Hamburg. Parteien, Arbeitgeber und Umweltschutzorganisationen bewerten Koalitionsvertrag. Zusätzlicher Senator „unnötig“.

Der mehr als hundert Seiten starke Entwurf des rot-grünen Koalitionsvertrages stößt bei den Oppositionsparteien wie erwartet auf Ablehnung. Kritisiert werden fehlende Zukunftsvisionen (CDU), Ansätze für ein sozial gerechtes Hamburg (Linke) wie auch die Kosten für einen weiteren und damit elften Senator (FDP), die auch dem Steuerzahlerbund ein Dorn im Auge sind. Die Handelskammer hingegen glaubt, dass die Wirtschaft mit dem Koalitions-Grundriss „im Großen und Ganzen zunächst gut leben“ könne.

„Weitestgehend fassungslos“ habe er die Ergebnisse der Verhandlungen aufgenommen, sagte André Trepoll, seit März Vorsitzender der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Es sei „ein 115 Seiten schwerer Koalitionsvertrag, mit theatralischer Überschrift, in dem weder SPD, noch Grüne ausreichend die Frage gestellt haben, was sie für unsere Stadt erreichen wollen.“ Er frage sich, „warum die Grünen eigentlich regieren wollen, wenn sie doch in den Verhandlungen in keinem wichtigen Politikfeld versucht haben, eigene Akzente zu setzen.“ Letztlich habe man sich dazu entschieden, den Senat „unnötig“ zu vergrößern, „damit die Grünen ihrer Basis am Ende doch noch ein Bonbon präsentieren können“, so Trepoll.

Mehr als „noch mehr teure Senatoren und wenig Zukunftsvisionen“, kann auch Hamburgs liberale Frontfrau Katja Suding nicht erkennen. Der Blick auf den Vertragsentwurf zeige vor allem eines: „Hamburg wird in Zukunft teurer verwaltet, um den grünen Senats-Minimalanbau zu rechtfertigen. Mehr Behörden mit mehr Spitzenposten auf Steuerzahlerkosten, aber anhaltend wenig Zukunftsvisionen für die zweitgrößte Metropole Deutschlands“. Dies sei „der triste Kern“ des Vertragspapiers.

Zentrale Vereinbarungen von SPD und Grünen

Die Unterhändler von SPD und Grünen in Hamburg haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Zentrale Inhalte sind dabei:

Haushalt/Finanzen: Die Haushaltskonsolidierung wird fortgesetzt, die Ausgaben werden weiter am langfristigen Einnahmetrend ausgerichtet. Die jährliche Steigerung im Haushalt bleibt bei 0,88 Prozent gedeckelt (0,5 Prozent nach dem neuen Finanzrahmengesetz). Die von 2020 an geltende und auch in der Hamburgischen Verfassung verankerte Schuldenbremse hat Bestand. Insgesamt 100 Millionen Euro stehen in den kommenden fünf Jahren zusätzlich zur Verfügung.

Schule: Die Schulen werden finanziell und personell besser ausgestattet, der Ganztagsbereich wird ausgebaut und die Inklusion vorangetrieben. Außerdem soll es mehr Produktionsküchen geben und der Kampf gegen Unterrichtsausfall verstärkt werden. Zudem sollen sich Hamburgs Schüler mehr an zentralen Bundesprüfungen beteiligen.

Wirtschaft/Hafen: Sollten die Gerichte die Elbvertiefung zulassen, wird sie auch umgesetzt. Gleichzeitig soll dann auch ein Paket zur „Ökologisierung der Elbe“ geschnürt werden.

Verkehr: Der geplante U-Bahnbau wird beschleunigt, das Busbeschleunigungsprogramm modifiziert und der Fahrradverkehr in Hamburg soll bis spätestens 2030 auf 25 Prozent erhöht werden. Nicht geben wird es eine Stadtbahn, eine City-Maut oder eine Umweltzone.

Wissenschaft: Die Wissenschaft in Hamburg erhält zusätzlich 40 Millionen Euro. Der Hochschulbau wird unverändert fortgesetzt. Die umstrittenen BAföG-Millionen in Höhe von rund 30 Millionen Euro fließen weiterhin nicht in die Hochschulen.

Kultur: Bau und Betrieb der Elbphilharmonie werden nicht zulasten der übrigen Kultur gehen. Die Filmförderung bleibt bestehen, die Bildenden Künste werden gestärkt und die Privattheater weiter unterstützt. Die Tourismus- und Kulturtaxe soll Raum für neue Projekte schaffen.

Umwelt: Der Umwelt- und Klimaschutz wird mit 30 Millionen Euro zusätzlich ausgestattet. Naturschutzgebiete werden ausgeweitet, die Grünanlagen besser gepflegt und mehr Dachbegrünungen vorgenommen. Der Luftreinhalteplan wird weiterentwickelt. Das veraltete Kohlekraftwerk Wedel wird ersetzt - unklar ist jedoch wodurch.

