An spanischen Gurken wurde der Erreger gefunden, die Spanier fanden bei Tests aber offenbar nichts. Den Erreger gebe es in Spanien außerdem so gut wie nie.

Berlin/Hamburg/Malaga. Am Donnerstag gab es Klarheit: Der EHEC-Erreger wurde auf spanischen Gurken gefunden. Das Gemüse wurde sofort aus dem Handel genommen, Ermittler versuchten, die Erzeugerbetriebe ausfindig zu machen. Das gelang auch, doch dann kam die Nachricht, die spanischen Behörden sähen keine Beweise dafür, dass Produkte von Bauernhöfen des Landes für die EHEC-Infektionen verantwortlich sind. Eines der zwei betroffenen Unternehmen, Pepino Bio Frunet mit Sitz in Malaga, erklärte sogar, dass eigene Tests an den Gurken des betroffenen Bauern keine Verunreinigung ergeben hätten.

Wenn die Keime jedoch in Spanien noch nicht in den Gurken gewesen sein sollen, in Deutschland aber schon, stellt sich die schwer zu lösende Frage, wo die Keime auf das Gemüse gelangten. Eine Sprecherin von Pepino Bio Frunet äußerte die Vermutung, dass die Erreger in Deutschland an die Gurken gelangt seien. Ihr liege eine E-Mail des Großhändlers in Hamburg vor, wonach eine Palette mit 180 Kisten Gurken vom Transporter gekippt und auf den Boden gefallen sei. Außerdem seien die deutschen Proben zweieinhalb Wochen nach Auslieferung gemacht worden, als die Gurken schon halb verschimmelt in einem Lager gestanden hätten. „Wir wollen auch nach der Wahrheit suchen“, sagte die Pepino-Bio-Frunet-Mitarbeiterin. Sie hoffe, dass Tests in Spanien und anderen Exportländer der Gurken die eigenen Proben bestätigen. Gleichzeitig kritisierte sie die deutschen Behörden, die Pepino Bio Frunet nicht über das genaue Ergebnis der Analysen informiert hätten.

Die Theorie der heruntergefallenen Kisten hält Martin Müller, Vorsitzender des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, für unwahrscheinlich. "Ist eine Möglichkeit, aber eine sehr, sehr, sehr geringe“, sagte er am Freitag. "So was kann passieren, aber da müsste ein ganzer Lkw und noch mehr auf den Boden gefallen sein. Bei der Häufigkeit, die wir jetzt haben, erscheint mir das eher unwahrscheinlich. Ein, zwei Fälle – ok. Aber wie viele Gurken müssen da hingefallen sein, damit dieser Fall eintreten kann?“ Denkbar wäre laut Müller noch folgende Möglichkeit: "Dass irgendwo die Gurken noch mal gewaschen worden sind, bevor die verpackt beziehungsweise auf die Reise gegeben worden sind, und dass da eine Kontamination stattgefunden hat.“

Derweil hat der Vorstandschef der Verwaltungsgenossenschaft des Hamburger Großmarktes, Hans Joachim Conrad, eingeräumt, dass die Verunreinigung spanischer Salatgurken mit dem EHEC-Erreger, überall passiert sein könnte. "Wir sind das Verteillager“, sagte Conrad am Freitag. "Es wäre sehr schlimm, wenn sich das hier ereignet haben sollte. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass so etwas passiert ist.“ Conrad sagte, generell sei die Gefahr der Kontamination von Lebensmitteln dann am größten, wenn viele Verbraucher damit in Kontakt kommen. Das sei vor allem im Laden der Fall.

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Neben den vier belasteten Gurken, die in Hamburg gefunden wurden, stammen drei definitiv aus Spanien. Bei der vierten Gurke gibt es eine Spur in die Niederlande: Hier ist jedoch unklar, ob das Gemüse in den Niederlanden gewachsen war oder ob sein Transport-Weg nur durch das Land führte. Der Sprecher der Gesundheitsbehörde der Hansestadt, Rico Schmidt, erklärte, die Ermittlungen liefen noch.

Experten erwarten, dass die Zahl der mit dem gefährlichen Darmkeim infizierten Menschen weiter steigen könnte. Das Robert-Koch-Institut (RKI) sprach am Freitag von 276 am Hämolytisch-Urämischen Syndrom (HUS) Erkrankten – das sind 60 Fälle mehr binnen 24 Stunden. Bundesweit sechs Todesfälle werden inzwischen mit EHEC in Verbindung gebracht. Die Suche nach der Herkunft des Erregers lief auf Hochtouren. Genauere Erkenntnisse liegen aber vermutlich erst nächste Woche vor.

