Harburg. Wie gewinnt man das Vertrauen von Jugendlichen? Spoiler-Alarm: Es kann funktionieren. Auf Streife mit den Harburger Jugendschützern.
- Der Harburger Jugendschutz hat sich verändert: Er ist jünger und diverser geworden.
- Aus zuvor fünf sind inzwischen neun Beamte geworden.
- Die Neuausrichtung soll einen besseren Zugang zur Harburger Jugend schaffen.
Im September 2020 hatte Harburgs Kommissariatsleiter Dirk Noetzel die Idee, den Jugendschutz im Süden Hamburgs neu aufzustellen. Aus einer Idee ist inzwischen Wirklichkeit geworden – und die ersten Erfolge zeigen sich. Es weht ein frischer Wind durch die Straßen des Bezirks, und der scheint auch den Jugendlichen besser zu gefallen.
„Mit einem Altersdurchschnitt von nun Mitte 30 bekommen wir leichter Kontakt zu den Jugendlichen und werden noch mehr akzeptiert als früher“, erklärt Falko Müller, der als Polizeihauptkommissar die Dienstgruppe leitet. „Wir suchen gezielt das Gespräch mit den Jugendlichen, manchmal spielen wir mit ihnen Fußball oder Basketball und bauen so ein Vertrauensverhältnis auf“, ergänzt Müllers Stellvertreter Ismail Yaylaoglu.
Dabei sei aber immer klar: „Wir sind Polizisten.“ Und wenn die Jugendlichen von einer Straftat berichten, müssen die Beamten diese auch verfolgen.
Private Treffen, Spielplätze, Parkhäuser: Jugendliche gehen neue Wege
Die Zeiten, in denen sich Jugendliche in Kneipen betranken oder bis in die Nacht im Tanzcafé aufhielten, sind allerdings längst vorbei. Jugendliche kommen nach der Schule häufiger im privaten Rahmen zusammen, weichen auf Parkhäuser und Spielplätze aus oder treffen sich an zentralen Orten.
Beliebte Orte in Harburg seien beispielsweise vor dem Luna-Center und der Inselpark in Wilhelmsburg, dort ist der Harburger Jugendschutz tätig, sowie der Kalischerplatz im Phoenix-Viertel, an den ein Bolzplatz grenzt. Oder der Seeveplatz vor dem Marktkauf-Center und das Parkhausdach des benachbarten Phoenix-Centers.
„Jugendliche brauchen Räume, in denen sie sich entfalten können und auch mal über die Stränge schlagen dürfen“, berichten die erfahrenen Familienväter, denn beide Polizisten haben selbst Kinder im Jugendalter und sind auch privat echte Familientypen.
Ismail Yaylaoglu hat zwei eigene und zwei Pflegekinder
Ismail Yaylaoglu hat zwei eigene Kinder im Alter von 7 und 9 Jahren und zudem noch zwei Pflegekinder im Alter von 3 und 13 Jahren. Er wohnt in einem Mehrgenerationenhaushalt in der Nähe von Buxtehude. Auch Dienstgruppenleiter Falko Müller lebt mit seiner Frau und zwei Kindern im Alter von 17 und 10 Jahren in einem Dorf südlich von Hamburg. Aufgewachsen ist er als „Lehrerkind“ in Berlin.
„Allerdings hat dieses über die Stränge schlagen natürlich Grenzen – gesetzliche und gesellschaftlich akzeptierte“, so Müller. Daran müsse man die Jugendlichen manchmal erinnern. Ein Konzept, das aufzugehen scheint.
„Nach den Ereignissen am Halloween-Tag haben wir 180 Interviews geführt“
Man arbeite eng mit Jugendämtern zusammen, stelle sich auch in Jugendtreffs vor und erkläre die Arbeit. Dadurch spreche man viel mit den Heranwachsenden. „Nach den Ereignissen am Halloween-Tag am Harburger Ring haben wir 180 Interviews geführt und wirklich alle, auch die am Rande der Ausschreitungen Beteiligten, bewerteten die Geschehnisse im Nachgang negativ“, so Ismail Yaylaoglu.
