Gerichtspräsidenten wie Erika Andreß warnen vor neuen Einsparungen bei Justiz. Stellenplan solle Schonbereich werden. Auch der Grünen-Politiker Farid Müller fordert ein Ende des Sparens.
Hamburg. Richter sind gewissermaßen schon von Berufs wegen zurückhaltend. Insofern ist das, was jüngst im Justizausschuss der Bürgerschaft passiert ist, außerordentlich ungewöhnlich: Fast alle Präsidenten der Hamburger Gerichte haben eindringlich die personelle Belastung ihrer Kammern und Senate geschildert und ausdrücklich vor weiteren Einsparungen im Justizhaushalt gewarnt.
Am deutlichsten schilderte Erika Andreß, Präsidentin des Oberlandesgerichts (OLG), die Lage. Für den Doppelhaushalt 2015/16, den die Bürgerschaft derzeit berät, habe sie, so Andreß, „noch einmal alle Anstrengungen zusammengenommen“. Die Arbeit sei noch einmal verdichtet worden, sodass zwei nicht richterliche Stellen am OLG zur Streichung angeboten werden können, wie es der Etatentwurf des SPD-geführten Senats vorsieht. „Aber dann ist auch in diesem Bereich, wenn ich es salopp sagen soll, die Zitrone einfach ausgequetscht. Da ist dann nichts mehr“, sagte Andreß vor dem Ausschuss.
Doch es soll nach dem Willen des Senats in der Justiz auch über 2016 hinaus Personal abgebaut werden. In der mittelfristigen Finanzplanung ist für die Jahre 2017 und 2018 die Streichung von 70 weiteren Stellen im gesamten Justizetat vorgesehen. „Weitere Einsparungen werden unweigerlich, das wird dann gar nicht mehr anders gehen, im Richterbereich sein“, sagte Andreß.
Die Folge aus Sicht der Präsidentin: Die ohnehin schon langen Verfahrensdauern würden sich weiter verlängern. Seit mehreren Jahren gleichbleibend sehr hohe Eingangszahlen neuer Fälle hätten schon jetzt dazu geführt, „dass wir Verfahrensdauern haben, mit denen wir aus unserer Sicht nicht mehr zufrieden sind und mit denen auch die Ratsuchenden und die Anwaltschaft nicht zufrieden sein können“.
Außerdem hätten sich in einigen Bereichen des OLG wie dem Wettbewerbs- und Gesellschaftsrecht große Altbestände aufgebaut, die noch nicht abgearbeitet seien. „Das erfüllt uns mit großer Sorge und wird wohl noch zu einem weiteren Anstieg der Verfahrensdauern führen“, sagte Andreß. „Ausweichmöglichkeiten innerhalb des Gerichtes haben wir nicht mehr, weil alle Senate so hoch belastet sind, da ist einfach alles ausgeschöpft.“ Die OLG-Präsidentin macht einen überraschend politischen Vorschlag: „Unser Petitum wäre, dass man vielleicht doch ernsthaft noch einmal den Gedanken näher trägt, ob eigentlich die Justiz zu dem Bereich gehören muss, in dem Personaleinsparungen möglich sind.“ Im Klartext: Nach dem Willen der Präsidenten soll der Stellenplan der Justiz zum Schonbereich erklärt werden – wie beim Polizeivollzug und den Lehrern.
Sibylle Umlauf, Präsidentin des Landgerichts (LG), wies darauf hin, dass viele Verfahren unter anderem wegen des Einflusses der EU-Rechtsprechung deutlich komplexer und umfangreicher geworden seien. Umlauf zitierte die E-Mail eines Richters über eine Klageeinreichung „per Möbelwagen“. Allein die Klageschrift habe drei Aktenordner umfasst. „Dazu gibt es 20 Umzugskartons mit Anlagen, mit je sechs Aktenordnern, macht zusammen 120“, schreibt der Richter, der kurz zuvor bereits ein anderes Großverfahren übernommen hatte. „Klagen will ich nicht, aber rosiger werden die Aussichten dadurch auch nicht gerade“, schreibt der Richter. „Die Rahmenbedingungen haben sich verschärft, und daher sind weitere Einsparungen nicht ohne Folgen zu verkraften“, lautete Umlaufs Fazit.
In dieselbe Richtung zielte auch Amtsgerichts-Präsident Hans-Ulrich Rzadtki. „Die Mitarbeiter haben die Situation sehr drastisch in einigen Bereichen so beschrieben: Entweder man gibt auf oder man wird krank.“ Nach Rzadtkis Einschätzung sieht es beim Amtsgericht nach außen „noch recht gut aus, innen drin rumort es heftig“.
Verwaltungsgerichts-Präsidentin Sabine Haase sprach von einer „überwältigenden Eingangssteigerung in Asylverfahren“. Von 2011 auf 2012 habe es fast eine Verdoppelung der Verfahren gegeben, und jetzt seien schon so viele neue Asylverfahren eingegangen wie im gesamten Jahr 2013. Die gesetzlich vorgegebene Frist von einer Woche bis zur Entscheidung bei Eilverfahren sei „im Moment nicht mehr einzuhalten“.
Der Grünen-Politiker Farid Müller fordert ein Ende des Sparens. „Fast alle Gerichte stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand. Besonders perfide ist die SPD-Ansage, vor der Bürgerschaftswahl wenig zu kürzen, sondern erst 2017/18 so richtig“, sagte Müller. CDU-Justizpolitiker André Trepoll wirft der SPD „politische Lethargie auf Kosten der Justiz“ vor. Die durchschnittlichen Verfahrensdauern seien hoch, die Belastungsgrenze der Mitarbeiter deutlich überschritten. „Weitere Spardiktate sind nicht hinnehmbar“, sagte Trepoll.