Wegen des Lokführerstreiks standen im Norden von 8.30 bis 11.30 Uhr Fern- und Regionalzüge still. Das Chaos bleibt bislang aus.

Hamburg. Nach drei Stunden haben die Lokführer ihren bundesweiten Warnstreik beendet. Der Streik dauerte von 8.30 bis 11.30 Uhr und damit eine Stunde länger als bei der ersten Streikwelle am Dienstag. „Die Streikleiter beziehen ihre Posten, und die ersten Kollegen informieren ihre Fahrdienstleiter, dass sie ihre Arbeit niederlegen“, hatte der Bezirksvorsitzende der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) Nord, Lutz Schreiber, zum Auftakt um 8.30 Uhr in Hamburg gesagt. Am dortigen Hauptbahnhof ging es bis 11.30 Uhr ruhig zu - im wahrsten Sinne des Wortes. Denn einerseits standen ICE- und Metronom-Züge still, andererseits zeigten sich Bahnreisende auf den Streik gut vorbereitet. Der Plan der GDL, den Streik nach dem Hauptberufsverkehr anzusetzen, ging offenbar weitestgehend auf. Pendler konnten ihre gewohnten Zugverbindungen nutzen oder sich auf den Streik vorbereiten, übrige Fahrgäste wurden von der Bahn mit Kaffee und Brezeln versorgt. Dennoch gingen zahlreiche Fahrgäste auf den Bahnsteigen mit suchenden Blicken umher. Die Ruhe wurde nur durch eine Lautsprecherdurchsage unterbrochen. „Aufgrund eines Lokführerstreiks verkehren bis 11.30 Uhr keine Züge“, dröhnte es durch die Bahnhofshalle.


Bahnreisende in Hamburg und Norddeutschland müssen sich auch nach Ende des Streiks auf erhebliche Verspätungen und Zugausfälle im Nah- und Fernverkehr einstellen. Es werde bis zum Abend dauern, bis die Züge wieder einigermaßen nach Plan fahren, sagte ein Bahnsprecher. Zurzeit häufen sich die Verspätungen am Hamburger Hauptbahnhof auf bis zu drei Stunden an. Bahnreisende können sich unter der kostenlosen Bahn-Servicenummer 08000/ 99 66 33 über konkrete Auswirkungen des Streiks informieren. Hamburg war zusammen mit Stuttgart und dem Rhein-Main-Gebiet ein regionaler Schwerpunkt des Warnstreiks. In der Hansestadt befanden sich am Freitag 23 Lokführer im Ausstand.

NOB fiel komplett aus

In Norddeutschland waren neben der Deutschen Bahn (DB) auch die privaten Konkurrenzunternehmen AKN, Metronom und Nord-Ostsee-Bahn (NOB) betroffen. Dabei konnten DB und ihre norddeutschen Konkurrenzunternehmen die Ausfälle auf ihren Strecken unterschiedlich gut wettmachen. Während sich die Züge der Deutschen Bahn auf unbestimmte Zeit verspäteten oder ganz ausfielen, konnte sie bei der Hamburger S-Bahn einen 20-Minuten-Takt halten. Dazu wurden auch verbeamtete Lokführer der Bahn eingesetzt, die sich nicht an Streiks beteiligen dürfen.

Die Züge der NOB, die den Norden Schleswig-Holsteins bedienen, fielen bis auf drei komplett aus. Die Ausfälle sollten mit einem Ersatzverkehr mit Bussen kompensiert werden. Aufgrund der Größe des Streckennetzes hätten aber nicht alle Bahnhöfe angefahren werden können, teilte das Unternehmen mit. Auch beim nach Cuxhaven, Bremen und Hannover verkehrenden Metronom mussten 80 bis 90 Prozent der Fahrten ausfallen, wie ein Unternehmenssprecher sagte. Vor allem der Streckenabschnitt zwischen Cuxhaven und Hamburg sowie die Strecke zwischen Uelzen und Göttingen waren beeinträchtigt. Das Unternehmen rechnete damit, dass bis zum Nachmittag alle Züge wieder nach Plan fahren.

Das Eisenbahnunternehmen AKN, das den Süden Schleswig-Holsteins bedient, konnte die Ausfälle dagegen gut kompensieren, indem nicht in der GDLorganisierte Lokführer die betroffenen Strecken befuhren. „Wir hatten praktisch keine Ausfälle“, sagte Pressesprecher Jörg Minga.

Auch der Güterverkehr der DB wurden nach GDL-Angaben bestreikt, jedoch mit geringen Auswirkungen. Im Hamburger Hafen seien zwar Züge aus dem Streckennetz der Deutschen Bahn verspätet eingetroffen, sagte ein Sprecher der Hamburg Port Authority. Dies habe jedoch keine Probleme bereitet und im Hafen keine Auswirkungen gehabt.

