Hamburg. Neben dem Bürgermeister stehen im rot-grünen Senat sieben Männern höchstens vier weibliche Mitglieder gegenüber.

Öffentlich Unsicherheit oder gar Entscheidungsschwäche zu zeigen, gehört eigentlich nicht zum politischen Repertoire von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Bei der Präsentation des Entwurfs für einen rot-grünen Koalitionsvertrag in den Deichtorhallen reagierte der Sozialdemokrat an einer Stelle ungewöhnlich kleinlaut.

Auf die Frage, ob ihm die Einhaltung der Frauenquote im künftigen Senat Sorgen bereite, antwortete Scholz zunächst mit einem schlichten „Ja“. Dann setzte er den bemerkenswerten Satz hinzu: „Wir werden gemeinsam versuchen, das so gut wie möglich zu machen. Aber das ist nicht ganz einfach, deswegen mache ich mir Sorgen.“ Versuchen? So gut wie möglich? Das ist nicht der übliche Sprachgebrauch des Bürgermeisters, der gern in klaren Worten über sein Handeln berichtet.

Scholz’ Vorsicht und Zurückhaltung lassen den Schluss zu, dass es ernste Probleme bei der Besetzung des künftigen Senats gibt – und zwar auf Seiten der SPD. Die Ausgangslage ist klar: Nach dem Amtsverzicht von Justizsenatorin Jana Schiedek sowie Stadtentwicklungs- und Umweltsenatorin Jutta Blankau (beide SPD) sinkt der Anteil der Frauen im Senat deutlich.

Zentrale Vereinbarungen von SPD und Grünen

Die Unterhändler von SPD und Grünen in Hamburg haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Zentrale Inhalte sind dabei:

Haushalt/Finanzen: Die Haushaltskonsolidierung wird fortgesetzt, die Ausgaben werden weiter am langfristigen Einnahmetrend ausgerichtet. Die jährliche Steigerung im Haushalt bleibt bei 0,88 Prozent gedeckelt (0,5 Prozent nach dem neuen Finanzrahmengesetz). Die von 2020 an geltende und auch in der Hamburgischen Verfassung verankerte Schuldenbremse hat Bestand. Insgesamt 100 Millionen Euro stehen in den kommenden fünf Jahren zusätzlich zur Verfügung.

Schule: Die Schulen werden finanziell und personell besser ausgestattet, der Ganztagsbereich wird ausgebaut und die Inklusion vorangetrieben. Außerdem soll es mehr Produktionsküchen geben und der Kampf gegen Unterrichtsausfall verstärkt werden. Zudem sollen sich Hamburgs Schüler mehr an zentralen Bundesprüfungen beteiligen.

Wirtschaft/Hafen: Sollten die Gerichte die Elbvertiefung zulassen, wird sie auch umgesetzt. Gleichzeitig soll dann auch ein Paket zur „Ökologisierung der Elbe“ geschnürt werden.

Verkehr: Der geplante U-Bahnbau wird beschleunigt, das Busbeschleunigungsprogramm modifiziert und der Fahrradverkehr in Hamburg soll bis spätestens 2030 auf 25 Prozent erhöht werden. Nicht geben wird es eine Stadtbahn, eine City-Maut oder eine Umweltzone.

Wissenschaft: Die Wissenschaft in Hamburg erhält zusätzlich 40 Millionen Euro. Der Hochschulbau wird unverändert fortgesetzt. Die umstrittenen BAföG-Millionen in Höhe von rund 30 Millionen Euro fließen weiterhin nicht in die Hochschulen.

Kultur: Bau und Betrieb der Elbphilharmonie werden nicht zulasten der übrigen Kultur gehen. Die Filmförderung bleibt bestehen, die Bildenden Künste werden gestärkt und die Privattheater weiter unterstützt. Die Tourismus- und Kulturtaxe soll Raum für neue Projekte schaffen.

Umwelt: Der Umwelt- und Klimaschutz wird mit 30 Millionen Euro zusätzlich ausgestattet. Naturschutzgebiete werden ausgeweitet, die Grünanlagen besser gepflegt und mehr Dachbegrünungen vorgenommen. Der Luftreinhalteplan wird weiterentwickelt. Das veraltete Kohlekraftwerk Wedel wird ersetzt - unklar ist jedoch wodurch.

Wohnen: Senatsziel bleibt, dass jedes Jahr 6000 neue Wohnungen gebaut werden, ein Drittel davon als Sozialwohnungen. Grünflächen, Biotope und Landschaftsachsen sollen dabei besonders geschont werden, und auch die Energieeffizienz soll im Vordergrund stehen. Menschen in Notlagen sollen von Projekten sozialer Investoren profitieren, welche von der Stadt günstige Grundstücke erhalten sollen. Die Mietpreisbremse wird möglichst in ganz Hamburg eingeführt.

Gesundheit/Verbraucherschutz: Der Senat will mehr spezialisierte, überregionale Behandlungszentren nach Hamburg holen, eine gleichmäßige Ärzteversorgung in allen Stadtteilen fördern und in jedem Bezirk ein Zentrum für Altersmedizin einrichten. Bei der Pflege gilt weiter das Ziel, Pflegebedürftige möglichst lange zu Hause leben zu lassen. Außerdem wird ein Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an namentlich bekannte Erwachsene geprüft.

