Hamburg. Hamburg kann sich einen Neubau der Strecke vorstellen, Niedersachsen lehnt das ab – aus den Gemeinden kommen schwere Vorwürfe.

Eines der größten Verkehrsprojekte des Landes sorgt für Streit im Norden. Es geht um den Ausbau der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover, einer der wichtigsten Schienenverbindungen der Republik. In der Hansestadt wünscht man sich einen kompletten Neubau der Strecke entlang der A7, um die Fahrtzeit nach Hannover um rund 15 Minuten auf knapp eine Stunde reduzieren und die Kapazitäten für Personen- und Güterverkehr deutlich ausbauen zu können. In Niedersachsen wird der Neubau hingegen vehement abgelehnt. Dort plädiert man für einen Ausbau der bestehenden Strecke über Lüneburg, Uelzen und Celle – und erhebt schwere Vorwürfe in Richtung des Nachbarn im Norden.

Zum Hintergrund: Pläne für neue Schienenwege im Dreieck Hamburg, Hannover und Bremen („Y-Trasse“) gab es schon früher. Doch 2015 waren diese von Bahn, betroffenen Kommunen und Bürgern im „Dialogforum Schiene Nord“ gemeinsam verworfen worden. Stattdessen hatte man sich auf den Ausbau der Bestandsstrecke unter dem Projektnamen „Alpha-E“ geeinigt. Das hatte jedoch keine bindende Wirkung.

ICE-Strecke Hannover–Hamburg: Bahn erwägt Neubau, obwohl der verworfen wurde

Und so nahm die Bahn im Zuge der Pläne für den „Deutschlandtakt“, mit dem die Fahrgastzahlen auf der Schiene bundesweit bis 2030 verdoppelt werden sollen, wieder den Neubau einer Strecke Hamburg-Hannover in ihre Prüfung mit auf, die nun unter „Optimiertes Alpha-E-plus“ läuft. Zur Begründung verweist sie darauf, dass sich bis 2030 ein Viertel des gesamten Schienenverkehrsaufkommens der Republik im Raum Hamburg–Bremen–Hannover abspielen werde – was vor allem an dem Güterverkehr zu und aus den beiden Seehäfen liegt.

Als die Pläne publik wurden, regte sich südlich von Hamburg massiver Widerstand. In fast jedem Dorf entlang der potenziellen Neubaustrecke steht ein rot-gelbes X als Protest, kürzlich besetzten bei Garlstorf 1600 Bürger mit 120 Traktoren einen Acker, der der Schnellbahntrasse weichen müsste, und im Abendblatt erhoben Vertreter der betroffenen Gemeinden im Landkreis Harburg schwere Vorwürfe in Richtung Hamburg.

Umlandgemeinden werfen Hamburg vor, nur Hafen-Interessen zu verfolgen

Nicht nur, dass Landschaften zerschnitten, Biotope zerstört und Ortschaften zwischen A7 und Bahntrasse eingekesselt würden, beklagten sie, sondern auch, dass es in Wahrheit nur um Interessen des Hamburger Hafens gehe: „Die Bahn spricht vom Deutschland-Takt – in Wahrheit aber ist der Neubau davon getrieben, den Güterverkehr massiv auszubauen“, sagte Wolfgang Krause, Bürgermeister der Samtgemeinde Salzhausen

Emily Weede (CDU), Bürgermeisterin der Gemeinde Seevetal, berichtete von einem Gespräch mit Hamburgs Wirtschafts-Staatsrat Andreas Rieckhof (SPD), der unverblümt die Interessen des Hafens betont habe: „Er sagte: ,Gebaut wird, was Hamburg will. wenn ein paar Leute protestieren, ist das egal. Wir arbeiten für die Hamburger Industrie und Wirtschaft’“, so Weede, die fürchtete, ihre Gemeinde werde „zum Gewerbeklo für die Stadt Hamburg“.

Wirtschafts-Staatsrat Rieckhof kontert Vorwurf: „Das Zitat ist frei erfunden.“

Starker Tobak, der nicht unwidersprochen blieb. „Das Zitat ist frei erfunden“, sagte Rieckhof am Dienstag auf Abendblatt-Anfrage. Er habe zwar mit der Seevetaler Bürgermeisterin am Rande einer Veranstaltung bei einem Chemieunternehmen im Hafen gesprochen, sich dabei allerdings anders geäußert. „Richtig ist: Hamburg hat großes Interesse an einer leistungsfähigen Schienenanbindung des Hamburger Hafens und begrüßt das Vorhaben des Bundes und der DB, den Übergang zum ,Deutschlandtakt 2030’ auch mit weiteren Infrastrukturmaßnahmen zu erreichen“, sagte Rieckhof.