Erstmals mussten auch Fahrgäste der Ostseelandverkehr (OLA) in Mecklenburg-Vorpommern Ausfälle verkraften. Im Nordosten streikten 60 Lokführer, 95 Prozent der Züge sollten stehen bleiben. "Wir erhöhen die Schlagzahl“, sagte GDL-Bezirksvorsitzender Schreiber. Ausgenommen waren lediglich in Rostock Strecken, die von der RS AG bedient würden, da diese unter Nahverkehrstarif fielen.

Der GDL-Bezirk umfasst die Bundesländer Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Im Norden sollten heute wie schon am Dienstag rund 200 Lokführer die Arbeit niedergelegen, sagte Schreiber. Die neuerliche Aktion bezeichnete Schreiber als Erfolg. „Wir haben ein deutliches Zeichen gesetzt und gesehen, dass die Lokführer wie eine Wand hinter uns stehen“, sagte Schreiber. „Durch den zeitlich versetzten und um eine Stunde verlängerten Streik war es ein eindrucksvoller Tag“, zog Schreiber ein Fazit. „Es war ein deutliches Zeichen an die Deutsche Bahn AG und die Privatbahnen, dass wir einen Flächentarifvertrag wollen“, fügte er hinzu. Nun gelte es, die Forderungen eines Flächentarifvertrags durchzusetzen, zur Not auch mit weiteren Streiks. Darüber werde die Urabstimmung entscheiden, die am 4. März endet. Am 7. März soll die Auszählung erfolgen. Sollten die Lokführer die Linie der Gewerkschaft mehrheitlich unterstützen, könne es zu regelmäßigen Arbeitsniederlegungen kommen, sagte GDL-Chef Claus Weselsky.

GDL-Vorsitzender: "Keine eiskalten Engel"

Es gehe bei dem Warnstreik nicht darum, die Kunden zu schädigen, sagte Schreiber. Deshalb sei der Streik erst für 8.30 Uhr angesetzt worden, um nicht wieder die Pendler zu treffen, die schon unter dem Streik vom vergangenen Dienstag zu leiden hatten. „Wir müssen nicht immer die gleiche Gruppe bestreiken. Wir wollen die Bahn treffen, nicht die Kunden. Wir sind keine eiskalten Engel“, sagte Schreiber. Die Streiks habe "definitiv" die Bahn zu verantworten.

Um Reisenden die Behinderungen erträglicher zu machen, setzte die Deutsche Bahn zusätzliche Mitarbeiter an Bahnhöfen und in Service-Stellen ein. Am Hamburger Hauptbahnhof schenkten Bahnangestellte kostenlos Kaffee gegen die Kälte aus und vereilten Brezeln. Kunden können ihre Fahrkarten umtauschen, sich die Kosten erstatten lassen oder auf andere Züge ausweichen, wenn ihre Züge wegen des Streiks ausfallen.

Fahrgäste reagieren unterschiedlich

In Hamburg bildeten sich eine halbe Stunde nach Beginn des Warnstreiks an den Informationshäuschen auf den Bahnsteigen lange Schlangen. „Die Leute sind recht entspannt“, sagte ein junger Mann, der mit orangefarbener Weste am Bahngleis vor einer Menschentraube steht und ebenfalls Fragen beantwortet. Nur manchmal seien die Reisenden genervt.

Das traf vor allem auf verärgerte Reisende zu, in langen Wartschlangen vor dem Reisecenter warteten, um ihre Fahrkarten umzutauschen oder ihrem Unmut Luft zu machen. Als „Geiselnahme der Kunden“ bezeichnete ein Reisender den Warnstreik. Eine Frau wurde von den Ausfällen am Hamburger Hauptbahnhof überrascht, wollte aber nicht das Auto nehmen: „Auf den Autobahnen herrscht jetzt Chaos, das ist auch keine Möglichkeit.“. Ein anderer Reisender wollte drei Stunden warten, um den nächsten Zug nach München zu nehmen. Für den Streik habe er „null Verständnis“, und auch die Baguettes und der Kaffee, den Bahnangestellte kostenlos ausschenkten, würden daran nichts ändern.

„Ich kann die Lokführer verstehen“, sagte dagegen ein anderer Reisender. „Die haben doch keine andere Möglichkeit, um ihre Forderungen wirklich durchzusetzen“, sagt der 26-Jährige und geht bepackt mit Rucksack und Tasche in Richtung Bushaltestelle.

Eine Berufsgruppe freute sich an diesem Vormittag besonders. Wo sonst vor dem Bahnhof Taxis auf Fahrgäste warten, warteten jetzt Fahrgäste auf Taxis. „Bis zum Mittag werden wir ein Vielfaches von dem verdienen, was an normalen Tagen in die Kasse kommt“, sagte ein Taxifahrer.

