Die Zahl der Neuerkrankungen mit EHEC in Hamburg sinkt. Aber: Viele Patienten leiden nun auch noch an neurologischen Störungen.

Hamburg. Ein großes rotes Stoppschild prangt am Eingang der Isolierstation. „Vor Betreten der Station bitte Schutzkittel anziehen“, heißt es dort warnend. Zutritt bekommt aber nur, wer auch Mundschutz und Gummihandschuhe überstreift. Denn hinter der Glastür am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) kämpfen die Ärzte seit Tagen gegen die Infektionen mit dem hochaggressiven Darmkeim EHEC – und dessen besonders schwere Verlaufsform, dem lebensgefährlichen Hämolytisch-Urämischen Syndrom (HUS). Hamburg ist bislang am schwersten vom EHEC-Ausbruch betroffen.

Daher macht sich auch Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am Montag im UKE ein Bild von der Lage. Scholz besucht eine Sitzung des Krisenstabs, lobt den unermüdlichen Einsatz der Mediziner und ihre menschliche Zuwendung. „Hier wird auf hohem Niveau mit großem, großem Engagement das getan, was möglich ist, um gesund aus der Sache herauszukommen.“

Einen kleinen Hoffnungsschimmer kann UKE-Chef Prof. Jörg Debatin am Montag denn auch endlich verkünden: Die Zahl der EHEC-Neuerkrankungen in Hamburg sinkt. Und Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) erklärt prompt: „Ich hoffe sehr, dass dies ein Indiz dafür ist, dass der Höhepunkt der Erkrankungswelle überschritten ist.“

Sorgen machen den Ärzten aber vor allem die derzeit 58 HUS-Patienten im UKE. Etwa ein Drittel von ihnen hat die Nierenfunktion verloren und muss zur Dialyse. Ob ihre Nieren künftig wieder alleine arbeiten können, ist unklar. Inzwischen kommen bei vielen Erkrankten auch schwere neurologische Probleme hinzu – etwa Sprachstörungen, Zuckungen oder epileptische Anfälle. „Das Bild ist sehr bunt“, sagt der UKE-Neurologe Prof. Christian Gerloff.

Auch insgesamt gebe es sehr unterschiedliche Verläufe der Krankheit, betont der Infektiologe Prof. Ansgar Lohse. „Es ist nicht der Erreger, der die unterschiedlichen Krankheitsbilder macht - sondern es ist abhängig vom Wirt, also dem Patienten.“ Die Reaktionen der Patienten auf den Keim seien verschieden. Manche EHEC-Infizierte hätten sogar „fast keine klinischen Symptome“ – also blutige Durchfälle -, berichtet der Nierenspezialist Prof. Rolf Stahl, entwickelten später aber ein HUS-Syndrom.

Unterdessen geht die Spurensuche nach dem Erreger unverändert weiter. „Das ist eine schwierige kriminalistische Aufgabe“, betont Lohse. Der Erreger sei ja möglicherweise schon längst weg, wenn die Patienten krank werden. Und außerdem: Wer könne sich schon daran erinnern, was er vor zwei Wochen wo gekauft hat – und wer dann die Gurke gewaschen und den Salat gemacht hat?

„Wir haben es mit einer Situation zu tun, die keiner von uns bisher erlebt hat“, sagt Stahl. Hoffnung setzen die Mediziner nun auf die Behandlung mit dem neuen Wirkstoff Eculizumab bei schweren HUS-Fällen. Wie erfolgreich dieser „Rettungsversuch“ ist, werde sich aber erst in drei bis vier Wochen zeigen, erklärt der Nierenspezialist. Schließlich habe er noch nie ein Medikament gesehen, das innerhalb von 24 Stunden „wie eine Wunderwaffe“ eine solch komplexe Erkrankung heilen könne.

