Harburg. Künstlerduo lud über fünf Wochen Bewohner des Bezirks ein, Visionen zu ihrem Stadtteil zu entwickeln. Viele Beiträge überraschen.
Fünf Wochen lang öffnete donnerstags und freitags ein besonderes Atelier im Phoenix-Center. Die Künstler, die hier wirkten, sind Harburgerinnen und Harburger, die Wünsche, Kritik und Visionen zu ihrem Wohnort zu Papier brachten. In einer „kreativen Forschungswerkstatt“ schrieben und malten sie, druckten und machten Collagen über das, was Harburg für sie ist oder zukünftig für sie sein könnte.
Die Initiatoren Claudia Kulenkampff und Florian Tampe betreiben künstlerische Stadtentwicklung. Seit wenigen Jahren haben sie vor allem den Bezirk Harburg ins Visier genommen. Sie forschen über öffentliche Räume und besondere Orte in Harburg, die es zu präsentieren oder aufzuwerten gilt. So verliehen sie 2022 dem alten Toilettenhäuschen mit Trinkhalle am Fuß des Schwarzenbergs eine Zeit lang ein Gesicht.
Phoenix-Center: Nach dem 13. Dezember wird die Werkstatt wieder abgebaut
Das Künstlerduo schafft meist temporäre Installationen, die wieder aus dem Stadtbild verschwinden. So wird auch ihre kreative Forschungswerkstatt im Untergeschoss des Phoenix-Centers jetzt schließen und abgebaut. Der erste Donnerstagvormittag war der 14. November, der letzte Freitagnachmittag (16 bis 19 Uhr) ist der 13. Dezember.
Mit der Resonanz sind die beiden künstlerischen Stadtentwickler zufrieden. „Die Leute kommen ins Phoenix-Center, weil sie shoppen wollen. Einige unterbrechen dann ihren Einkauf und schauen kurz bei uns herein, äußern ihre Wünsche“, sagt Tampe. „Überraschend viele“ Menschen seien über die in der Harburger Innenstadt ausgelegten Flyer auf die Aktion aufmerksam geworden und gezielt zur Werkstatt gekommen. Sie brachten Zeit mit für längere Gespräche oder griffen zu Stiften, um Beiträge zu hinterlassen.
Die persönliche Mobilität sei immer wieder ein Thema gewesen, sagt Claudia Kulenkampff. Bis hin zum Wunsch „eine U-Bahn für Harburg“. Anders als in anderen Stadtteilen fehle Harburg zudem etwas Verbindendes, das das Wir-Gefühlt stärkt, diagnostiziert die Kunsttherapeutin. Das könne ein erfolgreiches Sportteam sein oder ein Musikhaus, in dem zum Beispiel gemeinsam gesungen wird. So wie beim Adventssingen oder bei der Intonierung des Harburg-Songs auf dem Rathausplatz.
Jugendliche wünschen sich mehr Angebote für ihre Altersgruppe. Und einen Beachclub
Auch ein Harburger Schwimmbad stand bei den Werkstattbesuchern hoch im Kurs. In einer Illustration ist das Untergeschoss des Phoenix-Centers mit Wasser gefüllt – eine Variante, mit der der Gastgeber sicherlich nicht einverstanden wäre. Insgesamt haben viele Harburger ihre Verbundenheit mit ihrem Bezirk ausgedrückt. Ein Beitrag zeigt ganz viele Herzen im Kartoffeldruck und darunter in großen Lettern HARBURG..
Am kritischsten waren Jugendliche. Ihnen fehlen Probenräume und insgesamt Angebote für ihre Altersgruppe. Sie vermissen ein McDonald‘s Restaurant, bei dem es die Burger nicht, wie in den Einkaufszentren, nur auf die Hand gibt. Mehrfach wurde ein Beachclub gefordert und allgemein Treffpunkte, öffentliche Räume zum Chillen. „Bei ihnen ist das Schwimmbad ein ganz großes Thema“, sagt Kulenkampff.
Karstadt und andere Leerstände regen Fantasie an
Befragt nach den Unterschieden zwischen Hamburg und Harburg punktet der Bezirk mit Vorteilen wie: „Preise sind besser (Markt).“ Harburg ist „ehrlicher“, aber auch „ländlicher, provinzieller“. Ein Beitrag lautet: „klare Verhältnisse; entweder offene Aggression oder Liebe“, ein anderer: „großes, leeres Karstadt-Gebäude“.
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Der Leerstand in der Harburger City bewegt viele Herzen. Die (meist älteren) Leute vermissen „ihr“ Kaufhaus als Einkaufstätte. Die meisten Beiträge beschäftigen sich aber mit der Zukunft der Immobilie. „Leerstand ist immer ein Thema“, sagt Tampe. Deshalb haben die beiden Künstler eine Harburg-Karte mit verwaisten Gebäuden und ungenutzten Flächen aufgehängt, die von den Harburgern ergänzt wurde. „Solche Orte sind besonders, regen die Fantasie an“, so Kulenkampff.
Fazit der Künstler: „Harburg hat viel Potenzial“
Die Künstlerin hat viele Jahre in Moorburg gewohnt und sich dort künstlerisch-politisch engagiert. Florian Tampe gehört zum Gründerteam des Gängeviertels am Valentinskamp. Er hat Harburg erst vor vier Jahren auf einer Radtour kennengelernt und sei immer noch dabei, neue Ecken zu entdecken. Beide sagen: „Harburg hat viel Potenzial. Gerade auch deshalb, weil sich wenige Menschen aus dem nördlichen Hamburg für den Bezirk interessieren.“
Die kreative Werkstatt ist eines von vielen Projekten, mit denen das Künstlerduo dazu beitragen will, diese Potenziale zu heben. Es plant bereits sein nächstes Projekt: Die Fenster des zweiten Obergeschosses vom Karstadt-Haus werden mit großen Leuchtbuchstaben versehen, die den Harburgern unterschiedliche Fragen stellen. Doch zunächst gilt es, die Werkstatt-Beiträge auszuwerten. Sie werden später unter www.interurban.eu nachzulesen sein.