Justiz: Der Strafvollzug in Hamburg wird reformiert, die Frauenabteilungen werden nach Billwerder verlegt. Außerdem soll es ein Resozialisierungsgesetz geben. Der Datenschutzbeauftragte soll mehr Freiheiten erhalten.

Soziales/Kinder: Der Betreuungsschlüssel an Kindertagesstätten wird schneller auf 1:4 erhöht als geplant. Außerdem soll der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) besser ausgestattet und ein Personalbemessungssystem rasch eingeführt werden. Das Hamburger Mindestlohngesetz wird angepasst, die Leiharbeit eingeschränkt. Befristungen sollen vermieden und Langzeitarbeitslose mehr unterstützt werden.

Olympia/Referendum: Bevor Olympische Spiele in Hamburg stattfinden können, soll es ein verbindliches Referendum geben. Dazu soll die Verfassung geändert werden. Außerdem sind sich beide Parteien einig, dass Sommerspiele in Hamburg deutlich kleiner, bescheidener und nachhaltiger werden müssen als Olympische Spiele bislang sind.

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Zu den gesetzten bisherigen Senatorinnen Barbara Kisseler (Kultur, parteilos) und Cornelia Prüfer-Storcks (Gesundheit, SPD) soll die Grünen-Chefin Katharina Fegebank hinzukommen, die Senatorin für Wissenschaft und Gleichstellung sowie Zweite Bürgermeisterin werden soll, aber Dorothee Stapelfeldt (SPD) verdrängt.

Auf der anderen Seite steht der erklärte, auch am gestrigen Mittwoch bekräftigte Wunsch des Bürgermeisters, an seinem Senatsteam festzuhalten. Das bedeutet, dass die folgenden Senatoren im Amt bleiben: Ties Rabe (Schule), Detlef Scheele (Soziales), Michael Neumann (Inneres, Sport), Peter Tschentscher (Finanzen, alle SPD) sowie der parteilose Ex-Handelskammer-Präses Frank Horch (Wirtschaft und Verkehr). Die Grünen fügen noch zwei Senatoren hinzu: Bürgerschaftsfraktionschef Jens Kerstan übernimmt den Bereich Umwelt und Energie und Ex-Justizsenator Till Steffen kehrt an seine alte Wirkungsstätte zurück.

Zwischenrechnung: Sieben Männern (mit Scholz acht) stehen nur drei Frauen im rot-grünen Senat gegenüber. Das ist weder im Einklang mit grünen noch mit roten Grundüberzeugungen, nach denen die Hälfte des politischen Himmels den Frauen gehören sollte (und im alten SPD-Senat auch gehörte). Eine derartige Schieflage muss einen Politiker wie Olaf Scholz wurmen, der auf die Einhaltung formaler Rahmen großen Wert legt. Was also tun?

Die einfachste Operation zur Verbesserung des ungünstigen Bildes ist die, dass Dorothee Stapelfeldt die Stadtentwicklungsbehörde übernimmt. Die Verhandlungen haben ergeben, dass die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt getrennt und die Bereiche von zwei Senatoren geführt werden.

Scholz würde mit der Berufung von Stapelfeldt in die Stadtentwicklungsbehörde zudem seiner Maxime treu bleiben, alle Senatoren im Amt zu halten, weil sie aus seiner Sicht gute Arbeit geleistet haben. Nur: Das sehen möglicherweise nicht alle Sozialdemokraten so. Offensichtlich hat der Bürgermeister noch nicht hinreichend maßgeb­liche Parteifreunde überzeugt, sonst hätte er gestern – wie die Grünen auch – ein Personaltableau präsentiert.

Rot-grüner Senat besiegelt

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    Die Entscheidung, wer auf SPD-Seite dem Senat angehören wird und wie viele Frauen darunter sind, werde „sich nach der Entscheidung des SPD-Parteitages ergeben“, sagte Scholz gestern bescheiden. Der Parteitag kommt am kommenden Dienstag zusammen, einen Tag vor der geplanten Wiederwahl von Scholz als Bürgermeister. Dass am Ende die Hälfte der Senatsposten von Frauen bekleidet wird, glaubt niemand ernsthaft. Und so laufen längst die Stützungsargumente, um den Missstand erträglicher zu machen. Stichwort: Gesamtbetrachtung. Auf Seiten der SPD heißt es, dass zur Berechnung der Frauenquote die Spitzenposten im Präsidium der Bürgerschaft und der Fraktion einbezogen werden müssen.

    Neben Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit entsendet die SPD mit Vizepräsidentin Barbara Duden und Schriftführerin Güngör Yilmaz nur Frauen ins Präsidium. An der Fraktionsspitze ist Andreas Dressel als Vorsitzender gesetzt. Für die drei Vize-Posten schlägt der Fraktionsvorstand drei Frauen vor: Melanie Leonhard, Monika Schaal und Ksenija Bekeris. Das schafft Gegengewichte zum männerdominierten Senat.

    „Es ist keine besonders schwierige Aufgabe, eine Lösung zu finden, auch wenn sie nicht allen deutlich ist“, sagte Scholz gestern und spielte damit auch auf die Beibehaltung aller Senatoren an. Trotzdem dürfte noch reichlich Überzeugungsarbeit zu leisten sein. Insider rechnen damit, dass Scholz sein Personalpaket erst kurz vor dem SPD-Parteitag schnüren wird.