Harburg. Am Freitag feiert „Das Gesicht“ Premiere am Harburger Theater. Dramatischer Stoff, der bestens in die Woche der US-Wahl passt.

  • Ist ein Mensch wirklich böse oder wird er es erst duch die Umstände seines Lebens?
  • Die Premiere der Lenz-Komödie „Das Gesicht“ passt perfekt: Am heutigen Dienstag könnte Donald Trump zum zweiten Mal Präsident der USA werden
  • Das Stück beschäftigt sich mit dem Thema Machtmissbrauch und der Frage, wie autokratische Egomanen so werden, wie sie sind

Mit einer echten Premiere steigt das Harburger Theater in das Programm „Lenz auf die Bühne“, zu Ehren des bedeutenden Hamburger Autors Siegfried Lenz, ein und bringt am 8. November „Das Gesicht“ auf die Bühne. Regie führt Georg Münzel, der insofern keine leichte Aufgabe übernommen hat: Bei seiner Uraufführung im September 1964 am Deutschen Schauspielhaus floppte das Stück – eine Kritik im „Spiegel“ verreißt nicht nur die Aufführung, sondern auch gleich die Vorlage.

Ausgerechnet dieses Stück soll das Harburger Publikum nun für sein Theater begeistern. Denn: Echte Premieren waren zuletzt rar im Hamburger Süden. Man spielte, was am Altonaer Theater oder in den Kammerspielen schon gelaufen war.

„Das Gesicht“ von Siegfried Lenz: Siehe da, der große Poet beherrscht auch Boulevard!

Es stellt sich also die Frage, wie Georg Münzel und seine Schauspielerinnen und Schauspieler, unter anderem Kai Hufnagel und Herbert Schöberl, den Lenz-Stoff umsetzen, der 1964 für so viel Frust sorgte. Sein Thema, Macht und Machtmissbrauch, sowie seine zentrale Frage, nämlich die nach einer natürlichen Veranlagung für Boshaftigkeit, passen auf den ersten Blick ziemlich gut ins Jetzt.

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Ja, sind denn alle jetzt ganz verrückt geworden?

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Im Mittelpunkt des Geschehens steht der Friseur Bruno Deutz. Im Job erfolgreich, im Privaten doch eher unglücklich, schließlich hat seine Frau längst keine Augen mehr für ihn, und die Bekannten aus seiner Revoluzzer-Zeit interessieren sich ebenfalls nicht für ihn. Sein größter Trumpf, so könnte man meinen, ist sein Äußeres, denn er gleicht dem regierenden Diktator aufs Haar (am Harburger Theater wird dies wunderbar wörtlich genommen).

Der Friseur wird als Double engagiert und muss sich nach einem vermeintlich geglückten Attentat auf den Präsidenten als solcher ausgeben. Bruno Deutz ergreift seine Chance beim Schopfe und beginnt zu regieren. Er wird noch tyrannischer als der Tyrann, und die Tatsache, dass er sich selbst einmal als Regimekritiker betrachtet hat, scheint komplett von seinem Horizont verschwunden zu sein.

Grund zum Feiern: Im März 2025 wäre Lenz 100 Jahre alt geworden

Mit dem Programm „Lenz auf die Bühne“ wollen Intendant Axel Schneider und seine Theatermacherinnen und Theatermacher an den Standorten des Theaterbetriebs Stäitsch das Werk des berühmten Autors Siegfried Lenz gebührend feiern. Am 7. Oktober jährte sich sein Todestag zum zehnten Mal, und am 17. März des kommenden Jahres wäre der Hamburger wiederum 100 Jahre alt geworden. Zwischen diesen beiden Daten erstreckt sich das Programm.

„Dass Lenz auch humoristisch ist, fast mit den Mitteln des Boulevards politisches Theater macht, ist vielleicht ein Aspekt, der nicht jedem bekannt ist.“

Georg Münzel
Regisseur

Zwei Romane liefern den Stoff für Theateraufführungen: Eine Bühnenfassung von „Heimatmuseum“, erarbeitet von Axel Schneider, wird am 3. November in Altona uraufgeführt. Und in der kommenden Spielzeit soll außerdem „Der Überläufer“ in den Kammerspielen auf die Bühne gebracht werden. Schließlich war Lenz vor allem für seine Romane bekannt.

