Hamburg. Die Richter schlagen Alarm: Situation sei „nicht mehr erträglich“, schreiben die Juristen in einem Brandbrief an den Justizsenator.

Mit einem eindringlichen Appell haben sich Strafrichter am Hamburger Landgericht an Justizsenator Till Steffen (Grüne) gewandt und die Schaffung neuer Stellen gefordert. Geschiehe dies nicht, sei die „rechtsstaatliche Strafverfolgung in Gefahr“. Es gebe eine dramatische Situation: Verfahren müssten „teilweise über Jahre unbearbeitet liegen bleiben, was für uns angesichts der betroffenen Opfer und angesichts der Schäden in Millionenhöhe nicht mehr erträglich ist“, heißt es in dem Brief an den Präses der Justizbehörde.

Beispielhaft listen die Richter in dem Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt, 40 Verfahren auf: Sie blieben teilweise über Jahre liegen, weil andere Prozesse, in denen Angeklagte in Untersuchungshaft sitzen, vorrangig verhandelt werden mussten. Die überlange Verzögerung betrifft die unterschiedlichsten Delikte wie Drogenhandel, Steuerhinterziehung, Raubüberfälle, gewerbsmäßige Untreue im Amt, sexuellen Missbrauch von Kindern und versuchten Totschlag. Darunter sind vorgeworfene Taten, die bis zu acht Jahre zurückliegen. Die Folge: Wenn es endlich zu einem Prozess kommt, können sich Zeugen häufig nicht mehr ausreichend erinnern.

Zudem, so die Strafrichter, führe eine überlange Verfahrensdauer „zu erheblichen Strafabschlägen. Nichtbewährungsstrafen werden zu Bewährungsstrafen.“ Und wo eigentlich Bewährungsstrafen ausgesprochen werden müssten, würden Verfahren häufig wegen Geringfügigkeit unter Auflagen eingestellt. „Das eigentlich verwirklichte Unrecht des Täters wird nur zum Teil geahndet“, heißt es. Zugleich seien die Gerichte gezwungen, sich selbst in der Urteilsverkündung des Unrechts zu bezichtigen, weil sie auf die überlange Verfahrensdauer hinweisen müssten. Dieses notwendige Prozedere, so ein Richter, „untergräbt die Würde des Rechtsstaats“.

Weiter heißt es, seit Jahren habe die Strafjustiz „geräuschlos“ funktioniert. Die Richter hätten ihr Arbeitspensum „unter Einsatz unserer Freizeit und zum Teil auch der Gesundheit immer noch höher geschraubt“. Alle Ressourcen, auch die der Ziviljustiz, seien „ausgeschöpft“. Polizei und Staatsanwaltschaft seien mittlerweile von Sparmaßnahmen ausgeschlossen, „die Strafrichter aber nicht“. Dies komme einer „mangelnden Wertschätzung“ der Dritten Gewalt gleich. Denn letztlich sei es der Richter, „der einen Täter aus dem Verkehr zieht und die Bevölkerung vor ihm schützt“.

Ohne eine ausreichende Zahl an Richterstellen sei „der Rechtsstaat nicht funktionsfähig – egal, wie viele Polizisten und Staatsanwälte es gibt“. Zwei weitere Große Strafkammern, also sechs zusätzliche Richterstellen, fordern die Juristen in ihrem Schreiben, das mit dem Appell endet: „Herr Senator, handeln Sie!“