Normalerweise treten in Deutschland jährlich bis zu 60 HUS-Fälle - also schwere Verläufe der EHEC-Infektion – auf. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums zitierte das RKI, ein weiterer Anstieg bei den Neuerkrankungen sei nicht auszuschließen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Infektionsquelle noch aktiv sein könnte, sagte er. Die Verzehrempfehlungen des RKI – Verzicht auf rohe Tomaten, Gurken und Salat – hätten daher weiter Bestand. Instituts-Präsident Reinhard Burger erklärte in der ARD, es müssten jetzt die Infektionsketten aufgeklärt werden, um zu sehen, von welchem Lebensmittel der Erreger stamme und in welchem Bereich der Produktion, der Auslieferung oder der Verpackung der Erreger auf das Lebensmittel gekommen sei.

In Cuxhaven starb am Morgen eine ältere Frau, bei der eine EHEC-Erkrankung nachgewiesen worden war. Von den sechs Todesfällen in Deutschland lassen sich fünf eindeutig auf eine Infektion mit dem Darmerreger zurückführen, ein Fall ist noch unbestätigt. Unklar ist auch noch, ob die an Gurken in Hamburg gefundenen Bakterien mit denen der infizierten Menschen übereinstimmten. Die entsprechenden Untersuchungen werden wohl noch Tage dauern, wie die Sprecherin des Hamburger Instituts für Hygiene und Umwelt, Sinje Köpke auf dapd-Anfrage, mitteilte.

Bauernpräsident Gerd Sonnleitner verlangte unterdessen schärfere Regeln für Importgemüse. „Wir fordern, dass es in der EU einheitliche Standards gibt. Diese Regeln müssen auch für Drittländer gelten, die zu uns liefern“, sagte Sonnleitner der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“.

Scharfe Kritik übte er in der „Berliner Zeitung“ am RKI: Dessen Empfehlung, kein Gemüse aus Norddeutschland zu kaufen, sei für die Bauern verheerend gewesen. Der Bauernverband beklagt Umsatzeinbußen von täglich zwei Millionen Euro, wie ein Sprecher auf dapd-Anfrage sagte.


Nachdem sich die Ereignisse überschlagen, haben wir die wichtigsten Nachrichten des Tages zusammengefasst:


38-jähriger Hamburger starb definitiv an EHEC: Ein tot in seiner Hamburger Wohnung gefundener 38 Jahre alter Mann ist wahrscheinlich an den Folgen einer Infektion mit dem Darmbakterium EHEC gestorben. Erste Proben seien positiv auf EHEC getestet worden, teilte die Gesundheitsbehörde am Freitag mit. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hatte am Donnerstag von dem Todesfall berichtet. Der 38-Jährige sei zwei Tage zuvor von der Feuerwehr gefunden worden, nachdem sein Arbeitgeber ihn vermisst gemeldet hatte. Der Mann habe ein bis zwei Tage lang tot in seiner Wohnung gelegen.

EHEC-Infektionen in Schleswig-Holstein fast verdoppelt: In Schleswig-Holstein hat sich die Zahl der bestätigten Infektionen mit dem aggressiven Durchfallerreger EHEC innerhalb eines Tages fast verdoppelt. Wie das Gesundheitsministerium am Freitag in Kiel mitteilte sind 204 Fälle belegt, am Vortag waren es 109 gewesen. Auch die Zahl der sogenannten HUS-Fälle mit schweren Erkrankungen stieg erheblich – von 30 auf 55. Bei HUS-Fällen, dem Hämolytisch-Urämischem Syndrom (HUS), gibt es oft Nierenversagen.

UKE ruft zur Blutspende auf: Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) ruft wegen der EHEC-Erkrankungswelle zum Blutspenden auf. Rund zwei Drittel der HUS-Patienten bräuchten eine sogenannte Plasmapherese, also einen Austausch des Blutplasmas, erklärte eine Sprecherin am Freitag. "Seit Anfang der Woche werden daher derzeit im UKE rund 500 Blutplasmen pro Tag verbraucht.“ Der Vorrat reiche zwar nach jetzigem Stand für die kommenden Wochen aus, hieß es. "Es besteht im Moment kein Engpass – in einigen Wochen muss aber mit einem deutlichen Engpass gerechnet werden.“ Vom Zeitpunkt der Blutspende bis zur Gewinnung von Plasma, das eingesetzt werden könne, vergingen drei bis vier Monate, berichtete die Sprecherin.

Der behandelnde Nierenarzt der Medizinischen Hochschule Hannover, Jan Kielstein, schließt eine Verknappung von Blutplasma nicht aus. "Noch haben wir ausreichend Spendenplasma zur Behandlung der Patienten, aber wenn die Situation so anhält, könnte es schwierig werden“, sagte Kielstein, am Freitag. Um ein Nierenversagen bei den Betroffenen zu verhindern, müsse bei ihnen mindestens drei Mal ein Plasmaaustausch vorgenommen werden. "Pro Therapie brauchen wir das Blutplasma von sechs bis zehn Spendern.“ In der Klinik in Hannover arbeiten derzeit rund 30 Fachkräfte rund um die Uhr, um die 31 Erkrankten zu versorgen. Etwa zwei Drittel der Patienten kommen aus Lüneburg und Hamburg.