Wohnen: Senatsziel bleibt, dass jedes Jahr 6000 neue Wohnungen gebaut werden, ein Drittel davon als Sozialwohnungen. Grünflächen, Biotope und Landschaftsachsen sollen dabei besonders geschont werden, und auch die Energieeffizienz soll im Vordergrund stehen. Menschen in Notlagen sollen von Projekten sozialer Investoren profitieren, welche von der Stadt günstige Grundstücke erhalten sollen. Die Mietpreisbremse wird möglichst in ganz Hamburg eingeführt.

Gesundheit/Verbraucherschutz: Der Senat will mehr spezialisierte, überregionale Behandlungszentren nach Hamburg holen, eine gleichmäßige Ärzteversorgung in allen Stadtteilen fördern und in jedem Bezirk ein Zentrum für Altersmedizin einrichten. Bei der Pflege gilt weiter das Ziel, Pflegebedürftige möglichst lange zu Hause leben zu lassen. Außerdem wird ein Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an namentlich bekannte Erwachsene geprüft.

Justiz: Der Strafvollzug in Hamburg wird reformiert, die Frauenabteilungen werden nach Billwerder verlegt. Außerdem soll es ein Resozialisierungsgesetz geben. Der Datenschutzbeauftragte soll mehr Freiheiten erhalten.

Soziales/Kinder: Der Betreuungsschlüssel an Kindertagesstätten wird schneller auf 1:4 erhöht als geplant. Außerdem soll der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) besser ausgestattet und ein Personalbemessungssystem rasch eingeführt werden. Das Hamburger Mindestlohngesetz wird angepasst, die Leiharbeit eingeschränkt. Befristungen sollen vermieden und Langzeitarbeitslose mehr unterstützt werden.

Olympia/Referendum: Bevor Olympische Spiele in Hamburg stattfinden können, soll es ein verbindliches Referendum geben. Dazu soll die Verfassung geändert werden. Außerdem sind sich beide Parteien einig, dass Sommerspiele in Hamburg deutlich kleiner, bescheidener und nachhaltiger werden müssen als Olympische Spiele bislang sind.

1/13

Die Linke befürchtet, dass mit der Umsetzung der Koalitionsabsprachen die Spaltung der Stadt „wissentlich verschärft“ werde. „Der Koalitionsvertrag belegt eindeutig, dass sich die SPD nun vollständig von Sozialpolitik und Bildungsgerechtigkeit verabschiedet hat“, kritisierte Fraktions-Chefin Sabine Boeddinghaus. „Dieser Vertrag hat viele schöne Überschriften, aber praktisch keine konkreten Ansätze für ein sozial gerechtes Hamburg“, ergänzte die weitere Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir. Bei der Elbvertiefung habe sich in der Hansestadt „alles den Interessen der Großkonzerne“ unterzuordnen. Mit Olympia gebe es auch mit Rot-Grün „milliardenteure Prestigeprojekte mit unklarer Finanzierung“ und ohne Bürgerbeteiligung.

Der Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, Prof. Hans-Jörg Schmidt-Trenz, begrüßte das Bekenntnis zur Olympiabewerbung wie auch zum U-Bahn-Ausbau. Gleichzeitig äußerte er Unverständnis über „die explizite Uneinigkeit bei der Frage der Fahrrinnenanpassung“ der Elbe. Er mahnte zudem an, dass die Förderung des Radverkehrs nicht zulasten des Wirtschaftsverkehrs gehen dürfe. „Gegenüber der ausgerufenen Fahrradstadt muss die Logistikmetropole Vorrang genießen, wenn die Wurzeln unseres Wohlstands weiter gedeihen sollen.“

Lorenz Palte, Vorsitzender des Bundes der Steuerzahler in Hamburg, kritisierte insbesondere die „Einrichtung einer zusätzlichen Führungsebene“, die den Steuerzahler viel Geld kosten werde. „Das Argument, der Neuschnitt der Behörden liege in der Komplexität der Aufgaben begründet, ist in unseren Augen nur vorgeschoben.“ Gleichzeitig fand er lobende Worte für die Arbeit des SPD-Senats: Durch das gute letzte Haushaltsjahr und durch strikte Haushaltsdisziplin habe sich der Senat „einen zusätzlichen Gestaltungsspielraum von 100 Millionen Euro geschaffen.“ Sollten SPD und Grüne es schaffen, „die finanzpolitischen Vorgaben des Koalitionsvertrages über die kommenden fünf Jahre einzuhalten, wäre dies ein wichtiger Schritt für unsere Stadt“.

Rot-grüner Senat besiegelt

weitere Videos

    Die Umweltschutzorganisationen sehen eine Chance für den Umweltschutz: „Viele Stellen im Koalitionsvertrag geben Hoffnung, dass der neue Senat Schluss mit dem Placebo-Naturschutz machen will“, sagte der Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu), Alexander Porschke. Der Koalitionsvertrag lasse Spielraum, „um nach den schwierigen Jahren der SPD-Alleinregierung wieder eine Umweltpolitik zu betreiben, die diesen Namen auch verdient“, erklärte Manfred Braasch vom BUND.

    Der Vorsitzende des Industrieverbandes, Michael Westhagemann, ist „positiv überrascht, mit welcher Konsequenz der Bürgermeister am richtigen Kurs festhält. Wichtige Zielsetzungen bisheriger Senatspolitik werden auch mit grüner Regierungsbeteiligung fortgeführt.“