Hamburg . Nach der Entlassung zweier Totschläger aus der Untersuchungshaft reagieren Hamburger Politiker und Opferschutzverbände empört.
Der Fall der beiden aus der Untersuchungshaft entlassenen Totschläger Hakan Y. und Ali Y. setzt den grünen Justizsenator Till Steffen unter Druck. Nicht nur die Opposition, auch Opferschutzverbände und Polizeigewerkschaften fordern eine bessere Ausstattung der Justiz. Die Personalnot sei bekannt, lautet ein Vorwurf, aber es geschehe nichts.
Weil das Verfahren bis zu einem rechtskräftigen Richterspruch zu lange dauerte, mussten die beiden verurteilten Männer aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Nun sind die Totschläger offensichtlich untergetaucht. Das berichtete die "Welt am Sonntag". „Dieser Vorgang ist einfach ein Skandal, der einen fassungslos macht“, sagt etwa Joachim Lenders, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Der Skandal sei aber nicht der Richterspruch. „Richterschelte ist hier unangebracht. Ihm kann man nicht vorhalten, dass er sich an die Gesetze hält. Es ist das Ergebnis eines politischen Totalversagens, weil man nicht in der Lage ist, den Rechtsstaat in der Situation zu halten, Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen. Hier sind der Justizsenator und der Bürgermeister mit seiner Richtlinienkompetenz gefordert.“
Für die Opfer, also für die Hinterbliebenen des von den beiden Cousins getöteten Ali Ö., sei die Situation schier unerträglich, sagt Kristina Erichsen-Kruse vom Opferschutzverband Weißer Ring. „Die Tatsache, dass die verurteilten Täter entlassen und möglicherweise abgetaucht sind, ist für sie eine Katastrophe“, so Erichsen-Kruse. Sollte die Familie Hilfe benötigen, stehe der Weiße Ring zur Verfügung.
„Wer wie der rot-grüne Senat nichts gegen die katastrophalen Zustände an der schlechten Ausstattung der Hamburger Gerichte macht, setzt nicht nur das Vertrauen in den Rechtsstaat aufs Spiel, sondern gefährdet obendrein den Schutz der Allgemeinheit vor gewaltbereiten Straftätern“, sagt FDP-Justizexpertin Anna von Treuenfels. „Mit ordentlichem Regieren hat die Untätigkeit des Justizsenators Till Steffen nichts zu tun.“ Seit Jahren sei bekannt, dass an den Gerichten Personalnot herrsche. „Selbst Brandbriefe und Überlastungsanzeigen konnten den Senator nicht zum Einlenken bewegen. Anscheinend muss erst richtig was passieren, bevor gehandelt wird.“ Auch Richard Seelmaecker, justizpolitischer Sprecher der CDU, spricht von einem „Skandal“. „Das darf es in einem Rechtsstaat nicht geben, dass es durch Verfahrensverzögerungen dazu kommt, dass Straftäter aus der Untersuchungshaft entlassen werden. In den Bereichen, in denen es eine Überlastung gibt, muss Abhilfe geschaffen werden.“ Milan Pein (SPD), Vorsitzender des Rechtsausschusses sagt: „Wenn Beschuldigte während eines laufenden Verfahrens aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, ist das ein ernster Vorgang. Die Frage einer Mehrbelastung bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften hat im Wesentlichen mit einer gestiegenen Komplexität einzelner Verfahren zu tun.“
Die Protokollführung sei das Problem, zudem starb der zuständige Richter
Laut Justizbehörde ist das Landgericht „verfassungsgemäß ausgestattet“. „Die Kennzahlen lassen im Strafbereich keine Zunahme der Belastung erkennen. Im Gegenteil: Unter dem Strich sind die Eingangszahlen in den vergangenen Jahren rückläufig gewesen“, sagt Behördensprecher Thomas Baehr. Im Wesentlichen gehe die Verzögerung auf die Art der Protokollführung zurück. So sei erst nach dem schriftlichen Urteil damit begonnen worden, das Protokoll anzufertigen, anstatt bereits parallel zum Verfahren. Zudem sei der mit dem Fall betraute Richter verstorben, was dann tatsächlich zu einer Überlastung seiner Stellvertreterin geführt habe.
Grundsätzlich sind Haftsachen von der Justiz beschleunigt zu behandeln, müssen Prozesse spätestens nach sechs Monaten beginnen. Dass Angeklagte aus der U-Haft entlassen werden, hat unterschiedliche Gründe. Neben Verfahrensverzögerungen ist auch eine überlange Verfahrensdauer Grund dafür, dass eine Fortdauer der U-Haft vom Gericht als unverhältnismäßig angesehen wird. Drei der 2012 angeklagten somalischen Piraten waren nach zweijähriger Prozessdauer deshalb entlassen worden. Im sogenannten „20-Cent“-Fall mussten die Täter Berhan I. und Onur K, die einen Dachdecker in Harburg im Streit um 20 Cent zu Tode geprügelt hatten, aus der Haft entlassen werden. Grund: Wegen der damaligen Aschewolke saß eine Richterin im Urlaub fest, sodass mehrere Fristen verstrichen. Kurz nach seiner Entlassung verprügelte der damals 17-jährige Berhan I. seine Freundin.