Robert-Koch-Institut: 60 neue HUS-Fälle: Auch der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Reinhard Burger, hat noch keine Entwarnung vor dem EHEC-Erreger gegeben. Dem Experten zufolge seien weitere Menschen an der gefährlichen Durchfall-Infektion schwer erkrankt. "Der Ausbruch geht weiter. Von gestern auf heute sind etwa 60 neue HUS-Fälle, also schwere Verläufe dieser EHEC-Infektion, dazugekommen“, sagte Burger am Freitag dem ARD-"Morgenmagazin“. Es müssten jetzt weiterhin die Infektionsketten aufgeklärt werden, um zu sehen von welchem Lebensmittel der Erreger stamme und in welchem Bereich der Produktion, der Auslieferung oder der Verpackung der Erreger auf das Lebensmittel gekommen sei.

Norddeutsche Tafeln reagieren unterschiedlich: Derweil bieten Tafeln in Niedersachsen und Bremen sozial schwachen Menschen keine Gurken, Tomaten und Salate mehr an. Die meisten Tafeln verzichteten derzeit auf diese Lebensmittel, sagte die Vorsitzende des Landesverbandes der Tafeln, Edeltraut Graeßner, am Freitag in Lingen. "Das ist einfach zu riskant“, fügte Graeßner hinzu. Schließlich wisse man noch nicht, woher die Krankheit wirklich komme. Letztendlich müsse aber jede Tafel selber entscheiden, ob sie diese Gemüse weiterhin verteilt. In Niedersachsen und Bremen gibt es 97 Tafeln, die überschüssige Lebensmittel sammeln und an sozial schwache Menschen weitergeben.

Auch die Kieler Tafel bietet sozial schwachen Menschen keine Gurken mehr an. "Wir hatten noch welche in der Kühlung. Die haben wir alle weggeschmissen“, sagte die Vorsitzende der Tafel, Barbara Kotte, am Freitag in Kiel. Die Herkunft der aus zweiter oder dritter stammenden Gurken sei schlicht nicht nachzuvollziehen. Die Fahrer der Kieler Tafel seien angewiesen worden, vorerst keine Gurken mehr anzunehmen.

In Hamburg dagegen verzichtet nur ein Teil der Tafeln auf Tomaten und Gurken. Einige der sozialen Einrichtungen geben das Frischgemüse weiter an Bedürftige aus, weisen jedoch auf die Risiken hin, wie eine dapd-Umfrage am Freitag ergab.

Derzeit würden weder Salat noch Tomaten und Gurken weitergegeben, sagte Reinhard Gibbe, Lagerleiter der Tafel in der Barmbek-Nord. Das Risiko sei zu groß. Wenn Ware zusammengeschüttet werde, könne die Herkunft nicht mehr geklärt werden.

Auch die Wilhemsburger Tafel verzichtet seit Donnerstag auf die Ausgabe von Salatgurken, weil unklar sei, woher die Ware stamme, sagte Leiterin Elzbieta Parat. Bei Tomaten und Salat sei den Kunden die Entscheidung selbst überlassen. Am Donnerstag hätten die Geschäfte mehr Gurken als sonst abgegeben, sagte Parat. Die Tafel entsorge diese jedoch.

Bei der Tafel im Hamburger Stadtteil Bergedorf würden dagegen weiter Gurken, Tomaten und Salat ausgegeben, sagte Ulrike Eckert-Riecke, Leiterin der Ausgabe. Es sei den Kunden selbst überlassen, ob sie die Produkte nähmen. "Informiert haben wir auf alle Fälle“, betonte Eckert-Riecke. Darüber hinaus nehme die Tafel nicht alles, was die Geschäfte anböten, sondern achteten auf die Herkunft.

In Harburg verteilt die Tafel derzeit nach eigenen Angaben nur eingeschweißte Ware, auf der als Herkunftsland Deutschland verzeichnet ist. Zudem würden die Kunden darauf hingewiesen, die Produkte gründlich zu waschen.

Auf der Suche nach einer Quelle für den Erreger waren Experten am Donnerstag fündig geworden: Das Bakterium wurde in Hamburg an vier Salatgurken aus dem spanischen Malaga nachgewiesen. Neben Gurken ist Burger zufolge jedoch auch bei Tomaten und Salat weiter Vorsicht geboten. "Vor dem Verzehr dieser Gemüse in roher Form wird gewarnt“, sagte der RKI-Chef.

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(dapd/dpa)