Leider fänden es viele der Kids cool, auf ihren Social-Media-Kanälen besonders heftige Bilder zu präsentieren. Ein Trend, den die Beamten schon länger beobachten und der ihnen die Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Denn es sind nicht nur Ausschreitungen und Gewaltszenen, die oftmals über Social-Media-Kanäle ihre Verbreitung finden, sondern auch Mobbingattacken gegen Mitschüler und Gleichaltrige.
Gespräche sollen kriminelle Karrieren schon früh stoppen
Oftmals bekommen die Jugendschützer ihre Erkenntnisse von den Ermittlern der verschiedenen Landeskriminalämter. Liegen Hinweise auf eine Straftat mit der Beteiligung eines Jugendlichen vor, kommt es auf Antrag des bearbeitenden LKA zu sogenannten Normen und Hilfsgesprächen, für die sich die Jugendpolizisten in der Regel ins Elternhaus der Kids einladen.
Dabei werden im Beisein der Eltern und in bekannter Atmosphäre die Probleme und Konsequenzen besprochen, die ein bestimmtes Handeln hervorruft. Oder es werden Hilfen für die Opfer von Straftaten erläutert. So werden sogenannte Gefährder schon früh angesprochen, sie erfahren in einem lockeren, aber gesteuerten Gespräch die Folgen ihres Verhaltens. Dafür gibt es einen Katalog an Straftaten, bei denen ein Gespräch geführt werden soll – immer bei Gewalttaten, sexualisierten Straftaten und bei Brandstiftung.
„Das sitzt in der Regel. Manchmal erfahren die Eltern erst durch uns, was ihr Kind wirklich angestellt oder erlebt hat“, sagt Yaylaoglu. Meist seien die Eltern dankbar. Denn nicht selten haben sie ohnehin schon das das Gefühl, ihr – zumeist – Junge entgleite ihnen bei der Erziehung.
Geplant ist eine Veranstaltung zu Halloween auf dem Harburger Ring
In diesem Jahr arbeiten Bezirks- und Jugendamt, beraten vom Jugendschutz der Polizei und anderen Initiativen, an einer Veranstaltung auf dem Harburger Ring zu Halloween. Dadurch sollen Ausschreitungen wie in den vergangenen beiden Jahren verhindert werden. Die Beamten des Jugendschutzes werden vor Ort die Polizeiarbeit machen.
Doch mittlerweile besteht auch ein sehr enger Kontakt zu vielen Jugendlichen und Gruppen. Oftmals können sogar Sprachbarrieren überwunden werden, denn die Jugendschutztruppe ist international aufgestellt, die unterschiedlichen Beamten sprechen neben deutsch und englisch auch polnisch, türkisch, kurdisch und arabisch. Das kommt vor allem bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund gut an.
Unterwegs auf Streife: Zum Schulschluss geht es los
An einem sommerlichen Tag im August trifft sich die Jugendschutzabteilung gegen Mittag an der Dienststelle in der Lauterbachstraße. Mit dem Schulende treibt es erfahrungsgemäß auch die Jugendlichen auf die Plätze. Heute geht es zu Fuß durch Harburg. Zunächst werden Funkgerät und Dienstwaffe unter der zivilen Kleidung versteckt, dann gibt es eine kurze Besprechung. In Zivil, wie meistens, laufen die Beamten ins nahe gelegene Phoenix-Viertel. Nach kurzer Zeit die erste Jugendgruppe, die Beamten beginnen ein lockeres Gespräch. Man kennt sich.
Nur wenige Meter weiter treffen die Polizisten auf eine Gruppe Kinder und werden direkt wiedererkannt. Erst kürzlich wurde bei einem Neunjährigen ein Normen- und Hilfsgespräch geführt. Der freut sich, die Jugendschützer zu treffen. Er berichtet freudig von seinem Schulalltag – noch vor wenigen Wochen war er wegen obszöner Gesten auffällig geworden.
Lüneburger Straße: Die Faust zur Begrüßung, ein kurzes Gespräch
Dann geht es weiter in die Lüneburger Straße. Hier ist ein 8-Jähriger mit seinem Elektroroller unterwegs und wird von den Beamten angehalten. Zu jung und ohne Versicherungsschutz ist der Rollerfahrer unterwegs. Kurz hinter dem Kind geht die Mutter. „Der Junge hat den Roller erst vor wenigen Tagen von seinem Vater geschenkt bekommen“, sagt sie. Geduldig und trotz aller Sprachschwierigkeiten wird der Mutter erklärt, dass der Roller nicht auf der Straße geführt werden darf.