Der Wunsch kam auf, Siegfried Lenz als Dramatiker vorzustellen

Bei den Vorbereitungen sei dann aber ziemlich schnell der Wunsch aufgekommen, ebenfalls eines der vom Autor verfassten Theaterstücke aufzuführen, um Lenz auch als Dramatiker zu präsentieren, berichtet Oberspielleiter Georg Münzel. Zunächst sei „Zeit der Schuldlosen“ im Gespräch gewesen, das Stück feierte vor rund 60 Jahren große Erfolge. Beim Lesen habe ihn „Das Gesicht“ dann aber wesentlich mehr interessiert, sagt Münzel.

Georg Münzel führt Regie bei „Das Gesicht“ am Harburger Theater.
Georg Münzel führt Regie bei „Das Gesicht“ am Harburger Theater. © Bo Lahola | Bo Lahola

Das Stück transportiere zwar ebenfalls eine moralische Botschaft, aber mit den Mitteln der Komödie. „Und dass Lenz auch humoristisch ist, fast mit den Mitteln des Boulevards politisches Theater macht, ist vielleicht ein Aspekt, der nicht jedem bekannt ist“, sagt Münzel. Vor Publikum sei Lenz´Komödie bisher nicht gut angekommen. „Ich hoffe, dass wir das jetzt ändern.“

Regisseur Georg Münzel entwarf für das Stück neue Frauenrollen

Die Entscheidung für „Das Gesicht“ brachte allerdings viel Arbeit mit sich: Der Regisseur musste den Stoff stark bearbeiten, weil die von Lenz angedachte Besetzung von rund 30 Rollen das Harburger Theater überfordert hätte. Außerdem seien die männlichen Rollen klar in der Überzahl gewesen, „so wie damals üblich“. Aus dem Sohn des Präsidenten wurde mit Erlaubnis des Verlags eine Tochter, der Sekretär wurde zur Sekretärin: „Sodass es auch interessante Frauenrollen gibt.“

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15 Rollen blieben insgesamt, die nun von drei Schauspielerinnen und fünf Schauspielern auf der Harburger Bühne umgesetzt werden. In einige Szenen musste besonders viel Zeit investiert werden. Etwa in die, die das Attentat auf den Präsidenten zeigt. Lenz habe die Abläufe auf der Bühne sehr detailliert beschrieben: „Diese sehr schnelle Slapstick-Szene, mit dem vielen Tür-auf, Tür-zu war schon sehr probenintensiv“, blickt Münzel zurück. 

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Eine schöne Herausforderung sei außerdem die Sprache gewesen, die verschachtelten Sätze sowie altertümlichen Formulierungen. Als „verquast“ bezeichnet der Regisseur die Ausdrucksweise, die Lenz seinen Figuren gab. Münzel hat sich dazu entschieden, eine Kunstsprache aus dem Lenz‘schen zu machen und trotzdem moderne, auch grelle, Figuren zu entwerfen: „Das macht den Spaß aus.“ Das Publikum ist eingeladen, den realistischen Blick an der Garderobe abzugeben, und den Behauptungen des Theaters zu folgen.

Theater Hamburg: Eine Premiere, die perfekt in die Woche der US-Wahl passt

Münzel sieht außerdem Parallelen zur Hollywood-Komödie „Dave“ von 1993, „Das Gesicht“ sei quasi die Negativ-Variante, die möglicherweise sogar realitätsnaher und in jedem Fall weniger kitschig sei. Der Held, oder vielmehr Antiheld, werde aus der eigenen Unzufriedenheit heraus zu einem üblen Machtmenschen, der dann erratische Entscheidungen trifft. „Da denkt man dann an Donald Trump oder Maximilian Krah“, sagt Münzel.

„Das Gesicht“, Komödie von Siegfried Lenz, Harburger Theater, Museumsplatz 2, Premiere am 8. November, 19.30 Uhr, Vorstellungen bis 16. November, Karten ab 20 Euro an der Theaterkasse, dienstags bis freitags, 14 bis 18 Uhr oder via E-Mail an tickets@harburger-theater.de.

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