Es werde nicht ausreichen, nur mehr Züge im bestehenden Netz fahren zu lassen. „Ob dafür aber komplett neue Schienenwege benötigt oder bestehende Schienenwege ausgebaut werden, entscheidet nicht Hamburg. Für uns zählt das zusätzliche Angebot an Kapazität“, so der Wirtschaftsstaatsrat. „Bei der aktuellen Debatte dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass nur mit einer Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene die deutschen Klimaziele im Verkehr erreicht werden können. Die politisch gewollte Verkehrswende ist ohne leistungsfähige Bahnverbindungen für den Personen- und den Güterverkehr nicht möglich“, sagte Rieckhof. Es gehe aber nicht um eine „Schnellstrecke für den Güterverkehr“, sondern um „verlässliche zusätzliche Angebote für den Schienengüterverkehr im Netz“.

Gemeinde-Bürgermeister sind sauer auf Hamburgs Verkehrssenator Tjarks

Die Gemeinde-Bürgermeister warfen zudem Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) vor, dass er im NDR bereits 2021 vorweggenommen hatte, dass die neue Strecke „mit hoher Wahrscheinlichkeit entlang der A7 laufen wird – ab Maschen Richtung Hannover“. Tatsächlich macht Tjarks keinen Hehl daraus, dass er ein Fan des Deutschlandtakts ist, und in diesem Sinne würde man sich in seiner „Behörde für Verkehr und Mobilitätswende“ wohl über die schnellere Neubau-Strecke freuen. Offiziell positionieren mag man sich aber noch nicht.

„Der Hamburger Senat bevorzugt keine Variante“, teilte Tjarks’ Sprecher Dennis Heinert mit. Der Deutschlandtakt beinhalte 181 Projekte, von denen in Hamburg die zentrale Maßnahme der Verbindungsbahnentlastungstunnel sei, der den S-Bahn-Verkehr vom Hauptbahnhof zum Diebsteich aufnehmen soll, um oberirdisch Platz für Regional- und Fernverkehr zu schaffen. „Hamburg wird hier seinen Beitrag leisten – und erwartet dies auch vom Bund und allen anderen Bundesländern – schließlich ist der Deutschlandtakt ein gesamtdeutsches Projekt, das allen Menschen in unserem Land gleichermaßen zu Gute kommt“, so Heinert – was immerhin als kleiner Seitenhieb auf Niedersachsen verstanden werden kann.

Auch Niedersachsens Regierungschef ist gegen Neubau der Bahntrasse

Denn obwohl Bahn-Vertreter durchblicken ließen, dass der Ausbau der Bestandsstrecke wohl nicht wirtschaftlich sei, der Neubau hingegen schon, wird der Widerstand nicht nur von Landwirten aus der Heide geführt, sondern auch von der Landesregierung in Hannover. „Zum Ausbau der Bahnstrecke zwischen Hannover und Hamburg gibt es in Niedersachsen eine klare Meinung: Ausbau der bestehenden Strecke, die Alpha-E-Lösung“, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erst am Freitag. „Dieses Ergebnis muss auch die Bahn respektieren, sonst fühlen sich die Menschen nach vielen Diskussionen nicht ernst genommen.“ Auch Niedersachsens Verkehrsminister Bernd Althusmann, der Weil bei der Landtagswahl am Sonntag als CDU-Spitzenkandidat herausfordert, lehnt den Neubau der Strecke kategorisch ab.

Dennis Thering, Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, kann den Ärger der Umlandgemeinden verstehen: Er beobachte, „dass der Hamburger Senat sich viel zu wenig mit dem Umland abstimmt“, sagte er dem Abendblatt. „Aus Sicht der CDU ist es notwendig, die gesamte Metropolregion bei übergreifenden Mobilitätsprojekten mit einzubeziehen. Ich verstehe darum die vorgebrachte Kritik der Bürgermeister am rot-grünen Senat, für diesen endet die Welt an der Hamburger Landesgrenze.“ Allerdings sprach sich auch Thering dafür aus, den Ausbau des Schienenverkehrs deutschlandweit voranzutreiben: „Dabei ist nicht nur für den Hamburger Hafen eine schnelle und zuverlässige Verbindung in den Süden wichtig.“

Trasse Hannover–Hamburg: Bahn prüft weiter drei Varianten

Und was sagt die Bahn? Die beteuert, „weiterhin parallel drei Grundvarianten“ zu prüfen – den bestandsnahen Ausbau mit und ohne zusätzliche Ortsumfahrungen (etwa um Lüneburg und Uelzen) und einen „bestandsfernen Neubau“. Die Ergebnisse werde man bis Ende des Jahres dem Bundesverkehrsministerium vorlegen: „Die Entscheidung für eine Variante liegt beim Bund“, so ein Bahnsprecher. Auf die Frage, warum ein leitender Bahn-Mitarbeiter öffentlich gesagt habe, dass der Bestands-Ausbau unwirtschaftlich und „nicht möglich“ sei, antwortete der Bahnsprecher: gar nicht.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) wiederum will Konflikte mit den Menschen vor Ort vermeiden, sagte er der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Für die Trasse Hannover–Hamburg bedeute das: „Gegen den Willen der Bevölkerung soll es keine Lösung geben.“