Das UKE brachte bereits leichter erkrankte Patienten nach Hannover und ruft die Bürger zum Blutspenden auf. Spanien schloss unterdessen zwei Betriebe.

Hamburg/Hannover. Die Erkrankungswelle mit dem lebensgefährlichen EHEC-Erreger hat sich am Freitag ausgeweitet und für einen ersten Engpass in Hamburger Kliniken gesorgt. „Es ist offensichtlich, dass wir auf Versorgungskapazitäten in anderen Bundesländern, wie zum Beispiel in Hannover, zurückgreifen müssen, um die Versorgung von Neufällen auch am Wochenende zu gewährleisten“, erklärte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) am Freitag.

Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) verlegte bereits am Donnerstag fünf Patienten nach Hannover, wie Vorstandschef Prof. Jörg F. Debatin berichtete. „Es handelt sich dabei aber eher um leicht erkrankte Patienten.“ Das UKE halte immer eine „eiserne Reserve“ für schwer erkrankte Patienten, die nicht transportfähig sind. „Die Anzahl der Patienten macht uns nicht nervös“, betonte Debatin, „uns macht nur nervös die Anzahl der sehr schwer kranken Patienten, die dialysiert werden müssen.“

In den Hamburger Asklepios Kliniken dagegen sind die Behandlungskapazitäten fast ausgereizt, wie Sprecher Rudi Schmidt sagte. „Wir können keine neuen Patienten aus anderen Kliniken mehr aufnehmen.“ Nur noch schwere Fälle würden angenommen. „Wenn es sich weiter dramatisch zuspitzen sollte, hätte das Gesundheitssystem ein Problem. Irgendwann gäbe es keine Lösung mehr.“

Die Zahl der EHEC-Verdachtsfälle und -Infektionen nahm weiter zu. Bis Freitagvormittag wurden 400 Fälle in Hamburg gemeldet. „Von diesen Fällen werden in den Hamburger Krankenhäusern 79 Personen stationär aufgrund von HUS oder HUS-Verdachts behandelt“, hieß es. Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist eine schwere EHEC-Verlaufsform, bei der es zu Nierenschäden kommen kann. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde wurden Proben eines 38-jährigen Mannes, der am Dienstag tot in seiner Hamburger Wohnung gefunden worden war, positiv auf EHEC getestet.

In Schleswig-Holstein verdoppelte sich die Zahl der bestätigten Infektionen innerhalb eines Tages fast. Stand Freitag 18.00 Uhr gab es 248 nachgewiesene Infektionen – mehr als doppelt so viele wie am Vortag (109). Wie Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) am Abend nach einem Besuch des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel weiter mitteilte, ist auch die Zahl HUS-Fälle mit lebensgefährlichen Erkrankungen auf inzwischen 73 gestiegen.

Nach Einschätzung Gargs ist der Höhepunkt der Krankheitswelle noch nicht erreicht, da bis zu zehn Tage zwischen einer Ansteckung und dem Ausbruch der Krankheit liegen könnten. Er gehe außerdem davon aus, dass es außer den spanischen Salatgurken vom Hamburger Großmarkt noch weitere Infizierungsquellen geben müsse.

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Die Krankenhaus-Kapazitäten in Schleswig-Holstein und die vorhandenen Dialysegeräte reichten noch aus für die schweren HUS-Fälle, sagte Garg. Normale Dialyse-Patienten würden aber derzeit mit ambulanten Geräten betreut. Es werde ins Auge gefasst, bei weiter steigenden schweren Erkrankungen HUS-Patienten in Länder zu bringen, die bislang von EHEC weitgehend verschont wurden wie zum Beispiel Berlin und Brandenburg.

Das Hamburger UKE rief zum Blutspenden auf. Rund zwei Drittel der HUS-Patienten bräuchten eine sogenannte Plasmapherese, also einen Austausch des Blutplasmas, erklärte eine Sprecherin am Freitag. „Seit Anfang der Woche werden daher derzeit im UKE rund 500 Blutplasmen pro Tag verbraucht.“ Normalerweise würden am UKE jeden Monat rund 20 Plasmapheresen durchgeführt, berichtete der Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin, Sven Peine. Jetzt seien es etwa 30 Plasmapheresen pro Tag.

Der Vorrat reiche zwar nach jetzigem Stand für die kommenden Wochen aus, hieß es. „Es besteht im Moment kein Engpass – in einigen Wochen muss aber mit einem deutlichen Engpass gerechnet werden.“ Vom Zeitpunkt der Blutspende bis zur Gewinnung von Plasma, das eingesetzt werden könne, vergingen drei bis vier Monate, berichtete die Sprecherin.

„Für mich ist diese EHEC-Welle viel ernster als die Schweinegrippe“, sagte Reinhard Brunkhorst, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. Vor allem gesundheitsbewusste Frauen seien betroffen. „Es ist absolut schockierend, wenn man eine Patientin Anfang 30 hat, die kaum noch sprechen kann und Krampfanfälle hat.“

Ein spanischer Gurken-Lieferant hatte am Donnerstag angegeben, dass eine Palette mit Salatgurken auf dem Hamburger Großmarkt ungestürzt sei und diesen Unfall als Quelle der Verunreinigung vermutet. Dieser Theorie widersprach Prüfer-Storcks am Freitag deutlich: „Dass die belasteten Gurken von einer einzigen Palette stammten, die durch ein Umkippen verseucht wurde, können wir aufgrund der Probenentnahme an unterschiedlichen Stellen ausschließen“, teilte die Senatorin mit. „Auch kann Ware von einer einzigen Palette unmöglich zu EHEC-Primär-Infektionen mit diesem Ausmaß führen.“

Spanische Behörden haben unterdessen nach Auskunft der EU-Kommission vorübergehend zwei Betriebe im spanischen Almeria und Malaga geschlossen. Sie sollen für die Verbreitung der mit den gefährlichen EHEC-Keimen befallenen Gurken in Deutschland verantwortlich sein, teilte die Kommission am Freitagabend in Brüssel mit. Boden-, Wasser und Produktproben seien genommen worden. Die Untersuchungen dauern an. Zudem werde eine weitere mögliche Quelle untersucht. Eine verdächtige Lieferung von Salatgurken aus Spanien wurde demnach nach Dänemark geliefert, doch konnten die Behörden die Lieferung ausfindig machen und aus dem Verkauf ziehen. Die dänischen Behörden hätten der EU-Kommission zudem versichert, dass keine Gurken aus dieser Lieferung in andere Länder weiter verkauft worden seien.