In der Region Hannover hatten viele Reisende bereits am Morgen die Bahn gemieden und waren mit dem Pkw unterwegs. Dennoch strandeten Tausende an den Bahnhöfen, wo sich bei vielen Unmut über mangelnde Informationen aufstaute. Etliche Züge unterbrachen ihre Fahrt gegen 8.30 Uhr auch einfach an einem Unterwegsbahnhof, wo die Fahrgäste dann selber sehen mussten, wie sie weiterkamen. Betroffen war auch der Güterverkehr. Dort war der deutschlandweit größte Rangierbahnhof in Maschen bei Hamburg ein Schwerpunkt der Streikaktionen.

In Mecklenburg-Vorpommern standen die Züge in Bahnhöfen, so dass die Reisenden aussteigen könnten, sagte GDL-Bezirksvorsitzender Schreiber. „Wir nehmen niemanden in Geiselhaft.“ Auf manchen Bahnhöfen, etwa in Schwerin, war es deutlich leerer als an anderen Tagen – offensichtlich waren viele Reisende auf das Auto umgestiegen oder hatten auf Fahrten ganz verzichtet.

Cebit hofft auf reibungslosen Anreiseverkehr

Unterdessen hoffen die Verantwortlichen der weltgrößten Computermesse Cebit in Hannover auf einen reibungslosen Bahnverkehr während der Messe in der kommenden Woche (1. bis 5. März). „Wir beobachten die Situation und stehen mit der Bahn im Kontakt“, sagte Messesprecher Hartwig von Saß am Freitag. Er hoffe, dass der Anreiseverkehr zur Cebit in den kommenden Tagen nicht beeinträchtigt werde. Derzeit sei der Warnstreik der Lokführer noch kein Problem für die Cebit. Am Freitag war man auf der Messe in der „letzten Phase des Aufbaus“, wie Saß sagte. Erst ab Dienstag würden zahlreiche Besucher auch mit der Bahn anreisen.

Betroffen von einem Bahnstreik wären dann nach Angaben des Messesprechers vor allem ausländische Gäste, die mit dem Flugzeug etwa nach Frankfurt am Main reisen und von dort mit der Bahn nach Hannover kommen. Zur Cebit halten die ICE-Züge der Deutschen Bahn auch am Messebahnhof „Hannover Messe/Laatzen“.

Die Lokführer hatten bereits am Dienstagmorgen in ganz Deutschland den Schienenverkehr für zwei Stunden massiv behindert, wobei nach GDL-Angaben etwa 80 Prozent der Züge ausfielen. Hintergrund der Streiks ist die Forderung der GDL, für alle 26.000 Lokführer in Deutschland ein einheitliches Lohnniveau und Beschäftigungsbedingungen zu erreichen, die dem Standard der Deutschen Bahn entsprechen. Das Ergebnis will sie in einem sogenannten Bundesrahmen-Lokomotivführertarifvertrag festschreiben.

Pro Bahn mahnt ernsthafte Verhandlungen an

Angesichts des erneuten Warnstreiks mahnt der Fahrgastverband Pro Bahn ernsthafte Verhandlungen der Tarifpartner an. Möglicherweise könnte ein Mediator eingeschaltet werden, sagte der Vorsitzende Karl-Peter Naumann am Freitag. Da die GDL einheitliche Regelungen über alle Arbeitgeberlager anstrebe, sollte sie auch gemeinsam mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) verhandeln. Im Gegensatz zu Streiks in anderen Branchen seien bei der Bahn die Kunden die Hauptleidtragenden von Arbeitsniederlegungen. Die Forderung nach einem Branchentarifvertrag sei allerdings sinnvoll, sagte Naumann: „Die Fahrgäste profitieren von Wettbewerb - aber um Qualität und nicht um billige Löhne.“

Der Lokführer-Warnstreik trifft die großen Bahn-Konkurrenten weitaus weniger als den DB-Konzern selbst. Das ergab eine Umfrage der Nachrichtenagentur dpa bei den sechs bedeutendsten Wettbewerbern der DB. Demnach kam es bei Abellio, Keolis und der Hessischen Landesbahn zu keinen oder nur sehr wenigen Zugausfällen und Verspätungen, wie Sprecher am Vormittag mitteilten. Auch die wichtigsten Tochterunternehmen der DB-Konkurrenten Arriva und Veolia spürten den Ausstand deutlich schwächer als der Marktführer, bei dem es flächendeckend Zugausfälle und Verspätungen gab. Eine Ausnahme bildete die NOB, die zweitgrößte Tochter von Veolia.

(dpa/rtr/dapd)