgekehrten Vorzeichen – nicht.

„Ich rechne damit, dass wir nicht mit einer Koalitionsaussage ins Rennen gehen werden“, sagt Grünen-Fraktionschef Lorenzen. „Allerdings ist der nahe liegende Partner die SPD. Wir sind uns inhaltlich näher, aber es gibt keinen Automatismus“, betont Lorenzen. Das sind bemerkenswerte Sätze nach fast acht Jahren des gemeinsamen Regierens mit der SPD und auch Ausdruck des Selbstbewusstseins der Grünen angesichts des letzten Wahlergebnisses und guter Umfragen.

Lorenzen: „Mit der Ploß-CDU ist eine Koalition nicht denkbar“

Denn auch das ist wahr: Es könnte für Grüne eine durchaus verlockende Vorstellung sein, mithilfe der CDU erstmals mit Katharina Fegebank eine Erste Bürgermeisterin zu stellen, sogar ohne selbst stärkste Partei zu werden. Auch solch ein Ergebnis ist ja möglich. „Dann müssten wir aber viele Kröten schlucken“, sagt Lorenzen. Sehr realistisch klingt es nach jetzigem Stand nicht.

Auch weil Lorenzen diesen Satz sagt: „Mit der Ploß-CDU ist eine Koalition atmosphärisch nicht denkbar.“ Der Bundestagsabgeordnete Ploß hat vor allem in gesellschaftspolitischen Fragen ein konservatives Profil und ist ein treuer Gefolgsmann des Konservativen Friedrich Merz. Ploß ist zum Beispiel ein entschiedener Gegner des „Gender-Wahnsinns“, wie er die bei SPD und Grünen sehr verbreiteten Binnen-Is, Doppelpunkte und Gender-Sternchen nennt.

Fall Jörn Kruse ist von zentraler Bedeutung für CDU-Strategie

Von zentraler Bedeutung für die CDU-Strategie wie auch die Außenwahrnehmung des Landesverbandes ist der Fall Jörn Kruse. Der CDU-Kreisverband Hamburg-Nord, dessen Vorsitzender Ploß ist, hatte den früheren AfD-Landes- und -Fraktionsvorsitzenden Ende August 2022 in die CDU aufgenommen. Kruse hatte die rechtspopulistische Partei zwar 2018 verlassen, zuvor aber in leitender Funktion zum Beispiel den zunehmenden Einfluss des AfD-Rechtsaußens Björn Höcke zwar gelegentlich kritisiert, aber letztlich doch akzeptiert.

Ploß ging es um das Signal, AfD-Abtrünnige in die Partei einbinden zu wollen. Der Ex-AfD-Fraktionschef, der ausdrücklich Friedrich Merz als Grund für seinen CDU-Eintritt nannte, strebt keine Ämter in der Partei an. Gegen die Aufnahme Kruses formierte sich aber gleichwohl innerparteilicher Widerstand, unter anderem aus der als liberal geltenden CDU Altona, zumal Ploß die Spitzengremien der Partei nicht über den Schritt informiert hatte.

Fall Jörn Kruse sorgte für innerparteiliche Konfrontation

Und erstmals ging auch Thering auf Gegenkurs zu seinem engen Weggefährten Ploß. „Wir haben als CDU keinerlei Schnittmengen mit der Ex-Partei von Herrn Kruse. Er hat sich mit der AfD während der fortschreitenden Radikalisierung gemein gemacht, sie an führender Stelle in Hamburg über viele Jahre repräsentiert und die immer wieder rassistischen, antisemitischen und antidemokratischen Äußerungen zumindest hingenommen“, sagte der CDU-Fraktionschef, der deutlich machte, dass er Kruse in den CDU-Kreisverband Wandsbek, dessen Vorsitzender er ist, nicht aufgenommen hätte.

Thering konnte die innerparteiliche Konfrontation entschärfen, indem er einen Kompromiss durchsetzte: Kruse bleibt in der CDU, aber über die Aufnahme von Ex-AfD-Mitgliedern entscheidet künftig immer der Landesvorstand, sodass jede Personalie breit diskutiert wird. Grundsätzlich entscheiden die Kreisverbände über die Aufnahme von Mitgliedern. Thering braucht als künftiger Spitzenkandidat mit Blick auf die potenziellen Koalitionspartner SPD und Grüne Themen und Positionen, die deutlich machen, dass er einen (etwas) anderen Kurs als der konservativere Ploß fährt. Darin, in der klaren Abgrenzung nach Rechtsaußen, liegt die vor allem symbolische strategische Bedeutung des Falls Kruse.

CDU will programmatisch SPD und Grünen nicht „hinterherlaufen“

Denn in einem Punkt sind sich Ploß und Thering wiederum einig: Programmatisch wird die CDU SPD und Grünen nicht „hinterherlaufen“. Es wird inhaltlich im Bürgerschafts-Wahlkampf 2025 eine deutlich Abgrenzung von Rot-Grün geben – beispielhaft im Bereich der inneren Sicherheit und der Verkehrspolitik. Die Stoßrichtung der CDU-Kampagne 2020 mit dem Spitzenkandidaten Marcus Weinberg aus Altona gilt in den Augen von Ploß und Thering als gescheitert.

Auch um „Anschlussfähigkeit“ vor allem in Richtung Grüne zu beweisen, hatte der frühere Bundestagsabgeordnete Weinberg unter anderem den Bau zweier Stadtbahn-Linien als „MetroTram Altona“ im Hamburger Westen vorgeschlagen. Der CDU, so Ploß und Thering, habe man den Schwenk nicht abgenommen. Viele Menschen hätten dann gleich das „Original“, die Grünen, gewählt.

Wahlen zu Bezirksversammlungen sind erster Test für CDU Hamburg

Ein erster Test, ob die CDU in die rot-grüne Phalanx einbrechen kann, wird sich vermutlich mit den Wahlen zu den Bezirksversammlungen im kommenden Jahr ergeben. Im Oktober 2022, als die rot-grüne Mehrheit in der Bezirksversammlung Wandsbek wegen drei Fraktionsaustritten bei den Grünen plötzlich wegbrach, hatte die SPD der CDU noch die kalte Schulter gezeigt. Verhandelt wurde mit der FDP, was aber nicht zu einem positiven Ergebnis führte.

Der überraschende Übertritt eines Ex-Grünen in die SPD-Fraktion sicherte die rot-grüne Mehrheit letztlich wieder. Vielleicht war dem Wandsbeker SPD-Vorsitzenden, Finanzsenator Andreas Dressel, eine Koalition mit dem Kreisverband von Dennis Thering dann doch zu viel Aufwertung für die Oppositionspartei CDU.