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EHEC-Alarm an Hamburger Gymnasium

Der gefährliche Darmkeim EHEC breitet sich in Norddeutschland offenbar ungebremst aus. In Hamburg muss jetzt die erste Schulklasse zu Hause bleiben. Bei vier Schülern der Klasse 10d des Gymnasiums Othmarschen waren Symptome der Krankheit diagnostiziert worden.

Schulleiterin Nele Degenhardt entschied nach Rücksprache mit dem Gesundheitsamt, dass die gesamte Klasse in dieser Woche vom Unterricht befreit wird. Entscheidend war der Verdacht, dass es zu einer Kontaktinfektion unter den Kindern im Klassenraum gekommen sein könnte. Der Raum wurde inzwischen desinfiziert. Weil in dem Klassenzimmer auch andere Schüler unterrichtet wurden, seien weitere Kinder und Lehrer gefährdet, hieß es. Auch am benachbarten Gymnasium Hochrad gab es EHEC-Fälle.

Am Wochenende forderte der Erreger erneut vier Todesopfer. Bisher sind dem Bakterium zehn Menschen - darunter neun Frauen - zum Opfer gefallen, allein sechs davon in Schleswig-Holstein und Hamburg. Zahlreiche Patienten schweben in Lebensgefahr. Die behandelnden Ärzte sind äußerst besorgt. "Wir werden weitere Menschen verlieren", sagte gestern Prof. Jörg Debatin, Vorstandschef des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE). Man müsse sich darauf einstellen, dass auch jüngere Menschen sterben.

In vielen Fällen leiden EHEC-Kranke an einer besonders schwerwiegenden Variante, dem Hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS). Im UKE ist der Zustand vieler HUS-Patienten kritisch. "Wir sprechen von einer Herausforderung, wie wir sie bisher noch nicht erlebt haben", sagte Debatin. Von den rund 80 Patienten liegen 18 auf der Intensivstation, davon acht im künstlichen Koma. Insgesamt haben 30 HUS-Erkrankte keine Nierenfunktion mehr.

In der Hansestadt wie auch in Schleswig-Holstein setzen die Mediziner in einigen Fällen inzwischen den Antikörper Eculizumab ein, der neurologische Veränderungen und Nierenschäden bessern soll. Ob die Therapie erfolgreich ist, wird sich erst in einigen Wochen zeigen. Das neue Mittel werde nur den Patienten mit schweren neurologischen Störungen verabreicht, erklärte Debatin. Dazu gehörten das Aussetzen des Seh- und Sprechvermögens sowie Einschränkungen der Hirnfunktion. Es müsse neben Todesfällen auch mit zahlreichen Folgeschäden bei den Überlebenden gerechnet werden.

In der Hansestadt wurden bis Sonnabend 467 erwiesene und Verdachtsfälle mit EHEC gemeldet. In Schleswig-Holstein hatte sich am Freitag die Zahl der Infektionen mit 248 Fällen mehr als verdoppelt. Heute sollen neue Zahlen bekannt gegeben werden. Auch in Skandinavien und den Nachbarstaaten der Bundesrepublik kam es zu EHEC-Ausbrüchen. In fast allen Fällen hatten sich die Infizierten vor Kurzem in Deutschland aufgehalten. Nach Auffassung der EU-Seuchenkontrollbehörde ist die Infektionsquelle immer noch aktiv. Ob tatsächlich allein spanische Gurken die Ursache sind, die - wie von Hamburger Forschern festgestellt - mit dem aggressiven Erreger verseucht waren, ist unklar. Auch andere mögliche Übertragungswege werden untersucht. Das Robert-Koch-Institut warnt weiter eindringlich vor dem Verzehr von Salatgurken, rohen Tomaten und Blattsalaten.

Unterdessen haben viele norddeutsche Kliniken mit Engpässen bei den Blutvorräten, der Bettenbelegung und dem Personal zu kämpfen. Das UKE musste bereits EHEC-Patienten in Krankenhäuser anderer Bundesländer verlegen, um schwere HUS-Fälle besser versorgen zu können.