Hamburg. Grund ist zu lange Verfahrensdauer. Straftäter saßen wegen Totschlags im Gefängnis – jetzt sind sie vermutlich abgetaucht.
Hamburgs Richter hatten mehrfach vor Überlastung gewarnt. Zwei wegen Totschlags zu hohen Haftstrafen verurteilte Schwerkriminelle sind jetzt aus der Untersuchungshaft entlassen worden, weil das Strafverfahren zu lange dauerte. Das berichtet die „Welt am Sonntag“. Ermittler vermuten, dass die Täter inzwischen abgetaucht sind.
Es handelt sich um die Cousins Hakan Y. und Ali Y. Sie hatten in der Nacht zum 24. Juni 2012 einen 22-Jährigen vor der Kneipe The Spot an der Holstenstraße erschossen. Im Oktober 2014 war der Schütze Hakan Y. zu zehneinhalb Jahren, Ali Y. zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Cousins gingen in Revision, blieben aber in Untersuchungshaft. Dagegen legten ihre Verteidiger wegen „überlanger Verfahrensdauer“ Beschwerde ein. Der zweite Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) entschied Mitte Mai, dass Hakan und Ali Y. „unverzüglich aus der Haft zu entlassen“ seien, obwohl die Gefahr bestehe, dass die Cousins sich „dem Strafverfahren entziehen“ würden. Das wurde jetzt bekannt. Die Fortdauer der Haft sei unverhältnismäßig „infolge mehrfacher vermeidbarer“ Verfahrensverzögerungen. Die Justiz habe eine Verzögerung von sieben Wochen zu verantworten. Der Staat habe es „versäumt, seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen“, zitiert die „WamS“ aus dem OLG-Beschluss.
Richterverbände lasten solche Entlassungen der schlechten Personalausstattung an. Erst vor wenigen Wochen hatten Hamburger Strafrichter in einem Alarmbrief an Justizsenator Till Steffen (Grüne) sechs zusätzliche Richterstellen gefordert. Etliche Verfahren würden wegen Überlastung liegen bleiben. Zudem habe es wegen Verfahrensverzögerungen für Angeklagte zum Teil deutliche Strafabschläge gegeben.
FDP-Justizexpertin Anna von Treuenfels sagte dem Abendblatt: „Wer wie der rot-grüne Senat nichts gegen die katastrophalen Zustände und die schlechte Ausstattung der Hamburger Gerichte macht, setzt nicht nur das Vertrauen in den Rechtsstaat aufs Spiel, sondern gefährdet obendrein den Schutz der Allgemeinheit.“
Vor Kurzem ist das Urteil gegen Hasan und Ali Y. rechtskräftig geworden, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach. Doch eine Ladung zum Strafantritt an die von den Verteidigern genannten Anschriften außerhalb von Hamburg hätte nicht zugestellt werden können. Ermittler halten es für „hochwahrscheinlich“, dass sich die Cousins ins Ausland abgesetzt haben. In der Justizbehörde werde der Fall „sehr ernst“ genommen, sagte Behördensprecher Thomas Baehr. Dieser Fall sei jedoch kein Beleg für eine angespannte Personalsituation. Ursache für die Verfahrensverzögerungen seien „organisatorische Gründe“ gewesen, für die die Gerichte selbst zuständig seien. Hinzu kam, dass der zuständige Richter nach der Absetzung des schriftlichen Urteils starb.