Lüneburg. Werk des Verhüllungskünstlers und seiner Frau ist noch bis Dezember zu sehen. Welche Besonderheit die Ausstellung zu bieten hat.
Im kommenden Jahr ist die spektakuläre Aktion bereits drei Jahrzehnte her: Spätestens seit der Verhüllung des Berliner Reichstagsgebäudes im Sommer 1995 sind Christo und Jeanne-Claude einem breiten Publikum bekannt – es war ein Projekt mit unglaublichen Dimensionen.
Doch das Künstler-Ehepaar fasziniert mit seiner Kunst auf vielen Ebenen. Durch den riesigen Aufwand, die jahrelange Arbeit so vieler Menschen für diesen kurzen Moment, in dem ihr Kunstwerk existierte. Andererseits auch dadurch, dass ihre Kunst quasi ohne jede Förderung auskam, sich trotz ihrer Monumentalität durch sich selbst finanzierte.
Christo-Ausstellung in Lüneburg: Das erwartet die Besucher in der Kunsthalle
Für die Verhüllung des Reichstages nutzten sie beispielsweise 100.000 Quadratmeter feuerfestes Polypropylengewebe und 15 Kilometer blaue Seide. Mehr als zwanzig Jahre hatten die Vorbereitungen gedauert, am Aufbau selbst waren 90 Kletterer und 120 Bauarbeiter beteiligt – das obwohl, der Reichstag lediglich 14 Tage lang verhüllt blieb.
In seinem Gewand wurde er lebendig, das Wetter formte seine Gestalt. Auf den Fotos, die das Kunstwerk dokumentieren, wirkt seine Hülle zart und anschmiegsam wie ein kostbares Abendkleid. Umso überraschender ist es, den Stoff in der Lüneburger Ausstellung „Christo & Jeanne Claude: Wrapped“ aus der Nähe zu sehen: Er ist fest, wenig elegant und erinnert fast an ein Kettenhemd.
Christo und Jeanne-Claude: Stoffproben der Verhüllungen in Lüneburg zu sehen
Für die Schau in der Lüneburger Kunsthalle hat der Leiter der Kulturbäckerei, Steffen Heeck, Stoffproben von allen großen Projekten des Künstlerduos aufgetrieben. Was vielleicht nicht jede weiß: Der Stoff für die Verhüllung des Reichstags wurde von einer Lübecker Firma angefertigt, die eigentlich Heißluftballons herstellt. Wer im Sommer 1995 nicht in der Bundeshauptstadt dabei sein konnte, kann den Zeitzeugnissen derzeit in Lüneburg näherkommen – ohne den atemberaubenden Werken von Christo und Jeanne-Claude ihre Vergänglichkeit zu nehmen.
Außerdem sind Skizzen und Vorarbeiten des Paares zu sehen, sowie dokumentarische, großformatige Fotografien seines Begleiters Wolfgang Volz. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Kunstverlag-Galerie Breckner und ist noch bis zum 8. Dezember 2024 in der Kulturbäckerei Lüneburg, Dorette-von-Stern-Straße, zu sehen.
Eine erste Frage, die entsteht, ist wohl die nach einer Verbindung zur Stadt: Was haben Christo und Jeanne-Claude mit Lüneburg zu tun? Erst einmal nicht viel; verhüllt hat das Duo in Lüneburg zu Lebzeiten jedenfalls nichts. Aber es gibt sie doch, eine Verbindung.
Nach jahrzehntelanger Vorarbeit für die Verhüllung des Reichstags in Berlin und vielen politischen Diskussionen fand eine Delegiertenabstimmung zur Verhüllung statt, die im Anschluss an eine zwölfstündige Debatte mit 292 Ja-Stimmen und 223 Nein-Stimmen knapp ausfiel. Sie gab dem Künstlerpaar aber letztendlich den Zuspruch zum Vorhaben.
Christo kam nach Lüneburg, um Politiker von seinem Projekt zu überzeugen
Christo habe alle Abgeordneten besucht, berichtet Judith Fietz, Pressereferentin der Sparkassenstiftung Lüneburg. So sei er auch nach Lüneburg gekommen, um Dirk Hansen zu treffen, einen FDP-Politiker, der von 1990 bis 1994 Mitglied des Bundestages war. Später, von 1996 bis 2000, übernahm Hansen das Amt des Vizepräsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung. Bei der Eröffnung der Lüneburger Ausstellung berichtete der Politiker von seiner Begegnung mit dem Künstler.
Extreme Witterung konnte Kunstwerke schnell verschwinden lassen
Faszinierend ist auch heute noch, welche Hürden das Künstlerpaar mit seiner Kunst nahm und überwand. Nicht nur die Abstimmung des Deutschen Bundestags ist beeindruckend, auch die Widrigkeiten durch die Witterung waren extrem. Der „Valley Curtain“, den das Paar 1972 in Colorado installieren ließ, existierte lediglich 28 Stunden, bis er eines starken Sturms wegen wieder abgenommen werden musste. Die Materialien, mit denen die Künstler arbeiteten, seien nach dem Abbau immer recycelt worden, erklärt Fietz.
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Die Lüneburger Ausstellung blickt nicht nur auf die Verhüllungen des Künstlerpaars zurück. Sie macht auch weitere monumentale Werke, etwa „The London Mastaba“ von 2018, nahbarer. Für die 20 Meter hohe und 30 Meter breite Skulptur, deren Form an ägyptische Grabbauten erinnert, wurden 7506 Fässer horizontal gestapelt. Die riesige Skulptur schwamm mehr als drei Monate auf dem Serpentine Lake im Hyde Park. Bei dem Anblick einiger Ölfässer, die in Lüneburg ausgestellt sind, werden einem die wahnsinnigen Dimensionen bewusst.
„Christo & Jeanne Claude: Wrapped“, Ausstellung in der Kunsthalle Lüneburg in der Kulturbäckerei, Dorette-von-Stern-Straße 2, bis Sonntag, 8. Dezember 2024. Öffnungszeiten: Montags bis freitags, 10 bis 18 Uhr; sonnabends und sonntags, 11 bis 17 Uhr, Eintritt frei