Die Kehrtwende bei der Luftqualität zeigt: Hamburgs Koalition wird keineswegs SPD pur

Auf den ersten Blick sind die Dinge ja manchmal herzerfrischend einfach. Zum Beispiel die Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen in Hamburg: Wochenlang, so wurde gebetsmühlenartig behauptet, haben die fiesen Sozialdemokraten die arme kleine Ökopartei über den Tisch gezogen, ihr höchstens mal die Krümel vom Koalitionsbuffet gegönnt.

Elbvertiefung? Kommt! (Wenn die Gerichte denn mitspielen.) Wohnungsbau? Der Beton fließt unvermindert weiter! Stadtbahn? Umweltzone? Citymaut? Kommen nicht! So ging es Tag für Tag, und schnell stellte sich verständlicherweise der Eindruck ein, der große König Olaf befestige weiter seine rote Burg, während er dem kleinen Partner nur einen „Anbau“ vor dem Tore gestattet, gern aus fair gehandeltem Lehm und mit begrüntem Dach.

Nun neigt die Hamburger Sozialdemokratie derzeit zwar nicht dazu, das Bild vom unbezwingbaren Alleinherrscher Olaf Scholz zu beschädigen. Warum sollte sie auch? Läuft ja. Aber hat irgendjemand die Grünen ernsthaft für so blöd gehalten, dass sie alles mit sich machen lassen? Ein machtversessener Haufen, der für drei Sitze im Senat alle Ideale über Bord wirft? Und der nun, in einem letzten Akt der Auflehnung, der SPD eine Kehrtwende in Sachen Luftreinhaltung abringt?

Nein, so einfach, so schwarz-weiß, ist die Welt zum Glück nicht. Richtig an dem Eindruck ist nur, dass die SPD ihre Linie verteidigt hat und dass sie ihre Politik der vergangenen vier Jahre fortsetzen kann: Vorfahrt für die Wirtschaft und kostenfreier Zugang zu Bildung bei gleichzeitiger Haushaltskonsolidierung – das sind die Eckpfeiler, die bleiben und an denen die Grünen nie ernsthaft gerüttelt haben.

Aber der Koalitionsvertrag wird viel grüner, als es derzeit scheint. Am sichtbarsten wird das an dem Ziel, den Anteil des Radverkehrs auf 25 Prozent zu verdoppeln. Wenn das geschickt angepackt wird und die Grünen auf die Bürgerschreck-Formulierung „radikaler Ausbau“ verzichten, kann es die Stadt positiv verändern. Mehr noch als seinerzeit die knallroten Stadträder, mit denen Touristen, Studenten und Manager gleichermaßen begeistert durch Hamburg radeln – die meisten von ihnen vermutlich in Unkenntnis darüber, dass sie auf einer Errungenschaft der letzten grünen Regierungsbeteiligung sitzen.

Doch auch der Verzicht auf Atomtransporte durch den Hafen, Landstromversorgung für Kreuzfahrt- und Containerschiffe, mehr Kita-Personal, mehr Geld für die Unis und eben mehr Einsatz für Klimaschutz und Luftreinhaltung werden sich im Koalitionsvertrag finden. Richtig ist zwar, dass viele der von den Grünen durchgesetzten Punkte eher im Kleingedruckten stehen werden. Wer das kritisiert, verkennt aber die Strategie der Partei.

Die Grünen haben aus der Ehe mit der CDU gelernt. 2008 konnten sie ihre Leuchtturm-Projekte Stadtbahn und Primarschule im Koalitionsvertrag unterbringen, sind aber krachend am Widerstand aus dem Volk gescheitert. Daher nun die Strategie der kleinen Schritte – in fünf Jahren wird man wissen, ob sie damit unter Rot-Grün mehr erreicht haben als im symbolhaft aufgeladenen Projekt Schwarz-Grün.

Umgekehrt gilt: Dass die SPD nun doch das Gerichtsurteil zur Luftreinhaltung umsetzen will, kommt zwar überraschend, setzt aber kein inhaltliches Verbiegen voraus. Denn die von den Genossen ungeliebten Maßnahmen City-Maut und Umweltzone sind dafür nicht nötig. Diesen Punkt den Grünen zu lassen, ist schlau, denn er hatte an der Parteibasis, die der Koalition ja noch zustimmen muss, für mächtig Unruhe gesorgt. Im Übrigen korrigiert er ein Bild von Rot-Grün, das so nie ganz stimmte.