Nur wenige hundert Meter weiter unter einer Treppe des Marktkauf-Centers lümmeln Jugendliche, die laute Musik hören und über die es regelmäßig Beschwerden gibt. Auch hier gibt man sich die Faust zur Begrüßung, ein kurzes Gespräch und weiter geht’s. „Die Jungs sind oft laut und kiffen auch mal“, erklärt Ismail Yaylaoglu. „Hier schauen wir öfters vorbei, Drogenkonsum werden und müssen wir auch auf jeden Fall strafrechtlich verfolgen.“
Am Phoenix-Center sitzen oft Jugendgruppen und chillen
Die Streife wird entlang des Seevekanals fortgesetzt. Dort am Phoenix-Center sitzen oft Jugendgruppen und chillen – ein Jugendlicher mit Fahrrad war den Beamten gefolgt, er spricht sie noch einmal direkt an. Vor der Gruppe am Marktkauf-Center wollte er sich dann doch nicht mit seinen Problemen outen. Er erklärt, mit Drogen habe er nichts mehr am Hut und berichtet stolz, eine Ausbildung begonnen zu haben.
Auch das ist Polizeiarbeit beim Jugendschutz: einfach mal zuhören. Danach geht es ins Parkhaus des Fernbahnhofs Harburg. Hier haben Jugendliche kürzlich Polizeiwagen beschädigt. Dass diese sich dort regelmäßig treffen, verraten Unmengen an Schalen von Sonnenblumenkernen auf dem Boden – heute ist der Treffpunkt verwaist. Ebenso wie das Parkhausdach des Phoenix-Centers.
Plötzlich kommen zwei weitere Kollegen des Jugendschutzes, bereits in Uniform. Der Bäcker im Marktkauf-Center meldete eine Gruppe, die laute Musik höre und so die Gäste verscheuche. Als die Beamten kurze Zeit später ankommen, ist die Gruppe längst weitergezogen.
Am Abend geht es in Uniform durch Harburgs Shisha-Bars
Um 16.30 Uhr geht es zurück zum Revier. Dort treffen sich die Polizisten in großer Runde mit dem Zoll. Für den Abend steht eine Jugendschutzkontrolle von Shisha-Bars auf dem Dienstplan. In großer Runde werden die Einsätze besprochen. Erst im Januar wurde bei der Überprüfung einer Raucherlounge in der Wilstorfer Straße eine 12-Jährige angetroffen, die mit ihrer Tante eine Wasserpfeife rauchte. Regelmäßig finden diese Verbundeinsätze von Polizei und Zoll statt.
- Jugendkriminalität in Hamburg: Immer mehr Kinder wegen Kinderpornos angezeigt
- Illegales Glücksspiel : Polizei Hamburg bricht bei Razzia Automaten auf
- Bezirk will Halloween-Krawalle mit einer Party verhindern
Jetzt kommt die Uniform zum Einsatz, auf dem Rücken mit der Aufschrift Jugendschutz. Eine Spezialanfertigung für die Harburger Beamten. Auf dem Plan stehen zwei Shisha-Bars, eine am Harburger Ring und eine in der Wilstorfer Straße. Beide scheinen die Jugendschutzbestimmungen zu beachten, es gibt keine Beanstandungen. Lediglich der Zoll muss tätig werden: In der letzten Bar finden die Steuerwächter rund 240 Kilogramm illegalen Tabak. Da wird Jugend-Polizeiarbeit auch mal handfest: Mit dem Zoll werden kistenweise Rauchwaren verladen, danach ist gegen 21 Uhr endlich Feierabend.
„Wir sind überzeugt von dem Konzept – Jugendschutzarbeit der Polizei Hamburg bedeutet im weiteren Sinne auch Straßensozialarbeit. Prävention steht für uns an erster Stelle. So erkennen wir oftmals Problemfälle rechtzeitig und können handeln, bevor die Jugendlichen straffällig werden“, sagt Ismail Yaylaoglu. Und dann kann auch er Feierabend machen – und heimgehen zu seiner Familie.